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Extra Extra: Psychologe warnt von Nachahmern

24.09.2001, 15:01

Chemnitz/Dresden/dpa. - Am letzten August-Wochenende waren drei junge Männer im Alter von14, 17 und 18 Jahren gemeinsam von dem 78 Meter hohen Ziegelstein-Viadukt in den Tod gesprungen. Am vergangenen Sonntag stürzte sichdort ein vierter Jugendlicher, ein 17-Jähriger, in die Tiefe.

Die Staatsanwaltschaft sieht nach eigenen Angaben keineZusammenhänge zwischen den beiden tragischen Ereignissen. Berth willdas Geschehen allerdings differenzierter verstanden wissen: «Zwarmögen die Motive vollkommen unterschiedlich sein, dieGöltzschtalbrücke als Tatort kann der 17-Jährige aber durchaus erstnach den bundesweiten Medienberichten über den Dreifachselbstmord vomAugust gewählt haben».

«Aus Untersuchungen wissen wir, dass nach Veröffentlichungen überSelbstmorde eine Häufung von Suiziden (Selbsttötungen) nach gleichemMuster auftritt», sagte Berth. So habe es nach einer Fernsehserie inden 80er Jahren, in deren Spielhandlung sich ein Schüler vor einenZug warf, einen spürbarer Anstieg von Selbsttötungsversuchen anGleisanlagen gegeben. «Besonders häufig gehören Selbstmordkandidatenaus der gleichen Altersgruppe zu den Nachahmern», sagte Berth.

Um die Zahl der Nachahmer in Grenzen zu halten, rät Berth denMedien zu äußerster Zurückhaltung bei der Berichterstattung überSelbstmorde. Persönliche Hintergründe und Angehörige sollten komplettausgeblendet bleiben. «Ist dies wie im Fall des spektakulärenDreifachselbstmordes schwer umsetzbar, muss der Suizid so unattraktivwie möglich dargestellt werden», forderte Berth. Er ist auch an derHarz-Hochschule in Wernigerode als Dozent für Medienpsychologietätig.

In einigen Fällen sei es sogar sinnvoll, einen Selbstmord alsUnfall darzustellen, meinte Berth. Entsprechende Vereinbarungen gebees schon in manchen Großstädten zwischen Medien, Polizei,Rettungsdiensten und Verkehrsbetrieben.

Die Gefahr, dass die Göltzschtalbrücke bei Selbsttötungs-Gefährdeten zum «Mythos» wird, besteht nach Einschätzung desPsychologen nicht. Für die kommenden Wochen sei allerdings einemöglichst genaue Überwachung des Viaduktes sowie der nahenElstertalbrücke der beste Schutz vor Nachahmern.

Jährlich nehmen sich in Deutschland zwischen 13 000 und 15 000Menschen das Leben. Zwischen dem Entschluss, sich das Leben zunehmen, und dem Selbstmordversuch liegen nach Untersuchungen häufignur wenige Stunden. Es sei im übrigen ein weit verbreiteter Irrtum,dass Leute, die mit Suizid drohen oder Selbstmordabsichtenankündigen, dies nicht ernst meinten, sagte Berth.