Internet Gerichtsdokumente im Netz - Gericht verwarnt Journalist
Der Journalist Semsrott stellt Beschlüsse eines Gerichts ins Netz - im Wissen, dass das gegen das Gesetz ist. Er will so eine Rechtsfrage zur Pressefreiheit klären. Ein Gericht urteilt milde.
Berlin - Der Journalist und Aktivist Arne Semsrott ist nach der Veröffentlichung von Gerichtsdokumenten zu Ermittlungsverfahren gegen die Klimagruppe Letzte Generation verwarnt worden. Das Landgericht Berlin sprach den Chefredakteur des Internetportals „FragDenStaat“ wegen des Straftatbestands der verbotenen Mitteilungen über Gerichtsverhandlungen (§353d StGB) schuldig.
Die Richter entschieden sich jedoch für eine milde Konsequenz: Semsrott muss eine Geldstrafe von 1.000 Euro (20 Tagessätze je 50 Euro) lediglich in dem Fall zahlen, wenn er innerhalb eines Jahres erneut straffällig wird. Die Staatsanwaltschaft hatte eine Geldstrafe von 40 Tagessätzen je 50 Euro beantragt, die Verteidigung auf Freispruch plädiert.
Journalist lehnt Einstellung des Verfahrens ab
Wäre es nach dem Gericht gegangen, hätte das Verfahren wegen Geringfügigkeit eingestellt werden können. Das hatte Semsrott abgelehnt, weil so eine grundsätzliche Klärung nicht möglich gewesen wäre. Mit dem Urteil wird der Fall nun den Bundesgerichtshof beschäftigen, denn der 36-Jährige hat bereits angekündigt, in Revision zu gehen.
Der Journalist hatte vor Gericht eingeräumt, drei Beschlüsse des Amtsgerichts München ins Netz gestellt zu haben - im Wissen, dass dies laut Gesetz verboten ist. Aus seiner Sicht verstößt die bestehende Gesetzeslage gegen die Presse- und Wissenschaftsfreiheit. Die Vorschrift sei nicht mehr zeitgemäß angesichts der Entwicklung der Medienlandschaft. Sie führe „zu einer Schere im Kopf“, so Semsrott in seinem letzten Wort im Prozess.
Gesetz untersagt wortgetreue Veröffentlichung
Nach dem Gesetz ist eine wortgetreue Veröffentlichung von Ermittlungsakten und Gerichtsentscheidungen aus laufenden Verfahren nicht zulässig. Das Gesetz droht eine Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder eine Geldstrafe an. Der Gedanke hinter der Strafnorm ist, dass Zeuginnen und Zeugen sowie Laienrichter vor einem Prozess nicht beeinflusst werden sollen durch vorläufige Ermittlungsergebnisse.
Aus Sicht von Semsrott und seinen Anwälten sowie der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF), die den Fall unterstützt, ist dies verfassungswidrig. Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe hat bislang jedoch anders entschieden. Der Deutsche Journalisten-Verband forderte die Bundesregierung auf, den Paragrafen zu reformieren. „Er ist längst nicht mehr zeitgemäß und kriminalisiert Journalistinnen und Journalisten, die einfach nur ihrer Arbeit nachgehen“, erklärte die stellvertretende DJV-Bundesvorsitzende Mariana Friedrich nach dem Urteil.
Semsrott: Vorschrift führt zu „Schere im Kopf“
Im konkreten Fall handelte es sich um Beschlüsse im Verfahren gegen die Letzte Generation wegen des Verdachts der Bildung einer kriminellen Vereinigung. Es ging um Durchsuchungen bei Mitgliedern, die Beschlagnahme der Webseite sowie die Überwachung des Pressetelefons der Gruppe. Das Vorgehen der Justiz sorgte seinerzeit für Kritik.
Um angemessen über den Umgang mit der Gruppe diskutieren zu können, seien Originaldokumente und Zitate daraus nötig, argumentierte Semsrott. Dies gelte in Zeiten von Fake News umso mehr. Die bestehende Norm sei nicht mehr zeitgemäß.
Aus Richtersicht führt aber gerade die veränderte Medienlandschaft dazu, dass die „Funktionstüchtigkeit des Strafverfahrens hohen Gefahren“ ausgesetzt ist. „Wir sind der Meinung, dass es erst recht dieses Schutzes bedarf“, so Richter Bo Meyer.
Gericht: Gesetznorm nicht verfassungswidrig
Es gehe nicht darum, dass die Justiz oder Richter nicht kritisiert werden dürfen, betonte Meyer. Eine inhaltliche Wiedergabe solcher Dokumente sei jederzeit möglich. Bei der wortgetreuen Veröffentlichung von Gerichtsdokumenten aus laufenden Ermittlungsverfahren bestehe aber die Gefahr, dass sie nicht richtig eingeordnet würden.
Aus Sicht des Gerichts ist die Strafnorm nicht verfassungswidrig. Richter Meyer machte aber deutlich, dass in jedem Einzelfall abgewogen werden müsse. Es müsse jeweils „ein Kompromiss zwischen der Pressefreiheit und der Funktionsfähigkeit des Strafverfahrens“ gefunden werden.