Dagmar Petrick Dagmar Petrick : Das Buch zum Brexit
Halle (Saale) - Mitten drin in dem Buch gibt es eine Trennungsszene - das knappe, beängstigend ruhige Wortprotokoll eines Beziehungs-Endes. Zitat: „Ich ertrage es nicht länger.“ Sie sagte es völlig ruhig, als würde sie sagen: „Heute regnet es.“ Und damit war es eine Feststellung. Und das „mit dir“ sagte sie besonders deutlich, weil es darauf ankam. Sie ertrug es nicht länger mit Big Chief, der ihr Mann und Robins Vater war.
Konfessionskonflikt erschütterte Provinz Großbritanniens
Robin? Der Robin, von dem hier die Rede sein soll, ist nicht etwa Robin Hood, der Rächer der Enterbten und Held von Sherwood Forest, sondern ein elfjähriges Trennungskind aus Nordirland. Aber wie besagter berühmterer Robin schon auch ein Held. Zumindest erstmal der Held einer Geschichte namens „Robin und die Farben der Bordsteine“, die die hallesche Autorin Dagmar Petrick kürzlich vollendet und im Neukirchener Verlag veröffentlicht hat: Vollendet übrigens mehr als ein Vierteljahrhundert nachdem die Erzählerin die Grundzüge ihrer Story vor Ort erlebt und recherchiert hatte - als noch ganz junge Sprachlehrerin in der seinerzeit von einem schon zwei Jahrzehnte währenden, blutigen Konfessionskonflikt erschütterten Provinz Großbritanniens. Dagmar Petrick, aus Ludwigsburg (Baden-Württemberg) stammend, hat Filmwissenschaften, Theologie und Anglistik studiert und - außer in Nordirland - auch in den USA gearbeitet und gelebt, bevor sie sich mit ihrem Mann in Halle niederließ. Inzwischen sind hier vier Söhne dazugekommen - und eigene Bücher verfasst wie „Ein Hund, der vom Himmel fiel“.
Buch „Mit Gott im Kino“
Zudem ist die 45-jährige Autorin in ihrem angestammten Fach tätig - als Filmkritikerin oder gelegentlich als Jurorin - und hat ihre Expertise unter anderem in dem Buch „Mit Gott im Kino“ verarbeitet - einem gedanklichen Brückenschlag zwischen großen Kinoerfolgen und Themen des christlichen Glaubens.
Der spielt auf dezente aber erkennbare Weise auch in ihrem neuen Buch eine Rolle - nicht zuletzt als zentrales Konfliktpotenzial zwischen protestantisch und katholisch geprägten Bevölkerungsgruppen: Eines Konflikts, der zu absurden und brutalen Grenzziehungen quer durch Familien, durch Städte und Dörfer führte - markiert mit den Farben der jeweiligen Gruppen auf besprühten Bordsteinen, die bei Dagmar Petrick zu einer starken, tragfähigen Titelmetapher geworden sind.
Mut wird dringend gebraucht
Das Buch schildert die politische Zerreißprobe auch als Zerrissenheit einer gemischt konfessionellen Ehe und als Zerreißprobe für einen Halbwüchsigen - schildert dies alles auf ebenso berührende wie einfühlsame Weise. Und ist eher zufällig erst jetzt fertig geworden. Oder war es doch so etwas wie Fügung? Nach der britischen Zerreißprobe des knapp gescheiterten schottischen Referendums und quasi parallel zum „Brexit“, mit dem sich eine Mehrheit der Briten von der wohl auch als „Big Chief“ empfundenen Brüsseler EU-Zentrale losgesagt hat. Oder in einer Zeit, da auch in Deutschland plötzlich alte Gräben aufbrechen - und neue, kaum mehr für möglich gehaltene, hinzukommen. Dagmar Petrick und ihre nordirischen Freunde fürchten nun, dass der dortige Konflikt zwischen den britisch und den irisch tickenden Bevölkerungsgruppen erneut ausbrechen und wieder blutig werden könnte. Und was dann?
Das Buch der Hallenserin zeigt ein paar Wege auf - kindgemäße Lösungen im Kleinen, die mit Blick auf die größeren Zusammenhänge durchaus geeignet wären, die Fantasie auch maßgeblicher Leute anzuregen. „Das Buch macht Mut, eigene Schritte zu gehen, zuzuhören, anders zu sein“, schrieb gerade ein Kritiker. Scheint fast so, als würde diese Art Mut augenblicklich mal dringend gebraucht. (mz)
Dagmar Petrick, „Robin und die Farben der Bordsteine“, 12.99 Euro. Buchpremiere am Donnerstag, 18. August, 19 Uhr, Lichthaus - Dreyhauptstraße 3.