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"Dann spiel' ich halt den Opa"

30.09.2012, 16:09

Halle (Saale)/MZ. - Seine erste Begegnung mit jener Rolle, die ihm eine Welt-Karriere ermöglichte, findet er rückblickend in dem für ihn typischen britischen Understatement "erhellend und unterhaltsam". Kurz bevor am 5. Oktober 1962 das erste Film-Abenteuer des Geheimagenten 007, "James Bond jagt Dr. No" mit Sean Connery in der Hauptrolle, in die Kinos kam, hatten die Produzenten Cubby Broccoli und Harry Saltzman auch den jungen englischen Schauspieler Roger Moore zu einer Testvorführung in ihr Büro im Londoner Stadtteil Mayfair eingeladen. Moore war damals in der TV-Serie "Simon Templar" erfolgreich. Der Legende nach hatte er die Film-Finanziers in einem Londoner Spiellokal kennengelernt. Seitdem war Moore Stammgast bei den Testvorführungen aller Bond-Filme, die noch kommen sollten.

Als Connery keine Lust mehr hatte und dessen einmaliger Nachfolger George Lazenby gescheitert war, wurde Moore im Oktober 1972 selbst für die Rolle verpflichtet. Zum 50. Geburtstag der erfolgreichsten Filmreihe der Welt hat der 84-Jährige jetzt die Anekdoten-Maschine angeworfen. In dem Buch "Bond über Bond" (Knesebeck-Verlag) schleust er in seine Erinnerungen immer wieder auch kleine Seitenhiebe auf Vorgänger und Nachfolger mit ein. Es ist eben Bond, wie Moore ihn sieht. Als er sich zum Telefoninterview aus seinem Wohnsitz in Monaco meldet, fügt er noch ein paar Sticheleien hinzu.

Mit Roger Moore

sprach Martin Scholz.

Wie möchten Sie angeredet werden - mit Sir Roger, wie es sich für einen Mann, der von der Queen zum Ritter geschlagen wurde, gehört?

Moore: Das wäre in der Tat die korrekte, wenngleich sehr formelle Anrede, finden Sie nicht? Nennen Sie mich doch einfach Charlie, Heinrich oder was auch immer Sie bevorzugen.

Dann doch lieber Mr. Moore.

Moore: Soll mir auch recht sein.

Mr. Moore, von den sechs James-Bond-Darstellern sind Sie der einzige, der den Agenten noch einmal im Alter von 84 gespielt hat. In einem Spot für Unicef traten Sie kürzlich als 007 an, um eine Kampagne für das Menschenrecht auf sauberes Trinkwasser zu unterstützen. Wie war das, im Rentenalter noch mal ein Sexsymbol zu verkörpern?

Moore: Wissen Sie, ich mache mir nicht ständig Gedanken über mein Alter. Außer, wenn ich mich morgens aus dem Bett bewege und erst mal umfalle. Als ich diesen kleinen Video-Clip über den gealterten Bond drehte, war ich glücklicherweise schon aufgestanden und konnte mich aufrecht halten. Ich hoffe jedenfalls, dass ich bei diesem Kurzauftritt einen wachen Eindruck mache. Was meinen Sie?

Ich würde sagen, Sie zeigen, dass Sie Ihren Sinn für Humor nicht verloren haben. Sie sitzen an einer Bar, sagen den legendären Bond-Spruch "Geschüttelt, nicht gerührt" und bekommen ein Glas schmutziges Wasser gereicht.

Moore: Der Coup ist, dass ich selbst diesen Spruch nie gesagt habe. Als ich die Bond-Rolle 1972 übernahm, wollte ich mich bewusst von Sean Connery abgrenzen, der eben diesen Satz geprägt hatte. Ich wollte jeglichen direkten Vergleich mit Sean vermeiden. Wir hatten lediglich Anspielungen eingebaut. Gestern Abend beispielsweise habe ich mich selbst wieder mal im Fernsehen gesehen, in "Der Spion, der mich liebte".

Ihr dritter Bond-Film, in dem Sie neben Barbara Bach auftreten, die eine russische Agentin spielt.

Moore: Ja und als ich mich da im Fernsehen beobachtete, fiel mir auf, dass Barbara mir in dem Film einen Drink bestellt und ihn mir mit den Worten "Geschüttelt, nicht gerührt" reicht. Aber ich selbst habe das nie gesagt.

Sag niemals nie.

Moore: Genau. Für Unicef habe ich nun eine Ausnahme gemacht. Wissen Sie, wenn ich durch diese Rolle überhaupt sowas wie ein Image bekommen haben sollte, bin ich froh, dass ich es in den letzten 20 Jahren in den Dienst von Unicef stellen konnte, um notleidenden Kindern zu helfen.

Es heißt, dass Sie während der Dreharbeiten zum Bond-Film "Octopussy" in Indien schockiert waren über das Ausmaß der extremen Armut dort. Waren es solche Erfahrungen, die Sie später dazu gebracht haben, sich für Unicef zu engagieren?

