Freizeitspaß Freizeitspaß: Auf allen Vieren zum Ziel

Bensersiel/dpa. - Unbeeindruckt von dem drohenden Unwetter ziehtdraußen vor dem Festland ein merkwürdiger Konvoi seine Bahn: 24schnelle Rettungsboote geleiten die ausgebuchte Fähre «Langeoog I»durchs Wattenmeer. Nach und nach springen mehr als 200 Menschen vonBord des Schiffes in das trübe Wasser. Start frei für das 19.Nordseeschwimmen von der Insel Langeoog zum Festland nach Bensersiel.
Ungläubig verfolgen Touristen in Regenkleidung den Massensprung indie Fluten: «Die spinnen ja», meint ein Urlauber aus Nordrhein-Westfalen zu seiner Begleiterin, die sich die nassen Haare aus demGesicht wischt. Unten schäumt das graue Wasser weißlich auf, als dieSchwimmer lossprinten. Über 10,6 Kilometer lang ist die Distanz inder Königsdisziplin. Für den geübten Nordseeschwimmer ist das Renneneine einmalige Trainingsmöglichkeit: Kein monotones «Fliesenzählen»wie im heimischen Hallen- oder Freibad, sondern kilometerweit Platzund freie Bahn ohne Hindernisse.
«Das ist das Besondere: der weite Himmel über uns, das Schwimmenim offenen Meer, ein einmaliges Szenario», beschreibt Margrit Rudolphaus Bremen den Reiz der Veranstaltung. Ein anderer Teilnehmerverbindet damit seine ganz persönlichen Assoziationen: «Es ist wiemit der Geburt: der Sprung ins kalte Wasser, das erste Luft holen -und dann bist du den Rest der Strecke ganz auf dich allein gestellt.»
«Ich freue mich immer wieder, wenn ich es geschafft habe», erzähltvor dem Start Sandra Häßler aus Duisburg in Nordrhein-Westfalen. Die30 Jahre alte Betriebswirtin ist eine der Stars derNordseeschwimmerszene. Seit sechs Jahren ist die frühereFlossenweltmeisterin dabei und hat mehrfach in der Frauenklassegewonnen. Mit ihrer walfischartigen Monoflosse an den Füßen zieht siegleich beim Start fast allen Mitschwimmern davon.
Andere Schwimmer haben Mühe mit der Orientierung. Schon beikleinsten Wellen verlieren sie die Führungsboote aus den Augen undschwimmen im Zick-Zack-Kurs durch die Fahrrinne. Helfer in Booten derDeutschen Lebensrettungsgesellschaft (DLRG) umkreisen als Aufpasserwie Schäferhunde die Herde und geleiten Versprengte wieder zurück.
Bald zieht sich das Schwimmerfeld weit auseinander. Ein paarErschöpfte geben auf und klettern auf die Begleitboote. Wadenkrämpfeund etwas zu viel geschlucktes Salzwasser gehören zu den üblichenZwischenfällen - Schlimmeres ist in der 19-jährigen Geschichte desNordseeschwimmens nicht passiert, erinnert sich der CheforganisatorBurkhard Theiner. Gelegentlich begleiten Seehunde das Teilnehmerfeld:Ihre schwarzen Köpfen ähneln den Neoprenhauben der Schwimmer undbringen die Zähler an den Kontrollposten schon mal durcheinander.
1989 hatten acht Taucher der DLRG-Gruppe im ostfriesischen Esensdas erste Rennen gestartet. Schnell sprach sich das Ereignis in derSzene herum und lockte begeisterte Sportler an. In Neoprenanzug oderBadehose, mit oder ohne Flossen, Kraul- oder Brusttechnik - dabeisein ist alles. Für die einen zählt der Kampf gegen die Uhr und dieWellen, für die anderen der Kampf gegen sich selbst: «nicht aufgeben,sondern ankommen», heißt die Devise.
Am Ziel warten: eine kalte Dusche aus einem Feuerwehrschlauchgegen Salz und Schlick auf der Haut und eine heiße Erbsensuppe.Erschöpft krabbeln viele Schwimmer auf allen Vieren ans Ufer undbleiben dort erstmal liegen. «Die Muskeln müssen sich wiederumstellen, die Schwerkraft hat mich wieder», lacht Jürgen Hohmann ausAurich am Ziel.
Dort hat Vorjahressiegerin Sandra Häßler mit einer Stunde und 19Minuten exakt ihre Zeit von 2006 wiederholt. Der letzte Sportlerkommt nach gut zweieinhalb Stunden ans Ufer. «Ein Genuss, hier zuschwimmen», freut sich Susanne Brandenburger aus Bremen nach ihrerNordsee-Premiere, «ich habe mich pudelwohl gefühlt».