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Claus Kleber und Frank Schätzing Claus Kleber und Frank Schätzing: «Sagen wir ruhig: Es nervt!»

02.12.2012, 15:39

Halle (Saale)/MZ. - Das Sammeln von Fakten ist für beide eine Leidenschaft. Die Quellenangaben ihrer Bücher sind zum Bersten gefüllt mit Hinweisen auf wissenschaftliche, militärische oder politische Studien und Quellen.

Frank Schätzing hat solche Fakten aus der Meeres- und Klimaforschung als Grundlage für seinen 1.008 Seiten umfassenden Thriller "Der Schwarm" genommen.

Heute-journal-Moderator Claus Kleber recherchierte in Afrika, Südamerika, in der Arktis oder im Südpazifik, wo sich die Folgen des veränderten Weltklimas schon heute zeigen. In der Fiktion hat Schätzing solche bedrohlichen Szenarien schon vorweggenommen.

Die beiden treffen sich in Schätzings Büro in Köln, um über die Wechselwirkung zwischen Dichtung und Wahrheit zu reden.

Mit beiden sprachen Joachim Frank und Martin Scholz.

Herr Kleber, Herr Schätzing, haben Sie je mit Feuerquallen Bekanntschaft gemacht? Oh ja, in den 80ern auf den Malediven. Fiese Viecher. Ich hab heute noch Spuren von Verätzungen am Bein.

Kleber: Bei mir war es ähnlich, aber im Roten Meer. Sehr schmerzhaft.

Die Feuerqualle verbindet Ihre beiden Bücher: In Frank Schätzings "Schwarm" treiben sie ihr Unwesen. In Ihrem neuen Buch, Herr Kleber, beschreiben Sie die reale Feuerquallen-Plage von 2006 auf den Balearen - eine Folge des Klimawandels. Wird Ihnen mulmig, wenn Sie sehen, wie die Fiktion die Realität vorwegnimmt?

Kleber: Es ist nicht so, dass ich bei meinen Recherchen über den Klima-Kollaps Angst gehabt hätte. Wobei Frank Schätzing ja Katastrophen-Szenarien in ganz anderen Größenordnungen entwirft. Aber in der Realität hat die internationale Gemeinschaft im Kalten Krieg schon einmal gezeigt, dass sie eine existenzielle Gefahr mit Vernunft und Gesprächen bannen kann. Darauf vertraue ich auch jetzt.

Nur sind die Konfliktlinien andere. Im Kalten Krieg standen sich zwei Supermächte gegenüber. Heute sind es der Mensch und eine unberechenbar gewordene Natur.

Schätzing: Irrtum! Erstens gibt es keinen Konflikt Mensch-Natur, weil der Mensch selbst Teil der Natur ist. Zweitens war die Natur immer schon unberechenbar. Meines Erachtens sollten wir weniger Energie auf die Frage verwenden, was wir gegen den Klimawandel tun können, als vielmehr Strategien entwickeln, wie wir besser mit ihm leben können.

Kleber: Allerdings führen wir Menschen den Wandel selbst herbei, und das obendrein in einem aberwitzigen Tempo. Das ist die neue Qualität.

Schätzing: Wirklich? Beschleunigen, ja. Aber herbeiführen? Wie viel vollzieht sich ohne unser Zutun? Wir leben seit gut 100 000 Jahren in einer Kaltzeit, aktuell aber im Holozän, einer Zwischenwarmzeit. Und auch die durchläuft Zyklen. Wenn wir alles auf den Menschen schieben, wird Klimawandel zur Glaubensfrage.

Sie sind beide in der Rolle der Welterklärer - als Literat wie als Journalist. Zurzeit findet die UN-Weltklimakonferenz in Katar statt, von der nicht mehr als eine weitere Phantomdebatte erwartet wird…

Schätzing: Sagen wir ruhig: Es nervt!

Kleber: Wir wissen, dass schon der Begriff "Klimawandel" in unseren Programmen ein Abschaltimpuls ist. Aber gerade ihr Bestseller "Der Schwarm" war da für mich eine Ermutigung.

Klimaforscher rechnen vor, dass statt der Erderwärmung von zwei Grad, eher mit einem Anstieg auf vier Grad zu rechnen sei. Müsste es angesichts dessen nicht längst eine Art Occupy-Bewegung gegen den Klimawandel geben?

Schätzing: Super, und gleich auch eine gegen Meteoriteneinschläge. Wofür sollte das gut sein? Wir brauchen keine diffusen Erregungen, sondern klare Lösungen. Klimaziele, Länderverträge. Dazu gehört, dass sich Völker und Staaten als Teil einer einzigen Menschheit begreifen und die Bedürfnisse des anderen respektieren

Kleber: Schau an, der Thriller-Autor erhebt blauäugig Forderungen. Ach, da sehe ich, Sie haben genau so blaue Augen wie ich. Auch mir wirft man gelegentlich vor, dass das nicht nur äußerlich sei.

Schätzing: Zwei Blauäugige retten die Welt. Ist doch was.

