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Germanwings-Absturz Germanwings-Absturz: "Die bisherige Entschädigung wird dieser Mordtat nicht gerecht"

Von Hans-Jürgen Deglow 12.03.2016, 13:55
Gedenkstätte für die Opfer des Germanwingsabsturzes in den Französischen Alpen.
Gedenkstätte für die Opfer des Germanwingsabsturzes in den Französischen Alpen. AP

Bonn - Knapp ein Jahr nach dem Germanwings-Absturz über den französischen Alpen präsentieren Pariser Luftfahrtexperten die Ergebnisse ihrer Untersuchungen. Vor der Veröffentlichung des Abschlussberichts in Frankreich informierte die französische Luftsicherheitsbehörde BEA zunächst die Angehörigen der deutschen Opfer im Bonner Verkehrsministerium - hinter verschlossenen Türen. Die Öffentlichkeit soll dann bei einer Pressekonferenz am Sonntag in Paris informiert werden.

150 Menschen kamen ums Leben

Bei der Katastrophe – der Co-Pilot hatte den Ermittlern zufolge die Maschine absichtlich zum Absturz gebracht -  kamen alle 150 Menschen an Bord ums Leben. Der Flug war auf dem Weg von Barcelona nach Düsseldorf. 34 Familien werden von dem Mönchengladbacher Rechtsanwalt Dr. Christof Wellens vertreten. Da sie sich selbst noch nicht dazu in der Lage sehen, hatten zahlreiche Familien Wellens gebeten, an ihrer Stelle an der Präsentation in Bonn teilzunehmen. Doch die BEA verweigerte dem Anwalt den Zutritt, was bei den Angehörigen auf völliges Unverständnis stieß.

Wellens fuhr trotzdem am Samstag nach Bonn – und stand vor dem Eingang des Ministeriums Rede und Antwort. Wir haben den Juristen interviewt.

Interview mit Anwalt der Germanwings-Opfer

Herr Dr. Wellens, Sie vertreten zahlreiche Angehörige von Opfern der Germanwings-Katastrophe. An der Informationsveranstaltung in Bonn an diesem Samstag durften Sie jedoch nicht teilnehmen. Was bedeutet das für Sie und die Familien?
Wellens: 16 Familien haben mich gebeten, sie hier in Bonn zu vertreten, und Fragen für sie zu stellen. Meine Teilnahme ist vom BEA-Direktor abgelehnt worden. Mit dem Argument „Wir wollen keine Rechtsanwälte dabei haben“. Ich habe keine Erklärung für ein solches Verhalten. Das ist ein Schlag ins Gesicht der Familien, die dies als große Zurückweisung empfinden. Die Angehörigen sind traumatisiert, nicht alle sind schon in der Lage, an einer solchen Veranstaltung selbst teilzunehmen, und haben mir deshalb eine Vollmacht gegeben. Deshalb ist es so unbegreiflich für sie, dass ihr Rechtsvertreter nicht zugelassen worden ist. Das weckt natürlich auch die Phantasie bei den Betroffenen, ob etwas verheimlicht werden soll.

Warum sind der Termin in Bonn und die offizielle Vorstellung des Abschlussberichts am Sonntag in Paris so wichtig für die Aufarbeitung der Katastrophe?
Wellens: Die Familien möchten unbedingt mehr Informationen haben. Das war eine sinnlose Tat, die niemand begreifen kann. Wichtig ist es nun, die Fragen der Angehörigen zu beantworten. Sie wollen wissen: Was ist falsch gelaufen? Wie kann man in Zukunft verhindern, dass so etwas noch einmal passiert? Welche Regularien muss es für die Sicherheit und die Piloten-Ausbildung geben? Es konnte ein kranker Pilot ins Cockpit gelangen, und wir wollen auch wissen, warum er nicht überwacht wurde. All das hätten wir gerne an diesem Samstag in Bonn nachgefragt, denn die BEA ist dafür zuständig, zu ermitteln und genau diese Fragen zu beantworten.

Es gab genügend Alarmzeichen, um den Co-Piloten schon frühzeitig vom Fliegen auszuschließen…
Wellens: Richtig, Alarmzeichen gab es mehr als genug. Wie deutlich sollen Zeichen denn sein? Der Co-Pilot konnte sechs Monate nicht arbeiten und an der Ausbildung teilnehmen, wegen Depressionen, Selbstmordgedanken und Psychopharmaka-Gebrauch. Das sind alles Ausschlusskriterien für den Beruf des Piloten. Aber diese hat man einfach nicht ernstgenommen.

Sie erwägen nun eine Klage in den USA…
Wellens: Das ist der nächste Schritt, den wir kommende Woche machen werden. Denn die Flugschule ATCA, die den Co-Piloten ausgebildet hat, ist eine hundertprozentige Lufthansa-Tochter. Die Ausbildung beginnt in Bremen und wird dann von Lufthansa bei der Flugschule in Arizona fortgesetzt. Und es war schon damals bekannt, dass der Co-Pilot psychisch krank war. Da hätte man die Reißlinie ziehen müssen. Über eine Klage gegen die Flugschule erhoffen wir uns, an die Informationen zu kommen, die die Angehörigen brauchen. Gleichzeitig werden wir unsere Klage in den USA mit Schadensersatzforderungen verbinden. Es ist für mich auch ein großes Geheimnis, wie die Frage der Entschädigungen von der Lufthansa gehandhabt wird. Ich kann nicht verstehen, warum man die Familien vor den Kopf stößt, weil man einfach sagt: „Wir verhandeln nicht mit amerikanischen Anwälten.“

Die Lufthansa ist also nicht bereit, auf Sie zuzugehen?
Wellens: Guten Willen können wir jedenfalls nicht feststellen. Der Lufthansa-Konzern verweigert sich. Über 80 Familien haben sich zusammengeschlossen, um zu klagen. Die Verweigerungshaltung der Lufthansa ist unverständlich. Man könnte sicher insgesamt den Fall befriedigend lösen für die Familien. Wenn man aber die Gespräche von vornherein verweigert, dann treibt man die Angehörigen in die Klage, und die werden wir dann auch einreichen. Die Lufthansa ist bisher nicht verhandlungsbereit, aber den Familien wird sie nichts diktieren können. Deshalb wolle wir nun in den USA Klage einreichen, und das ist ein Fiasko für die Lufthansa.

Kann es so etwas wie eine angemessene Entschädigung für das erlittene Leid und den Verlust von Menschenleben geben?
Wellens: Das Entschädigungsangebot der Lufthansa ist jedenfalls äußerst unbefriedigend. Es gab bisher nur eine kleine Entschädigung, die dieser Mordtat absolut nicht gerecht wird. 10.000 Euro sind nicht angemessen. Viel wichtiger ist es aber für die Familien, dass die Unterhaltssituation von Voll- und Halbwaisen geklärt wird, beispielsweise ihre Ausbildung bezahlt wird. Die Betroffenheit bei den Familien ist so unfassbar groß, da muss es selbstverständlich sein, dieses Leid zu entschädigen. Einige Angehörige stehen am Rande der Berufsunfähigkeit, sie werden in Kliniken psychologisch betreut, ihre Lebensqualität ist komplett verloren gegangen. Deshalb muss es eine Entschädigung geben, die wenigstens die Verantwortlichkeit zeigt - das wäre für mich selbstverständlich.