In Arztpraxen und Kliniken Eine Telefonnummer für schnelle Hilfe bei Sprachproblemen
Für Menschen, die nicht gut oder gar kein Deutsch können, sind Termine beim Arzt oder im Krankenhaus nicht einfach. Dolmetscherdienste können helfen. Nur: Wer zahlt dafür?
Osnabrück/Berlin - Es ist für Eltern eine schreckliche Situation: Das Kind ist schwer erkrankt, man muss in die Notaufnahme eines Krankenhauses oder zum Arzt - und versteht die Sprache nicht. Eine solche Situation kommt in den Kinderarztpraxen und Kinderkliniken nicht gerade selten vor, und nur mit viel Glück findet sich eine Person, die als Übersetzer dienen kann.
Studien gehen der Bundesärztekammer zufolge davon aus, dass es bei Gesprächen zwischen Ärzten und Patienten oder Eltern mit Migrationshintergrund in 10 bis 30 Prozent der Fälle zu Verständigungsschwierigkeiten kommt.
Kommunikation mit Händen und Füßen nicht ideal
Fabian Bärtling kennt die Situationen, wenn Ärzte und Pflegekräfte und nicht Deutsch sprechende Familien miteinander kommunizieren müssen. Der 40-Jährige ist seit vergangenem Sommer Oberarzt im Christlichen Kinderhospital Osnabrück, der zweitgrößten Kinderklinik Niedersachsens.
„Entweder muss man sich mit Händen und Füßen verständigen, oder man hat mit Glück Personal in der Klinik, das zufällig eine zweite Fremdsprache beherrscht“, sagt er. Beide Lösungen sind nicht ideal - auch die Nutzung von Übersetzungs-Apps mache keine richtige Kommunikation möglich.
Unkomplizierter Kontakt zum Dolmetscher
Seit diesem Frühjahr nutzt seine Klinik eine medizinische Dolmetscher-Hotline des gemeinnützigen Unternehmens Triaphon. Über eine zentrale Nummer und einen Tastendruck für die benötigte Sprache wird sofort eine Verbindung zu einem oder einer Dolmetscherin hergestellt - und das zu jeder Tages- und Nachtzeit. „Es meldet sich direkt jemand, der übersetzen kann, ohne aufwendige Vermittlung“, erklärt Triaphon-Geschäftsführerin Marthe Hammer.
Insgesamt 130 Übersetzerinnen und Übersetzer stehen deutschlandweit bereit, um die Gespräche zu dolmetschen. Inzwischen werden etwa zehn Sprachen angeboten. Die Dolmetscherdienstleistung erfolgt anonym - die Sprachmittler sehen nicht, welche Klinik anruft.
Klassische „Fluchtsprachen“
Die angebotenen Sprachen decken deutschlandweit das ab, was in den Kliniken benötigt werde, sagt Hammer. Es handele sich um die „klassischen Fluchtsprachen“: Arabisch, Persisch, Bosnisch, Kroatisch und Serbisch, Polnisch, Rumänisch, Russisch, Türkisch, Ukrainisch und Vietnamesisch.
Für die Behandlung sei es ungemein wichtig, die richtigen Informationen von den Eltern zu bekommen, sagt Bärtling. Er erinnere sich noch an das Jahr 2015, als viele Menschen aus Syrien nach Deutschland gekommen waren. „Damals stand ich als Assistenzarzt in der Notaufnahme regelmäßig völlig hilflos da“, erzählt der Kinderarzt.
Kommunikation in schwierigen Situationen
Oft habe er nicht viel mehr verstanden, als dass das Kind Fieber habe. Für die Behandlung sei es aber enorm wichtig zu wissen, seit wann das Fieber bestehe, ob das Kind schon vorher einmal Fieber gehabt habe, wie lange der Aufenthalt im Ausland her sei, oder ob das Kind Husten habe. „All das sind Dinge, die man abfragt, und das ist unmöglich, wenn eine Sprachbarriere vorhanden ist“, erklärt der Mediziner.
Er erinnert sich auch an eine andere schwierige Situation. Ein sechs Monate altes Kind lag nach einer schwerwiegenden Operation auf der Intensivstation. Irgendwann sei der Punkt gekommen, dass die Ärzte bemerkten, mit der intensivmedizinischen Behandlung nur den Sterbeprozess zu verlängern, aber das Kind nicht retten zu können.
Fingerspitzengefühl gefordert
„Da musst Du mit den Eltern ins Gespräch gehen und ihnen klarmachen, dass wir es für richtig halten, die Beatmung zu beenden und die kreislaufunterstützenden Medikamente zu beenden, um das Leid des Kindes nicht in die Länge zu ziehen.“ Auch eine Übersetzungs-App sei in solchen Fällen keine gute Lösung. Eine Computerstimme eigne sich nicht, um schwierige Nachrichten mit Fingerspitzengefühl zu übermitteln, sagt auch Hammer.
Gerade in solchen Situationen sei es wichtig, mit den Eltern gut zu kommunizieren, sagt Bärtling. Denn sie müssten verstehen, was die Ärzte und Krankenschwestern denken. Es dürfe nicht der Eindruck entstehen, als würde man einfach ins Zimmer gehen und die Maschinen ausstellen. „Das wäre so verstörend, das geht gar nicht“, sagt der Kinderarzt.
Gesellschaftliches Potenzial
Derzeit nutzen etwa 170 Einrichtungen den Triaphon-Dienst, sagt Hammer. Darunter seien auch viele Arztpraxen. Gegründet wurde die Gesellschaft 2017 in Berlin von einem Arzt und einer Kinderärztin. Daneben gibt es auch kommerzielle Anbieter, die teils auch einen Übersetzungsdienst über Videocalls anbieten.
Die Ursprungsidee von Triaphon sei gewesen, das vorhandene gesellschaftliche Potenzial an zweisprachigen Menschen zu nutzen. „Es gibt so viele Menschen in Deutschland, die zweisprachig sind, und wir haben gleichzeitig einen so hohen Bedarf in so vielen Einrichtungen an Dolmetschern“, erklärt die Geschäftsführerin.
Problem: Fehlende Finanzierung
So wichtig eine Sprachmittlung für Patienten, Eltern und Ärzte im Alltag auch ist, es bleibt doch das Problem der Finanzierung. Praxen und Krankenhäuser müssen den Dienst aus der eigenen Kasse bezahlen; eine Krankenkassenleistung ist es nicht. Aber viele Kliniken stehen derzeit finanziell mit dem Rücken an der Wand, auch Insolvenzen drohen.
Die Ampelregierung hatte sich im Koalitionsvertrag von 2021 darauf verständigt, dass Sprachmittlung - auch mithilfe digitaler Anwendungen - bei notwendigen medizinischen Behandlungen Bestandteil des Sozialgesetzbuches V werden soll, das die Leistungen der gesetzlichen Krankenkassen regelt.
Kassenleistung - oder gesellschaftliche Aufgabe?
Der Deutschen Ärztetag habe 2022 den Gesetzgeber aufgefordert, diese Änderung schnell umzusetzen, sagt der stellvertretende Pressesprecher der Bundesärztekammer, Mark Berger.
Die Krankenkassen hingegen lehnen die Finanzierung von Dolmetscherdiensten allein durch die Kassen ab. Es handele sich um eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die auch mit der Integrationspolitik verzahnt werden müsse, sagt Claudia Widmaier aus der Pressestelle des GKV-Spitzenverbandes.