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Innere Sicherheit Fallzahlen von Clankriminalität in Niedersachsen rückläufig

Etwas weniger Straftaten, aber deutlich mehr Gerichtsverfahren: Die Innenministerin und Justizministerin stellen das vierte Lagebild zur sogenannten Clankriminalität vor und finden deutliche Worte.

Von dpa 19.08.2024, 03:30
Taten von Clanmitgliedern haben laut Behrens das Potential, in der Bevölkerung für eine große Verunsicherung zu sorgen.
Taten von Clanmitgliedern haben laut Behrens das Potential, in der Bevölkerung für eine große Verunsicherung zu sorgen. Kilian Genius/dpa

Hannover - In Niedersachsen hat es etwas weniger Fälle sogenannter Clankriminalität gegeben. Im vergangenen Jahr wurden dem Milieu 3.610 Straftaten zugeordnet - 2022 waren es noch 3.986, wie aus dem vom Innenministerium und Justizministerium vorgelegten Lagebild Clankriminalität hervorgeht. „Die enge Kooperation von Polizei und Justiz ist erfolgreich und zeigt, dass wir auf dem richtigen Weg sind“, sagte Innenministerin Daniela Behrens (SPD). 

Die Clankriminalität habe zwar statistisch nur weniger als ein Prozent Anteil an der polizeilich erfassten Kriminalität, stelle aber die Strafverfolgungsbehörden anhaltend vor große Herausforderungen, hieß es. Rohheitsdelikte und Straftaten gegen die persönliche Freiheit machten den Angaben zufolge mit 1.110 Taten fast ein Drittel der Gesamtfälle aus. Mit 631 Fällen entfiel demnach ein Großteil der Rohheitsdelikte auf Körperverletzungsdelikte.

Was sind kriminelle Clanstrukturen?

Laut Lagebild ist ein Clan eine Gruppe von Menschen, die durch eine gemeinsame ethnische Herkunft, überwiegend auch durch verwandtschaftliche Beziehungen, verbunden ist. Kriminelle Clanstrukturen seien gekennzeichnet durch die Begehung von Straftaten und Ordnungswidrigkeiten jeglicher Deliktsart und -schwere.

Hälfte der ermittelten Tatverdächtigen ist deutsch

Diese Taten hätten das Potenzial, in der Bevölkerung für eine große Verunsicherung zu sorgen, sagte Behrens. Die hohe Gewaltbereitschaft der Täter, die neben der Ausübung physischer Gewalt auch vor dem Einsatz von Waffen aller Art nicht zurückschreckten, trage wesentlich dazu bei. „Das können und werden wir in Niedersachsen niemals akzeptieren.“

Laut dem Innenministerium wurden im vergangenen Jahr 3.048 Tatverdächtige erfasst; 2022 waren es 3.323. 82 Prozent von ihnen seien männlich und 56 Prozent unter 30 Jahren alt gewesen. Etwas mehr als die Hälfte hatte den Angaben zufolge die deutsche Staatsangehörigkeit.

Keine Hotspots

Die Tatorte verteilten sich in unterschiedlicher Ausprägung über das gesamte Flächenland, sowohl in städtischen als auch in ländlichen Gebieten. Eine dauerhafte Konzentration an bestimmten Orten sei bislang nicht festzustellen. Doch im Lagebild ergibt sich eine unterschiedliche Häufigkeit. In Regionen wie dem Heidekreis und Gifhorn wurden 1 bis 20 dieser Straftaten im vergangenen Jahr bekannt; in Göttingen, Diepholz, Osnabrück oder Cuxhaven waren es mehr als 100 Fälle.

Während die Zahl polizeilicher Ermittlungsverfahren zurückging, stieg die Zahl der Gerichtsverfahren bei den vier Schwerpunktstaatsanwaltschaften deutlich an. In Braunschweig, Hildesheim, Osnabrück und Stade gingen im vergangenen Jahr 1.404 Verfahren gegen namentlich bekannte Beschuldigte neu zur Bearbeitung ein; ein Zuwachs von rund 29 Prozent im Vergleich zu 2022. In 27 Prozent der Verfahren wurde Anklage erhoben oder ein Strafbefehlsantrag gestellt, wie das Justizministerium mitteilte.

„Wenn die Rolex oder das fette Auto weg ist“

„Der erneute Anstieg der staatsanwaltlichen Verfahren macht deutlich, dass die niedersächsische Null-Toleranz-Strategie der richtige Weg ist“, sagte Justizministerin Kathrin Wahlmann (SPD). Und auch der Spruch, Verbrechen dürfe sich nicht lohnen, sei in Niedersachsen keine Worthülse. In vielen Fällen sei es gelungen, Gelder, Autos und Immobilien einzuziehen. „Und oft tut es fast genauso wie eine Freiheitsstrafe, wenn die Rolex oder das fette Auto weg ist.“

Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) forderte angesichts des hohen Aufwands, der hinter dem Rückgang der Straftaten stehe, personelle und finanzielle Unterstützung für die zukünftige Arbeit. „Die erforderlichen Mittel sollten auch durch die Verwendung der abgeschöpften Vermögenswerte bereitgestellt werden“, teilte die Gewerkschaft mit.

Begriff ist umstritten

Der Begriff Clankriminalität ist umstritten, weil er nach Ansicht von Kritikern Menschen mit Migrationshintergrund alleine aufgrund ihrer Familienzugehörigkeit und Herkunft stigmatisiert und diskriminiert. Behrens ist der festen Überzeugung, dass dem nicht so ist. „Kriminalität kann man nur bekämpfen, indem man sie erkennt, benennt und dann Konzepte dagegen entwickelt.“

Kritik und Forderungen

Die Grünen stellten indes infrage, ob die geringe Fallzahl ein eigenes Lagebild überhaupt rechtfertigt. „Noch dazu fußt das Konzept der Clankriminalität auf kritikwürdigen Annahmen und Begriffen, auch in der Wissenschaft ist es höchst umstritten“, bemängelte die rechtspolitische Sprecherin der Grünen im Landtag, Evrim Camuz.

Niedersachsen sei ein Hotspot und unter den vier am meisten mit Clankriminalität belasteten Bundesländern, sagte CDU-Fraktionschef Sebastian Lechner und fügte hinzu: „Wie in Nordrhein-Westfalen brauchen wir auch in Niedersachsen die Politik der kleinen Nadelstiche.“

Niedersachsen sei in der Praxis nicht optimal aufgestellt, kritisierte der innenpolitische Sprecher der AfD-Landtagsfraktion, Stephan Bothe. „Die Polizei muss endlich personell und materiell in die Lage versetzt werden, um entscheidend gegen Clankriminelle vorzugehen.“ Dafür sei etwa eine zentrale Bekämpfungsstelle notwendig.