Extra Extra: Wiener Rotlicht-Szene brutal wie überall
Wien/dpa. - Das über Wien gern behauptete Operettenklischee, der liebenswerte Schmäh, gilt nicht für die Rotlicht-Szene der österreichischen Hauptstadt. «Sie ist so brutal wie überall», berichtet die Polizei. «Es geht um ein Riesengeschäft», sagt Kripochef Ernst Geiger. Der «echte Kenner der Szenerie» taxiert die Preise für die käufliche Liebe zwischen 30 und 300 Euro. «Fünf Kunden am Tag ist der Schnitt». Den 500 gemeldeten Liebesdienerinnen stehen amtlich geschätzte 4000 Illegale gegenüber. Die heimischen Medien beziffern deren Zahl sogar auf über 7000.
In den Blickpunkt der Öffentlichkeit brachte das Rotlichtmilieu nicht nur der von «Wetten, dass...?»-Moderator Thomas Gottschalk am Freitag geplante Besuch eines Wiener Edel-Bordells, mit dem er eine jüngst verlorene Wette einlösen wollte. Auch das Urteil gegen den österreichischen Olympiasieger im Eiskunstlauf von 1968, Wolfgang Schwarz, wirft ein Schlaglicht auf das brutale Geschäft mit der Prostitution. Schwarz wurde wegen Menschenhandels zu eineinhalb Jahren Gefängnis verurteilt. Der 54-Jährige hatte eine Vielzahl von jungen Frauen aus Russland und Litauen «der Prostitution zugeführt», wie es im Amtsdeutsch heißt. «Es müssen Signale gesetzt werden, dass Menschenhandel verboten ist», hatte der Richter das Urteil begründet.
Doch hinter diesen nüchternen Worten verbergen sich menschliche Dramen, Verzweiflung, Angst und Gewalt, die fast nie ans Licht der Öffentlichkeit gelangen. Dass wie im Sommer 14-jährige ungarische Waisenkinder auf dem Wiener Straßenstrich aufgegriffen werden, ist eher ein zufälliger Fahndungserfolg. Die Wiener Zeitschrift «News» hatte eine junge Russin zu Wort kommen lassen, die dem Martyrium entfliehen konnte. Durch Schläge gefügig gemacht, wurde sie wie eine Sklavin in einem Appartement gefangen gehalten und musste in zwei Monaten 300 Männern gefügig sein.
Die Polizei ist in den meisten Fällen machtlos. «Wir können nur die Auswüchse bekämpfen», sagt Polizeiexperte Geiger. «Wenn sich keiner beschwert, machen wir nichts!» In Wien gebe es rund 120 Animierbars, «in denen illegal auch Geschlechtsverkehr verkauft wird». «Aber wir müssen sie auf frischer Tat ertappen - unmöglich bei unserer Personalstärke», resigniert Geiger.
Rund 90 Prozent der unglücklichen Frauen stammen aus Osteuropa. Und in diesen armen Ländern meist aus besonders armen Landesteilen. Die Not treibt die Frauen, den falschen Versprechungen der Menschenhändler Glauben zu schenken. Ein osteuropäischer Zuhälter soll nicht selten 300 Frauen «nach Österreich liefern». Er verkauft sie pro Stück praktisch wie Vieh für durchschnittlich 2000 Euro.
Die «Ware», in der Szene «Frischfleisch» genannt, wird nach strengen «Qualitätsmaßstäben» aufgeteilt. Die besonders jungen und hübschen Frauen landen in Edelpuffs, die älteren auf dem Straßenstrich an Bahnhöfen oder Autobahnraststätten. Zwischen diesen beiden Extremen liegen eine Fülle anderer Prostitutionsformen: Angebliche Swingerclubs, zweifelhafte Begleitagenturen, chinesische Massagesalons, «türkische Cafes» mit Mädchen aus den Balkanländern im Separee, «GoGo-Dancing»-Lokale und die überall emporschießenden Liebesdienste in Privatwohnungen.
Die illegalen Netzwerke der Menschenhändler funktionieren lautlos. Mafiaähnlich organisiert herrscht das Gesetz des Schweigens. «Wer zur Polizei geht - stirbt», heißt der angsterfüllte Stehsatz der schmutzigen Branche. Nur selten kommen Hinweise der Polizei ans Licht, dass dieser oder jener Todesfall im Milieu willkürlich herbeigeführt wurde. Und: Immer wieder wird behauptet, dass sich die «besseren Kreise» der Hauptstadt, wie überall auf der Welt, in den Edelbordellen ein Stelldichein gäben. «Eine zusätzliche Schwierigkeit der Polizeiarbeit», mutmaßen die Zeitungen.