Geiseldrama von Gladbeck Geiseldrama von Gladbeck: Dieter Degowski - Ein Mörder auf dem Weg in die Freiheit. Der Partner von Hans-Jürgen Rösner könnte bald entlassen werden

Die Gladbecker würden die ganze Geschichte am liebsten vergessen. Das Medieninteresse an ihrer Stadt, das bis heute nicht abgeflaut ist. Die Blicke, die sie anderenorts ernten, wenn der Name „Gladbeck“ fällt. Den Fernsehfilm mit dem Titel „Gladbeck“, der im kommenden Jahr gedreht werden soll und für den vor wenigen Wochen ein opulentes Casting in ihrer Stadtbücherei stattfand. Doch seit dem 16. August 1988 ist die nordrhein-westfälische Kleinstadt unwiderruflich mit einem der wohl spektakulärsten Verbrechen in der Geschichte der Bundesrepublik verknüpft: dem Gladbecker Geiseldrama.
Seinen Anfang nahm es an einem Mittwochmorgen im Stadtteil Rentford-Nord, als die Kleinkriminellen Dieter Degowski und Hans-Jürgen Rösner im dortigen Einkaufszentrum eine Filiale der Deutschen Bank überfielen. Es endete – nach einer blutigen Amokfahrt quer durch Deutschland – zwei Tage später auf einem Seitenstreifen der A3 bei Bad Honnef. Bilanz der von Polizeipleiten und einer beispiellosen Medienhatz begleiteten Katastrophe: zwei tote Geiseln und ein im Einsatz tödlich verunglückter Polizeibeamter.
Entlassung wird vorbereitet
Und jetzt also, wahrscheinlich noch in diesem Jahr, soll einer der beiden Geiselgangster in die Freiheit entlassen werden: Dieter Degowski, der Mann, der vor 28 Jahren auf einem Parkplatz bei Bremen eine Geisel erschoss und wegen Mordes an dem 15-Jährigen zu lebenslanger Haft verurteilt worden war. Vor wenigen Tagen ist in der Justizvollzugsanstalt Werl, wo der gebürtige Gladbecker seit Mai 1992 einsitzt, das Gutachten einer Sachverständigen eingegangen, die die potenzielle Gefährlichkeit des Langzeitgefangenen und seine Fortschritte in punkto Resozialisierung beurteilen sollte. Es fiel, so steht zu vermuten, für Degowski ausgesprochen positiv aus. Inhaltlich könne und dürfe sie zwar keine Details sagen, äußerte sich JVA-Leiterin Maria Look auf Anfrage dieser Zeitung. „Nur so viel: Die Entlassungsvorbereitungen werden fortgesetzt.“
Das sah vor drei Jahren noch ganz anders aus. Degowskis erster Antrag auf Entlassung auf Bewährung – nach Ablauf der Mindesthaftzeit von 24 Jahren – war im August 2013 vom Landgericht Arnsberg ohne Wenn und Aber abgeschmettert worden. Wohl nicht zuletzt aufgrund einer negativen Beurteilung des damaligen Sachverständigen. Es bestehe eine erhöhte Gefahr, dass der Gefangene „ins soziale Randmilieu abrutschen“ und weitere schwere Straftaten begehen könnte, so der Gutachter.
Das Gericht sah das damals ähnlich: Eine bedingte Entlassung könne zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht verantwortet werden. Der Gefangene müsse erst schrittweise auf ein Leben in Freiheit vorbereitet werden – ein Prozess, der mindestens drei Jahre dauert. Selbst bei einer günstigen Prognose könnte er frühestens im August 2016 mit seiner Entlassung rechnen, so das Gericht damals. Entsprechende Resozialisierungsmaßnahmen wurden bei der JVA Werl angemahnt.
„Degowski tut das, was er angerichtet hat, unendlich leid“
Bis zu diesem Zeitpunkt sei in punkto Resozialisierung rein gar nichts geschehen, sagt dessen Anwältin Lisa Grüter. „Ein Unding.“ Sie habe 2013 mit ihrem Antrag auf die sofortige Entlassung Degowskis vor allem die Gefängnisleitung aufrütteln und darauf aufmerksam machen wollen, „dass das nicht in Ordnung ist und dringend etwas passieren muss“. Inzwischen ist Lisa Grüter mit dem Therapieangebot der JVA hochzufrieden. „Die geben sich alle Mühe. Wir haben nichts zu meckern.“
Seit bald drei Jahren wird Degowski schrittweise auf seine mögliche Entlassung vorbereitet und hat inzwischen mehrere begleitete Freigänge hinter sich. Das Gericht habe bereits im vergangenen Jahr „eine Perspektive gesehen für seine Entlassung 2016“, bestätigt Maria Look den Erfolg der Maßnahmen. Mehr möchte sie zurzeit nicht sagen über die nahen Zukunftsaussichten ihres wohl prominentesten Insassen – auch wenn der August 2016 inzwischen verstrichen ist. „Das weitere Vorgehen wird mit allen Beteiligten beraten und abgestimmt.“ Und: „Das Ganze wird – dem Fall entsprechend – etwas Zeit in Anspruch nehmen.“
Doch Maria Look ist optimistisch. „Wir haben ein positives Bild von Herrn Degowski. Er ist jemand, dem das, was er angerichtet hat, unendlich leidtut. Aber er weiß auch, dass er das nicht rückgängig machen kann. Es ist ein Teil seines Lebens, und mit diesem schwarzen Fleck muss er leben.“
Baldige Freilassung macht Degowski „Angst“
Lisa Grüter teilt diese Einschätzung. „Er hat viel über seine Tat nachgedacht und bereut sie zutiefst.“ Die Aussicht auf baldige Freilassung mache ihm wegen seiner Bekanntheit Angst, so sehr er sich ein Leben in Freiheit auch wünsche – auch darin sind sich Look und Grüter einig. Eine neue Identität, ein neuer Name und ein „sozialer Empfangsraum“, der geheim gehalten wird, sollen ihn vor dem medialen Interesse schützen.
Hans-Jürgen Rösners Aussichten, in absehbarer Zeit freizukommen, stehen da wesentlich schlechter. Auch er wurde zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt, doch bei ihm verfügte das Gericht eine anschließende Sicherungsverwahrung. Ein Gutachter bescheinigte ihm 2015 „ausgeprägt antisoziale und psychopathische Züge in seiner Persönlichkeitsstruktur“.
Nicht jeder nimmt Maria Look ab, dass Degowski ein Geläuterter ist. Schon mehren sich im Netz die Stimmen gegen eine Entlassung „dieses Scheißkerls“: „Lasst ihn im Knast verschimmeln. Die Geiseln sind tot, aber der darf auf Bewährung raus.“ Auch die Gerichtsreporterin Gisela Friedrichsen äußerte kürzlich in einem Interview ihr Erstaunen über die „positiven Stimmen, dass er sich so gut entwickelt habe und dass man jetzt davon ausgehen könne, dass er keine Straftaten mehr begeht“. Fast 30 Jahre Haft seien nicht unbedingt dazu angetan, aus jemandem wie Degowski einen besseren Menschen zu machen.
Maria Look, die seit zwei Jahren die JVA Werl leitet, kennt Reaktionen wie diese. Und sie frage sich manchmal: „Welche Chancen hat jemand, der sich wirklich verändert hat, wenn das draußen niemand hören will?“