Moore: Ja, die Dreharbeiten in Indien waren allerdings nur eine Facette. Ich war schon vor dem Bond-Film in Indien gewesen. Und ich weiß noch, wie sehr mich gerade in diesem Land das Nebeneinander von sehr, sehr reichen und extrem armen Menschen verstört hat.

Wobei Sie mit der James-Bond-Entourage auch Teil der dekadenten Jet-Set-Welt waren.

Moore: Das heißt aber nicht, dass ich von diesem Bereich aus die Armut nicht wahrgenommen hätte. Und genau das hat mich in Indien gestört, dass die Reichen die Armen überhaupt nicht mehr beachtet haben. Noch nie zuvor hatte ich so extreme Armut gesehen wie in Indien - und die Kinder leiden unter solchen Umständen immer am meisten, weil sie keine Lobby haben. Nach meinem Abschied von Bond habe ich es als meinen Job betrachtet, daran etwas zu ändern.

Wenn Sie auf Ihre Bond-Filme zurückblicken, können Sie erkennen, was sie erreicht haben - anhand von Kritiken, Zuschauerzahlen oder Einspiel-Ergebnissen. Haben Sie mal Bilanz gezogen, was Sie in den 20 Jahren als Unicef-Botschafter geschafft haben?

Moore: Ich kann Ihnen sagen, worauf ich stolz bin: Dass ich Weihnachtskarten von reizenden Ladys in Detmold oder Dresden bekam, in denen sie mir zehn oder 20 D-Mark schickten, damals gab es noch die Deutsch-Mark, die ich an Unicef weiterleiten sollte. Mehr könnten sie sich nicht leisten, schrieben sie dazu. Das habe ich nie vergessen. Wenn Menschen, die selbst nicht viel besitzen, sich überlegen, was sie entbehren können, um anderen zu helfen, ist das für mich wahre Größe. Es gibt auch andere Beispiele: In gewissen Kreisen hat man mir auch schon eine Million US-Dollar für Unicef gegeben. Als Bond außer Dienst kann ich solche Schneeballeffekte auslösen, darauf bin ich sehr stolz.

Ist das wirklich so einfach? Sie kommen auf ein Bankett mit Staatschefs und Wirtschaftsbossen, machen Smalltalk - und am Ende sammeln Sie Schecks für Unicef ein, weil die Strahlkraft von Bond alle überzeugt, für die gute Sache zu spenden?

Moore: Bond hat mir viele Türen geöffnet. Sehen Sie, die meisten Premiers sind verheiratet, haben Frauen und Kinder. Und glauben Sie mir, alle kennen James Bond. Sie sind neugierig, mich zu treffen. Und irgendwann im Laufe des Abends erkennen sie dann meist, dass mehr Substanz in mir steckt, als der Satz "Mein Name ist Bond, James Bond" vermuten lässt. Bitte nicht missverstehen, ich bin sehr dankbar, dass ich diesen Satz so oft sagen durfte. Es hat alles am Laufen gehalten.

Dem aktuellen Bond-Darsteller Daniel Craig ist kürzlich gelungen, was keinem seiner Vorgänger vergönnt war: Er konnte neben der Queen in einem Kurzfilm agieren, der zur Eröffnung der Olympischen Spiele in London gezeigt wurde. Wie fanden Sie den Auftritt von Elizabeth II. als sozusagen oberstes Bond-Girl?

Moore: Ich fand es absolut wundervoll und charmant. Darüber hinaus war es natürlich ein großartiger Werbe-Coup im Jahr des 50. Bond-Geburtstages und eine gewaltige PR für den neuen Film, der im Herbst in die Kinos kommt.

Dabei haben Sie mal gesagt, das Ende des Kalten Krieges hätte James Bond überflüssig gemacht. Seit Craig den harten, gar nicht mehr charmanten oder humorvollen Bond gibt, sind die Einspiel-Ergebnisse jedoch höher als je zuvor. Haben Sie sich geirrt?

Moore: Ich fand Craigs ersten Film "Casino Royale" fantastisch. Der Nachfolger "Quantum of Solace" dagegen hat mich verwirrt und enttäuscht. Aber, wie ich gehört habe, soll der neue Film etwas fokussierter und klarer sein.

Sie haben sich auch kritisch über die teils schonungslose Gewaltdarstellung in den Craig-Filmen geäußert. In Ihren Bond-Abenteuern haben Sie oft nur auf Druck der Produzenten und Regisseure eingewilligt, den Agenten rücksichtsloser darzustellen. Beispielsweise als Sie einer Frau androhen, ihr den Arm umzudrehen, sollte sie Ihnen nicht die nötige Information geben.

Moore: Ja, ich hätte solche Szenen gerne anders gespielt, konnte mich aber nicht durchsetzen. Heute scheint Gewalt noch mehr im Trend zu liegen. In meinem letzten Bond "Im Angesicht des Todes" aus dem Jahr 1985 war ich am Ende schockiert, als ich feststellte, wie viele Schießereien da aneinandergereiht wurden. Das war mir bei den Dreharbeiten gar nicht aufgefallen. Das alles war für mich nicht mehr Bond.