Kleber: Was Sie eben über die "eine Menschheit" gesagt haben, das habe ich genau so auch aus dem Mund von Vier-Sterne-Generälen gehört. Weil die verstanden haben, dass Kriege um Ressourcen ebenso wenig zu gewinnen wären wie Abwehrschlachten gegen Millionen von Menschen, die auf der Flucht vor Naturkatastrophen und Hungersnöten gegen die Grenzen benachbarter Staaten branden.

Ihre Visionen vom globalen Konsens setzen voraus, dass wir im Westen unseren Lebensstil radikal ändern müssten.

Schätzing: Nicht radikal. Gerechte Verteilungsmodelle dienen allen. Zur Sicherung unseres Wohlstands gehört auch, dass es anderen besser geht.

Sehen Sie wirklich die Chance, dass es dazu bald kommt, wenn wie jetzt 193 Staaten beim UN-Gipfel am Ende doch wieder nur zu einem Minimalkompromiss erreichen?

Kleber: Ihre Zweifel sind berechtigt. Selbst wenn wir ab heute Abend 18 Uhr alle Klimaschutz-Ziele einhielten, wären viele Fehlentwicklungen nicht mehr aufzuhalten. Trotzdem müssen und können wir weiteren Raubbau an vielen Orten des Planeten verhindern, ohne dass wir im Westen künftig in Sackleinen herumlaufen und wieder wie früher in Lehmhütten leben müssten.

Schätzing: Das Internet und die wachsende Macht der NGOs machen es Politikern und Firmen heute schwerer, Schweinereien zu vertuschen. Hinzu kommt, dass noch nie so viele grüne Ideen umgesetzt wurden wie derzeit. Oft kleine Lösungen, die in ihrer Gesamtheit aber eine Menge ausrichten. Tröpfchenbewässerung in Israel, solarbetriebene Trinkwasseraufbereitung in Afrika.

China zählte bei bisherigen UN-Klimagipfeln immer zu den Bremsern. Sie sagen, das Land hat das Zeug, ein Vorreiter zu werden für grüne Technologien. Warum?

Kleber: Nicht wirklich. Die Chinesen denken zwar strategisch - über die nächsten fünf Jahre hinaus. Aber sie schaffen es nicht, die demokratischen Kräfte für den Fortschritt zu nutzen - aus Angst vor Kontrollverlust. Aber es ist schon faszinierend: Ich habe in der Mongolei gewaltige Windfarmen mit über tausend Mühlen gesehen. Dann beschließt die Partei, wir brauchen für die Stromverteilung 3000 Kilometer Hochspannungsleitungen. Und am nächsten Morgen fangen sie an zu graben. Schätzing: Es ist bequem, China als Dreckschleuder der Welt zu diskreditieren. Und dumm. Die Chinesen schauen nach Westen und sagen: Ihr habt Eurem Wohlstand die Umwelt geopfert, und jetzt sollen wir eure Rechnungen begleichen? Und verweisen auf ihre grünen Technologien. Mit diesem grünen China müssen wir zusammenarbeiten, statt uns fortgesetzt über das andere zu beschweren.

Ist das, was Sie sagen, Herr Kleber, ein Plädoyer für autokratische Regimes?

Kleber: Nein, weil Diktaturen weder externe Kontrolle zulassen noch ein Querdenken, das Innovationen ermöglicht. Darum ist die offene Gesellschaft, in der Individuen und Gruppen scheinbar chaotisch und ineffizient durcheinander reden, einem zentralen System letztlich überlegen.

In Ihrem Roman "Limit", Herr Schätzing, ist China im Jahr 2025 die neue Supermacht und trägt den alten Kampf um Ressourcen einfach nur an neuem Ort aus, nämlich auf dem Mond. Steht der Pessimismus des Romans nicht im Widerspruch zu dem, was Sie hier an Optimismus verbreiten?

Schätzing: Ich verbreite Realismus. Der Mond ist nur ein weiterer Kontinent.

Kleber: Und warum auch nicht? Wenn es technisch möglich ist, spricht nichts dagegen, Rohstoffe auf dem Mond zu fördern und auf der Erde ökologisch sinnvoll zu nutzen.

Schätzing: Und natürlich wird auch dieses Fördern im Plündern enden. Umso wichtiger, die Entwicklung erneuerbarer Energieträger voranzutreiben.

Wo aber ist auf der globalen Ebene die ordnende Hand für den Gebrauch der Technik?

Kleber: Das können bei aller Skepsis nur die Vereinten Nationen sein. Deren Zeit beginnt eigentlich erst. Bisher wurden die UN von den Großmächten - speziell von den USA -, benutzt, wenn es ihnen in den Kram passte. Und torpediert, wenn sie ihnen in die Quere kamen. Deswegen ist es jetzt wichtig, diese Institution zu stärken.

Auf lange Sicht müssen die Vorrechte der fünf Veto-Mächte - USA, Russland, China, Großbritannien und Frankreich - fallen. Als Mitglieder zweiter Klasse werden sich Nationen wie Brasilien oder Indien nämlich nie in einen Club einbinden lassen, in dem sie nichts verhindern können, ihnen aber alles verordnet werden kann.

