Handball-Prozess Fuhr gegen den DHB: Darf die Kommission weiter arbeiten?
Es geht um Machtmissbrauch und emotionale Gewalt. Um die Vorwürfe gegen Trainer André Fuhr aufzuarbeiten, setzt der Deutsche Handballbund ein externes Gremium ein. Aber darf der DHB das?
Dortmund - Gebannt und vielleicht sogar etwas ängstlich blicken deutsche Sportler und Sportlerinnen, Athletenvertreter und Verbände auf den 15. November. Wenn das Landgericht Dortmund in der Causa André Fuhr ein Urteil verkünden will, geht es um mehr als um den Rechtsstreit zwischen dem schweren Vorwürfen ausgesetzten Trainer und dem Deutschen Handballbund. Es geht auch darum, wie Sportverbände in Deutschland künftig Missbrauchsfälle aufarbeiten können.
Worum geht es im Fall Fuhr?
Mit ihrer fristlosen Kündigung bei Borussia Dortmund hatten die Nationalspielerinnen Mia Zschocke und Amelie Berger den Fall im September 2022 öffentlich gemacht und schwere Vorwürfe gegen Fuhr erhoben. Es ging um Machtmissbrauch und emotionale Gewalt. In der Folge meldeten sich weitere Sportlerinnen, die nach eigenen Angaben psychisch unter Fuhrs Trainingsmethoden gelitten hatten. Sowohl der Bundesligist aus Dortmund als auch der DHB, wo Fuhr als U20-Trainer arbeitete, beendeten die Zusammenarbeit mit dem heute 53-Jährigen.
Warum kam es zum Rechtsstreit?
Der DHB reagierte auf die Vorwürfe mit der Gründung einer Kommission, die ihren Bericht längst vorlegen wollte. Doch Fuhr wehrte sich. Nachdem das Landgericht Dortmund seinen Eilantrag mangels Dringlichkeit zurückgewiesen hatte, war die sofortige Beschwerde hiergegen erfolgreich. Das Oberlandesgericht Hamm gab dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung auf Untersagung der Arbeit der Aufarbeitungskommission statt. Der DHB legte Einspruch ein. Bis dahin hatten dem Gremium gut 50 Personen angehört.
Zuletzt hatte das Landgericht Dortmund einen Vergleichsvorschlag ausgearbeitet. Sollten sich beide Parteien nicht einigen, ist für den 15. November ein Verkündungstermin festgelegt. Darf die Kommission weiterarbeiten oder nicht?
Wer hat bessere Chancen auf einen juristischen Sieg?
Sportrechts-Experte Jan F. Orth von der Universität Köln glaubt an einen Sieg des DHB. Er bewertet die Entscheidung des OLG Hamm zudem als „falsches Signal für sportverbandliche Aufklärungsbemühungen“ und wirft dem Gericht vor, sich zu wenig mit dem eigentlichen Auftrag von Aufarbeitungskommissionen und dieser konkreten Aufarbeitungskommission auseinandergesetzt zu haben.
Wie argumentieren das OLG Hamm und André Fuhr?
Im Beschluss des OLG Hamm hieß es, dass das Einsetzen einer externen Kommission in der Verbandssatzung nicht vorgesehen sei. Fuhr müsse nicht tolerieren, dass eine „unabhängige Kommission im Verborgenen Ermittlungen gegen ihn führt“. Das Gericht monierte außerdem, dass Fuhr in einem Kommissionsschreiben als Tatperson bezeichnet worden sei. Damit übernehme das Gremium Aufgaben, die der DHB nicht hätte auslagern dürfen.
Wie argumentiert der Deutsche Handballbund?
DHB-Präsident Andreas Michelmann betonte im Sommer, dass es bei der Arbeit der Kommission nicht um etwaige Sanktionen gehe. Sie hätte vielmehr einen zukunftsgerichteten Fokus. „Erwartet werden Empfehlungen für künftiges Handeln“, sagte Michelmann. Man wolle im Zuge der Aufarbeitung Hinweise gewinnen, wie man den Sport als sicheren Ort auch in Zukunft verlässlich schützen könne.
Hatte sich Fuhr jemals zu den Beschuldigungen geäußert?
In einem Interview der „Sport Bild“ kritisierte der frühere BVB-Coach, dass ihm viele Vorwürfe nur durch die Medien bekannt seien. „Bezogen auf das, was ich gelesen habe, kann ich nur sagen: Es gibt Sachverhalte, die nicht stattgefunden haben. Es gibt Sachverhalte, die so nicht stattgefunden haben. Es gibt Sachverhalte, an die ich mich nicht in der geschilderten Form erinnern kann oder eine andere Erinnerung habe“, sagte Fuhr. Ein Gesprächsangebot der Kommission nahm er nicht an, weil dort „keine rechtsstaatlichen Grundsätze verfolgt werden, sondern mit nachweisbarer Voreingenommenheit gehandelt wird“, wie sein Anwalt Markus Buchberger erklärte.
Welche Konsequenzen könnte das Urteil am 15. November nach sich ziehen?
Das Urteil könnte Folgen für andere Sportverbände haben, die Missbrauchsfälle aufklären wollen. Wenn der Beschluss ohne Berücksichtigung wichtiger gesellschafts- und verbandspolitischer Interessen im Hinblick auf die Aufarbeitung interpersoneller Gewalt stehen bliebe, könnten sich die Sportverbände aus Rechtsgründen an der Installation und Durchführung entsprechender Aufarbeitungsmechanismen gehindert sehen, sagte Orth. Aufarbeitungsprozesse könnten sich dadurch noch länger ziehen als ohnehin schon.
Gibt es in anderen Sportarten ähnliche Fälle?
Der ehemalige Wasserspringer Jan Hempel hatte 2022 die Vorwürfe des sexuellen Missbrauchs gegen seinen 2001 gestorbenen langjährigen Trainer Werner Langer öffentlich gemacht. Demnach soll sich Langer von 1982 bis 1996 an dem Olympia-Zweiten von Atlanta 1996 vergangen haben. Weiteren Funktionären warf Hempel vor, von den Übergriffen gewusst zu haben. Der DSV rief eine externe Aufarbeitungskommission ins Leben. Den Abschlussbericht präsentierte die Kommission Ende Oktober.
Auch der Deutsche Tennisbund wollte die Vorwürfe gegen seinen inzwischen verstorbenen, früheren Vizepräsidenten Dirk Hordorff aufarbeiten. Es ging um Machtmissbrauch und sexualisierte Gewalt.