Gesellschaft Gesellschaft: Kampfsport-Kurs macht Kinder stark

St. Wolfgang/dpa. - So könnte eineKindesentführung in der Realität ablaufen. «Wir müssen das Kind ineine Hochstress-Phase bringen, damit die richtige Reaktion alsProgramm im Gehirn gespeichert wird», betont Taekwondo-Trainer GeorgeMaier, der das Eigenschutz-Training für Kinder in einer kleinenSchulturnhalle im oberbayerischen St. Wolfgang leitet.
Im Kompaktkurs lernen 75 Grund- und Hauptschüler an drei Samstagenvon Polizei-Profis und Kampfsport-Experten, wie sie inlebensgefährlichen Situationen schnell und richtig reagieren sollen -um so vielleicht das Schlimmste gerade noch zu verhindern. Julian hatseine Lektion gut gelernt: Er schreit, kratzt und boxt dem doppelt sogroßen Angreifer kräftig in die empfindliche Magengrube. Für einenAugenblick lässt der «Triebtäter» von seinem Opfer ab. Der Jungenutzt seine Chance und flüchtet durch einen Hindernis-Parcours in derHalle, der Schlupflöcher, Hecken oder kleine Mauern simulieren soll.
«Eine hundertprozentige Sicherheit im Leben gibt es natürlichnicht, aber durch Training wird das prozentuale Risiko deutlichherabgesetzt», sagt Gerhard Maier. Der 49-jährige Kommissar undZwillingsbruder von George Maier leitet die Sicherheitsfortbildungbayerischer Polizeibeamter beim Präsidium Schwaben. In seinerlangjährigen Laufbahn hat Maier die Abgründe dieser Welt in Augsburgund anderswo kennen gelernt. Sein Bruder ist Chef einer MünchnerTaekwondo-Schule. Die beiden Männer sind Großmeister in dersüdkoreanischen Kampfkunst Taekwondo. Das Schutzprogramm für Kinderhaben sie vor zehn Jahren gemeinsam entwickelt.
Unter dem Motto «Wehre dich, und du kommst besser weg» haben sichinzwischen tausende Kinder und Jugendliche durch ihre Stress-Parcoursgeboxt. So können auch Schüler Selbstschutz lernen, die sich in ihrerFreizeit kaum für Kampfsport und drillartige Kommandotöne begeistern.«Schnell, schnell, die Hände zusammenklatschen, Körper drehen undFäuste nach oben wegreißen», ruft Trainerin Birgitta Stettner durchdie Turnhalle. Mit Trillerpfeife wird trainiert, was im normalenLeben in und außerhalb von Schulen streng verboten ist: schlagen,kratzen, beißen.
Wenn Schüler im Kurs drei oder vier Handgriffe verknüpfen lernen,sind die Trainer zufrieden. «Kinder brauchen keine 20 Aktionen,wenn sie jemand würgt», sagt Kommissar Maier. «Wichtig ist, dass sieim Notfall ihr Programm abspulen.» Präzision und Geschwindigkeitseien dabei ihre stärksten Waffen. Laut Kriminalstatistik lassen 80Prozent aller Angreifer von ihrem Opfer ab, wenn es sich heftigwehrt. Wer diese wertvollen Sekunden dagegen im Schockzustandverstreichen lässt, kann schnell in akute Lebensgefahr geraten.
Doch nicht nur körperlich soll der Kampfsport-Kurs Kinder starkmachen. Zum Psycho-Training gehören ein selbstbewusstes Auftreten undDistanz, wenn Kinder alleine unterwegs sind. Und geübt wird auch,notfalls richtig laut zu werden: «Lassen Sie mich in Ruhe, ich kenneSie nicht, ich will das nicht haben», brüllt Julian, als ihn der«Täter» zu Boden reißt.