Schätzing: Vielleicht sollten wir mal auf das Thema Angst zu sprechen kommen. Alle bekunden Angst vor dem Klimawandel. Aber Angst ist ein schlechter Ratgeber, paralysiert, verhindert Lösungen. Die Medien nähren diese diffuse Angst mit einem bedenklichen Hang zum Katastrophieren. Bestes Beispiel: der Blödsinn vom ertrinkenden Eisbär ...

Das Schmelzen der Polkappen ist doch Fakt.

Schätzung: Fakt ist, dass der Eisbär in den 600 000 Jahren seiner Existenz eine ganze Reihe Warmzeiten prima überstanden hat. Ihn zum Inbegriff der Klimakatastrophe zu machen, ist faktisch Quark.

Kleber: Gerade für uns Fernsehleute ist der Eisbär immer ein schönes Bild.

Schätzing: Gut für die Quote!

Aber Sie, Herr Schätzing, sind der Angstnährer. Im "Schwarm" lassen Sie den Golfstrom abbrechen und halb Europa untergehen.

Kleber: Anders herum ist es richtiger, glaube ich: "Der Schwarm" hat sich von der deutschen Angstgesellschaft gut ernährt, sie aber nicht entstehen lassen.

Schätzing: Es ist ein Unterhaltungsroman. Horror als Spaßfaktor.

Kleber: Aber überzeugend!

Schätzing: Die Lösungen hab ich im Sachbuch nachgereicht: "Nachrichten aus einem unbekannten Universum." Und auch Claus Kleber hat ein Sachbuch geschrieben, dessen Optimismus überzeugt, weil er auf hervorragender Recherche fußt. Wir präferieren das gleiche Rezept gegen Angst: Informieren, und zwar richtig!

Kleber: Zu Frank Schätzings Klage über die Angstgesellschaft fallen mir meine Erfahrungen in Kalifornien ein. Wenn Sie dort mit Menschen über Klimawandel sprechen, dann leuchten die Augen, dann ist von "Chancen" die Rede, von neuen Techniken und Anwendungen. Der Internet-Pionier Elon Musk zum Beispiel hat sich auf die Entwicklung von Solarautos gestürzt. Rasante Beschleunigung, ein großes Fahrvergnügen. Und die Energie kommt vom Garagendach. Die Devise zur Solartechnik dort heißt: "It makes sense, and it's big fun" - hat Sinn und macht Riesenspaß. In Deutschland dagegen höre ich immer bloß: "O Gott, o Gott, der Golfstrom! Wir werden alle untergehen." Kein Wunder, wenn das irgendwann in Verweigerung umschlägt und die Leute sagen: "Ich glaube diesen ganzen Mist nicht." Mit unserer ganzen Problemfixiertheit fördern wir am Ende bloß …

Schätzing: … die Ignoranz.

Kleber: Ja, und eine Mentalität, die auf Verbot, Einschränkung, Reglement setzt, statt auf Entwicklergeist und Initiative.

Schätzing: Das Problem ist der Vertrauensverlust in der Bevölkerung. Früher, wenn dir was unklar war, hast du den Experten gefragt. Auf den war Verlass. Nun marschieren plötzlich Heerscharen von Experten mit Doktortitel und Expertise auf und sagten, jawoll, er kommt, der Klimawandel. Gefolgt von ebenso vielen Gegenexperten, auch mit Titel und Expertise, die sagen, alles Quatsch. Der meistentwertete Mensch unserer Zeit ist der Experte. Wem, was, woran sollst du noch glauben? Bleibt nur, sich selbst um Verständnis zu bemühen. So entsteht Gestaltungswille, entstehen Lösungen. Und Lösungen gibt es zuhauf, nur haben wir hier diesen fatalen Hang zum Schwarzmalen. Immer in der Erwartung des Big Bang. Bloß, der hustet uns was. Weltuntergang in ständiger Umdatierung. Am Ende laufen wir ins Kino, gucken Emmerichs "2012", nur um den Druck loszuwerden.

Ein Plädoyer für oder gegen Katastrophenthriller?

Schätzing: Das fragen Sie mich? Dafür natürlich! Katastrophen im Kino sind toll, auch im Roman. Aber nicht als Dauerprogramm im Kopf.

Es ist schon kurios, Ihnen beiden zuzuhören. Da sitzen der Katastrophen-Autor und der Chronist des Erderwärmung und sind sich einig, dass wir beim Klimawandel schon mittendrin stecken - und reden beide wie Wanderprediger des Optimismus.

Schätzing: Weil die Menschheit eine äußerst lernfähige, anpassungsfähige Spezies ist. The Big One wird Amerikas Westküste zerdeppern, La Palma abrutschen, alles richtig, aber es wird nicht das Ende der Zivilisation sein. High-Tech bewahrt uns nicht vor den Unbilden der Natur, aber sie kann helfen, mit den Folgen klarzukommen. Entscheidend sind positives Denken, Tatkraft und Mut. Wenn wir im Vermeidungsmodus verharren, können wir nur verlieren.