Extremismus Einschüchterungsversuche bei Demos: Gefahr im Wahlkampf?
Demonstranten gegen rechts und Politiker sind mit Hass und Anfeindungen konfrontiert. Beratungsstellen gegen Rechtsextremismus schlagen Alarm. Wahlkampfstände nur noch mit Personenschutz?
Potsdam - Wenn die Rufe „Nie wieder ist jetzt“ und „Nazis raus“ bei den vielen Demonstrationen in brandenburgischen Städten ertönen, sind mancherorts auch Gruppen Rechtsextremer nicht weit. „Ich schaue, wo ich mein Auto parke und ob ich verfolgt werden könnte“, sagte der Grünen-Politiker und Landtagskandidat Paul-Philipp Neumann der dpa. Er ging vor kurzem mit Hunderten anderen Demonstranten gegen Rechtsextremismus auf die Straße und berichtete, dass er in Elsterwerda Ziel eines Angriffs geworden sei. Auch andere Demonstranten erzählen von Einschüchterungsversuchen - und das längst nicht nur in den sozialen Medien.
Der Verein Opferperspektive und die Amadeu Antonio Stiftung rechnen damit, dass im Wahljahr in Ostdeutschland Auseinandersetzungen auch mit Anhängern der rechten Szene zunehmen werden. „Wir kriegen ordentlich Meldungen rein von Leuten, die sagen, sie werden eingeschüchtert, schilderte die Beraterin der Opferperspektive, Anne Brügmann.
Die Koordinatorin des Kompetenznetzwerks Rechtsextremismusprävention bei der Amadeu Antonio Stiftung, Lisa Geffken, sagte der dpa: „Die Beratungsstellen schlagen Alarm.“ Die Stiftung bekomme bereits mehr Anfragen zu Sicherheitsaspekten, etwa weil Veranstaltungen von Rechtsextremen bedroht worden seien. Daher blicke sie mit Sorge auch auf die bevorstehenden Wahlen.
Gesellschaftspolitisch ist die Stimmung seit Wochen aufgeheizt. Politiker der Ampelregierung in Berlin werden ausgebuht und niedergeschrien, es kam teils zu Rangeleien. Zuletzt bekamen vor allem die Grünen viel Ärger und Protest von Teilen der Bevölkerung ab, auch in Brandenburg zuletzt unter anderem mit einem Protestplakat in Prignitz. In Thüringen lösten Angriffe auf ein Wohnhaus und mehrere Wahlkreisbüros von Politikern Besorgnis aus: Unbekannte legten Feuer, hinterließen Hakenkreuze und warfen Scheiben ein.
Demo-Teilnehmer berichten von Aggressivität und Gewaltandrohung
Das Netzwerk „Unteilbar Elbe-Elster“ spricht von Gewaltandrohungen, Verleumdungen, Stalking, will aber weitermachen mit seinen Aktionen gegen Hass und Hetze und gegen die AfD. Demo-Organisator Christian Nürbchen berichtete, Rechtsextreme seien einige Tage nach einer Kundgebung in Herzberg mit einem Auto zu seiner Privatadresse gefahren und hätten rechtsextreme Songtexte skandiert. Dem Grünen Neumann, der sich seit Jahren gegen Rechtsextremismus engagiert, wurde in Elsterwerda das Handy aus der Hand geschlagen, wie er selber erzählte. „Es ist schon auf einem hohen Level der Aggressivität, aber es hält uns nicht davon ab, auf die Straße zu gehen.“
Seit im Januar ein Treffen rechter Radikaler in Potsdam bekannt wurde, kommen auch in vielen Kleinstädten Brandenburgs die Menschen Woche für Woche zu Protestkundgebungen zusammen. „Den Kampf gegen den Vormarsch der AfD werden wir nicht allein in Potsdam oder Berlin gewinnen – so wichtig diese Zeichen auch sind“, meinte die Linken-Landtagsabgeordnete Andrea Johlige, deren Büro in der Vergangenheit mehrfach angegriffen wurde. „In der aktuellen gesellschaftlichen Auseinandersetzung kommt es darauf an, in jedem noch so kleinen Ort die Kräfte zu stärken, die sich gegen Rechtsextremismus zur Wehr setzen.“
Politiker loben den Mut der Protestierenden gerade in der Provinz, wo rechte Umtriebe lange bekannt sind und die Anonymität der Großstadt fehlt. Gerade im Süden Brandenburgs treten Rechtsextreme stärker in Erscheinung als anderswo. Aber auch in der Uckermark sind rechte Gruppierungen angesiedelt, von Reichsbürgern bis zur rechtsextremen Kleinstpartei Der Dritte Weg. Schmierereien wie Hakenkreuze gehören dort beinahe zum Alltag.
Experten befürchten verschärfte Bedrohungslage durch Rechte
Angesichts der Protest-Welle fühlt sich die extreme Rechte aus Sicht der Opferperspektive herausgefordert. Einschüchterungsversuche gegen politische Gegner seien ein wesentlicher Bestandteil „rechter Raumergreifungsstrategien“, sagt Brügmann. Sie hält es für möglich, dass manche Menschen angesichts von Einschüchterungsversuchen lieber nicht als Redner bei einer Demo auftreten wollen. Zuletzt waren es mit 150 Teilnehmern in Herzberg weniger als zuvor. „Gehe ich mit meinem Namen in die Öffentlichkeit, wenn es eine rechte Szene vor Ort gibt?“, so Brügmann. Initiativen berichten aber auch von mehr und mehr Zulauf und der Planung neuer Aktionen gegen rechts in den kommenden Wochen.
Auch die Expertin Geffken von der Amadeu Antonio Stiftung befürchtet, dass angesichts der Bedrohungslage Menschen ihr Engagement aufgeben, sich aus der Kommunalpolitik zurückziehen und öffentliche Ämter scheuten. „Das ist ein großer Schaden für die Demokratie.“ Es könne zu den bevorstehenden Wahlen auch zu dem Problem kommen, dass Parteien nicht genügend Kandidaten finden.
Besorgnis wegen der Wahlkämpfe in Ostdeutschland
Im Wahlkampfjahr in Ostdeutschland ist jedenfalls die Besorgnis groß, dass politische Straftaten noch zunehmen. Brandenburgs Innenminister Michael Stübgen (CDU) rechnet mit mehr Übergriffen gegen Amts- und Mandatsträgern in diesem Wahljahr, wie er der „Märkischen Allgemeinen Zeitung“ sagte.
Angriffe auf Politiker, Abgeordnete und Parteienvertreter in Brandenburg nahmen nach Angaben der Landesregierung im vergangenen Jahr bereits deutlich zu. Die Polizei registrierte 224 Straftaten gegen politische Mandatsträger, 73 mehr als im Jahr 2022, wie aus den Antworten auf Anfragen der Landtagsabgeordneten Andrea Johlige (Linke) hervorgeht. Die Angaben sind bislang noch vorläufig.
Wahlkampfstände nur noch mit Personenschutz? Vor den Kommunalwahlen im Frühsommer fordert der Ostbeauftragte Carsten Schneider mehr Schutz auch für Lokalpolitikerinnen und Lokalpolitiker. Die Linke Johlige, die im Havelland lebt, befürchtet weitere Anfeindungen: „Aktuell haben wir eine sehr polarisierte gesellschaftliche Stimmung und eine hohe Akzeptanz von rechtsextremen Positionen. Da gibt es immer Leute, die sich dadurch ermutigt fühlen und den vermeintlichen Volkswillen auch durch Gewalt oder Drohungen zum Ausdruck bringen.“