Aber Explosionen hat es immer gegeben.

Moore: Sicher, es gab immer viele Bang-Bangs. Aber das alles war doch zurückgenommener. Ich fand es jedenfalls unnötig, die bemitleidenswerten Schurken in dem Film hochzujagen und quasi in der Luft in ihre Bestandteile zu zerlegen. Und wenn ich diesen Parforceritt absolvieren müsste, der Craig heute in den Bond-Filmen abverlangt wird…

Springen, stürzen, schlagen, schießen und vor allem bluten.

Moore: Ich hätte das auch in jüngeren Jahren nicht durchgestanden. Heute wäre ich nach dem ersten Drehtag tot.

Reden wir ein bisschen über Ihre Beziehung zu Deutschland, Sie waren hier als junger Offizier stationiert…

Moore: Ja, bei der britischen Rheinarmee, zuerst in Schleswig, dann in einem Versorgungslager in Neumünster. Danach gehörte ich zu der in Hamburg stationierten Combined Services Entertainment Unit, die für die Unterhaltung der britischen Truppen in Deutschland und Europa zuständig war. Ich war in der Armee und konnte Theater für die Soldaten spielen, mal in Trier, mal in Köln oder Celle, oder in Österreich und Italien. Es war keine schlechte Zeit.

Sie wurden unmittelbar nach Ende des Zweiten Weltkriegs nach Deutschland geschickt. Mit welchen Gefühlen kamen Sie hier an?

Moore: Ich erinnere mich noch an das Ausmaß der totalen Zerstörung. Das kannte ich aus London nur zu gut, wo wir die "Blitzes", wie wir es nannten, und alles andere überlebt hatten. Aber trotz meiner Erfahrung konnte ich mir nicht vorstellen, was die Menschen In Dresden während des Bombardements durchgemacht haben mussten. Ich habe viel darüber gelesen, aber das hatte noch einmal eine andere Dimension. Krieg ist entsetzlich. Wir hatten bei der Rheinarmee einige Deutsche angestellt, die für die Zivilregierung arbeiteten. Die Beziehungen zu ihnen waren gut. Wenn ich an meine Zeit als Soldat in Deutschland zurückdenke, fällt mir sofort die Armut ein, die ich überall beobachten konnte. Gott sei Dank, haben die USA nicht den Fehler des Ersten Weltkriegs wiederholt, als sie die besiegten Deutschen in ihrem armseligen Zustand sich selbst überließen - und so den Weg zum Nationalsozialismus mit ermöglichten. Der Marshall-Plan war eine gute Sache.

2003 hat Ihnen der damalige Bundespräsident Johannes Rau im Schloss Bellevue das Bundesverdienstkreuz verliehen. Was bedeutet Ihnen diese Auszeichnung?

Moore: (schweigt lange) Ich trage mein Bundesverdienstkreuz mit großem Stolz. Ich bekam es für meine Arbeit mit Unicef. Es war sehr bewegend und eine große Ehre für mich.

Mr. Moore, wissen Sie schon, wo Sie am 14. Oktober sein werden?

Moore: Das kann ich Ihnen genau sagen, ich werde an diesem Tag arbeiten und in einem Theater in Kingston in der Nähe von London aus meinem neuen Buch vorlesen.

Sie werden an diesem Tag 85.

Moore: Ja, wie jeden Tag wird es schon ein Wunder sein, wenn ich morgens überhaupt aus meinem Bett hochkomme. Ich finde es nicht schlimm, an meinem Geburtstag zu arbeiten.

Vom Unicef-Clip abgesehen, sind Sie seit Jahren nicht mehr in größeren Filmen zu sehen. Würde es Sie reizen, noch mal eine große Rolle anzunehmen, etwa einen Bösewicht?

Moore: Ich würde es lieben, nochmal einen Bond-Bösewicht zu spielen. Aber das wäre wohl ein zu offensichtlicher Insider-Witz. Vielleicht könnte ich das ja auch gar nicht, weil ich einfach keine Erfahrung habe, Schurken zu spielen - vom wirklichen Leben mal abgesehen. Erschwerend hinzu kommt, dass man im Filmgeschäft früh aufstehen muss - und was ich in meinem Alter davon halte, habe ich Ihnen jetzt ja mehrfach geschildert. Man sagt, es sei vor allem für Frauen ab einem gewissen Alter schwer, noch attraktive Rollen angeboten zu bekommen. Ich kann Ihnen versichern, auf alte Männer trifft das genauso zu, vor allem auf jene, die jahrelang auf Hauptrollen abonniert waren.

Ärgert Sie das?

Moore: Ach wo. Du fängst halt irgendwann an, den Opa zu spielen. Das habe ich letztes Jahr in der kleinen TV-Produktion "A Princess for Christmas" gemacht. Das ist nichts Schlimmes, da spiele ich einfach mich selbst.

Die MZ-Gesprächsserie im Internet: www.mz-web.de/gespraech