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Das sozialistische Traumschiff Das sozialistische Traumschiff: Wie aus der "Stockholm" die "Völkerfreundschaft" wurde

Von Kai Posmik 19.02.2010, 18:00

Halle (Saale) - Noch einmal erklingt im Januar 1960 die schwedische Nationalhymne an Bord der "Stockholm". Knapp ein Jahrzehnt ist das Passagierschiff für die "Svenska Amerika Linien" zwischen Schweden und den USA gefahren.

Schlagartig berühmt wurde das Schiff, als es auf einer dieser Fahrten 1956 die "Andrea Doria" rammt. Das viel größere Passagierschiff, der Stolz Italiens, sinkt vor der amerikanischen Küste. Nun sorgt die "Stockholm" erneut für Schlagzeilen. Denn nachdem Schwedens Flagge eingeholt ist, spielt die Bordkapelle "Auferstanden aus Ruinen." - die Hymne der DDR. Hammer, Zirkel und Ährenkranz werden gehisst und der neue Name des Schiffes an Bug und Heck freigegeben: "Völkerfreundschaft" wird das erste Kreuzfahrt-schiff der DDR heißen.

Dass der Arbeiter- und Bauernstaat so ein Urlauberschiff dringend braucht, davon ist die Führung schon länger überzeugt. Man will den Werktätigen auch etwas bieten können. Die Unzufriedenheit der Arbeiter, die 1953 im Aufstand mündete, ist noch allzu präsent.

Gleich fünf Passagierschiffe will die DDR bauen. Doch weil das dauert, übernimmt man zunächst die "Stockholm". 160 Meter lang ist das erste sozialistische Traumschiff, mit Platz für 560 Passagiere. 17,5 Millionen West-Mark hat das die devisenarme DDR gekostet. Am 24. Februar 1960 wird die "Völkerfreundschaft" zu ihrer ersten Fahrt aufbrechen. Von Rostock ins Mittelmeer, mit Stopps auf Rhodos und in Piräus.

Stolz berichten die Medien über das erste volkseigene Kreuzfahrtschiff. Die ganze DDR scheint sehnsüchtig die Jungfernfahrt zu erwarten. Auch die aus Weißenfels stammende Christa Anders wird durch einen Zeitungsartikel auf die "Völkerfreundschaft" aufmerksam. Die 29-Jährige hat gerade ihr Medizinstudium abgeschlossen und beginnt am Krankenhaus Berlin-Friedrichshain ihre Facharzt-Ausbil-dung. Dass sie 1983 ihren Dienst als Schiffsärztin auf der "Völkerfreundschaft" antreten wird, weiß sie zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Doch auch bei Christa Anders wird das Fernweh geweckt, wie bei vielen anderen DDR-Bürgern.

Denn kaum jemand träumt nicht davon, mit an Bord der "Völkerfreundschaft" zu gehen. Die Plätze sind jedoch begrenzt, nicht nur im quantitativen Sinne. Die Reisen werden von der Einheitsgewerkschaft FDGB vergeben, an "verdiente Werktätige". Wer nicht loyal zum System steht, hat keine Chance auf einen Platz auf dem Sonnendeck. Die Betriebe melden ihre Vorschläge an den FDGB. Um den Belohnungscharakter herauszustellen, sollen die Betriebe den Hauptteil der Reisekosten für ihre Werktätigen tragen. Wer für 14 Tage in See sticht, muss selbst nur 250 Mark bezahlen. Die kalkulierten Kosten pro Person liegen aber viermal so hoch. Die Differenz können sich viele kleinere Betriebe kaum leisten. So vergeben Kleinbetriebe die zugeteilten Plätze oft nur, wenn die Beschäftigten die Kosten selbst tragen. Weil sich Anfang der 1960er Jahre solche Beträge nicht jeder leisten kann, bleiben vor allem für Arbeiter vorgesehene Plätze nicht selten unbesetzt und werden an Angestellte oder Angehörige der Intelligenz vergeben. Das führt zur Verärgerung vieler Arbeiter, weil die "Völkerfreundschaft" auch mit Geld gekauft worden ist, das durch Produktionssteigerungen in der Exportwirtschaft erzielt wurde.

Die Probleme beim Absatz der teuren Reisen offenbaren schnell das größte Problem der DDR-Kreuzfahrtschiffe. Offenbar hatte das Abenteuer einer sozialistischen Ferienflotte niemand ernsthaft durchgerechnet. Von Anfang an sind die Schiffe ökonomisch nicht rentabel. Als 1961 das zweite DDR-Kreuzfahrtschiff in Dienst gestellt wird, werden die Probleme nur noch größer. Die "Fritz Heckert" erweist sich wegen technischer Mängel als Millionengrab. Probleme mit Antrieb und Stabilität des Schiffes führen dazu, dass das einzige von der DDR gebaute Ferienschiff bereits 1970 wieder außer Dienst gestellt werden muss. Der Plan, noch vier Schiffe zu bauen, wird aufgegeben - nicht nur wegen der technischen Probleme.

Denn mit dem Mauerbau sinkt der Bedarf an Kreuzfahrten schlagartig. Weil die DDR-Führung Angst vor fluchtwilligen Bürgern hat, werden die Reiseziele ausgedünnt. Statt nach Athen oder Casablanca geht es nun nach Murmansk oder Sotschi. Die Begeisterung darüber hält sich spürbar in Grenzen. Nur noch die Fahrten nach Kuba entsprechen dem Traum vieler DDR-Bürger von einer exotischen Fernreise. Außerdem werden die Urlauber noch penibler von Stasi und Polizei überprüft. Wer männlich und unter 25 Jahre alt ist, wird von den Kreuzfahrten sogar von vornherein ausgeschlossen. Die DDR-Führung hält die Fluchtgefahr bei jungen Männern für zu hoch. Vor allem die Passage vor Fehmarn und die Fahrt durch den Bosporus sind bei den Reisen ins Schwarze Meer heikel. Fluchtwillige brauchen hier nur ein paar hundert Meter zu schwimmen. Deshalb stehen an diesen und anderen küstennahen Passagen Mitarbeiter des MfS an Deck, um Republikfluchten zu verhindern.

Als Touristen getarnte Stasi-Leute sind jedoch bald nicht mehr genug. Alle Strecken werden nun darauf überprüft, wie nah sie den Küsten kapitalistischer Länder kommen. Eine im Juli 1964 eigentlich durch die norwegischen Fjorde geplante Reise nach Murmansk wird deshalb von der SED-Bezirksleitung in Rostock kurzfristig geändert.

Die Route soll nun vor der Küste Norwegens verlaufen. Als das den schon an Bord befindlichen Passagieren mitgeteilt wird, kommt es gewissermaßen zur Meuterei auf der "Völkerfreundschaft". Die Passagiere weigern sich, die Reise anzutreten. Schließlich ist die Fjordpassage das Highlight der Reise. Alles Zureden durch Reiseleitung und Schiffsbesatzung ist vergebens. Deshalb muss der Politoffizier des Schiffs Ost-Berlin über die Situation informieren. Letztlich gibt Walter Ulbricht die Order, die Reise wie geplant durchzuführen. Die Situation an Bord entspannt sich augenblicklich. Und um die Wogen endgültig zu glätten, macht man zusätzlich 10 000 Ost-Mark locker, die unter die Passagiere gebracht und an den Bars des Schiffs umgesetzt werden.

Die Reduzierung der Reiseziele, die Einschränkungen bei der Auswahl der Passagiere und Preiserhöhungen lassen das Interesse vieler der DDR-Bürger an einem Urlaub auf der "Völkerfreundschaft" oder der "Fritz Heckert" rapide sinken.

Vor allem Reisen in der Nebensaison werden zu Ladenhütern. An eine Auslastung mit "verdienten Werktätigen" allein ist nicht mehr zu denken. 1969 sind nur noch 25 Prozent der Reisenden DDR-Bürger. Um die beiden Schiffe auszulasten, müssen sie gegen Devisen an das kapitalistische Ausland verchartert werden.

Und so machen an Bord der ehemaligen "Stockholm" nun auch wieder Gäste aus Schweden Urlaub. Aber das deckt nur einen Teil der Unterhaltskosten. Jährlich muss die DDR zehn Millionen Mark aus dem Staatshaushalt für den Betrieb der Schiffe aufbringen. Resigniert stellt das DDR-Verkehrsministerium fest, dass damit "indirekt die Ferienreisen von Bürgern aus kapitalistischen Ländern subventioniert" werden.

Anfang 1985 wird die "Völker-freundschaft" außer Dienst gestellt und nach Norwegen verkauft, wo sie als Asylbewerberunterkunft genutzt wird. Nach mehreren Umbauten sticht das Schiff heute wieder als "Athena" mit Urlaubern in See. Die nächste Reise geht zum Nordkap, über Norwegens Fjorde. Bekannte Gefilde für das erste DDR-Kreuzfahrtschiff, nur ein Stopp in Murmansk ist nicht geplant. (mz)