China China: 30 Jahre nach der Erdbebenkatastrophe von Tangshan

Peking/dpa. - Das Erdbeben in Tangshan vor 30 Jahren war dasschlimmste des 20. Jahrhunderts. «Ich wachte auf, weil das Haus starkschwankte und das Dach laute Geräusche machte», erinnert sich CuiShupin. «Ich griff schnell meine Tochter und versuchte, aus dem Hauszu kommen - vergeblich.» Das Haus stürzte ein, Mauerteile begrubensie und das Kind. «Ich lag mehr als fünf Stunden unter den Trümmernund wäre fast erstickt.» Ihr Schwiegervater grub sie heraus. Daatmete sie fast nicht mehr. Die zweijährige Tochter überlebte nicht.«Ich erinnere mich nicht gerne daran», sagt die heute 62-Jährige undfängt an zu weinen. «Es tut sehr weh, wenn ich daran denke.»
Chinesische Seismologen geben die Stärke des Erdbebens um 3.42 Uhrin der Nacht zum 28. Juli 1976 mit 7,8 auf der Richterskala an.Andere Experten sprechen von 8,2. Die eine Million Einwohner dernordchinesischen Stadt, etwa eine Stunde von Peking entfernt, wurdenim Schlaf überrascht. Nach amtlichen Angaben starben 242 000Menschen. 160 000 wurden verletzt. Andere Quellen wollen von mehr als300 000 oder möglicherweise sogar mehr als 500 000 Toten wissen. Dasschwere Beben erschütterte auch Peking, wo gerade ein Machtkampf inder kommunistischen Führung tobte. Die Katastrophe wurde als Zeichendes Himmels gewertet, dass das Ende der Ära des «großen Steuermanns»Mao Tsetung nahte. Er starb tatsächlich sechs Wochen später.
In den ersten Stunden gruben Überlebende die Opfer mit den Händenaus den Trümmern. «Sie waren die ersten Retter», berichtet CuiShupin. Ihr Mann Li Junfeng war in der nahe gelegenen HafenstadtQinhuangdao, kehrte nach den ersten Nachrichten am Morgen zurück. Aufder Straße nach Tangshan erlebte er ein schweres Nachbeben der Stärke7,1, das in der Stadt weitere Opfer unter Verschütteten und Retternforderte. «Die Strommasten schwangen hin und her.» Seine Frau hatteviele Knochenbrüche erlitten. Wegen einer bis auf den Knochen offenenWunde an der Ferse wollten Ärzte den Fuß amputieren. Doch wurde siein die Provinz Shandong gebracht, wo sie fünf Tage später mit 41 GradFieber in Dezhou eintraf. «In meiner Wunde wurden Maden gefunden.»Die Ärzte operierten sie, verpflanzten Haut, retteten den Fuß.
In Tangshan waren derweil 100 000 Soldaten für Bergungsarbeiteneingetroffen, hatten aber kein schweres Gerät. Aus ideologischenGründen, dass das kommunistische China schon allein mit derKatastrophe fertig werden müsste, wurde internationale Hilfe wie etwades Roten Kreuzes abgelehnt. «Es war eine Ruinenstadt», erzählt LiJunfeng. «Ich konnte vom Westen bis zum Osten schauen. Wir bautenkleine Hütten.» Es fehlte vor allem an Wasser. Trinkwasserrohre warenzerstört. «Einige Leute tranken sogar Abwasser einer Papierfabrik.»Soldaten trugen Wasser in Schüsseln zu Fuß von weit her. Erst knappzwei Wochen später trafen 13 Wasserwagen aus Peking ein. Leichenwurden geborgen, an Ort und Stelle beerdigt oder in Vororte gebracht.Um Epidemien zu vermeiden, versprühten Hubschrauber Chemikalien. Derbeschädigte Douhe-Damm nahe Tangshan drohte zu brechen und die Stadtmit Wasser zu überfluten.
«Mein Onkel und meine Tante wurden getötet», erzählt Li Junfeng.«Ihre beiden Kinder wurden von meinen Eltern aufgezogen.» Als seineFrau zwei Monate nach der Katastrophe nach Tangshan zurückkehrte,entschied sich das Paar, wieder ein Kind haben zu wollen. Cui Shupingwurde schwanger. Ihr zweites Kind wurde 1977 geboren, studiert heutein Peking. Die Erinnerung an die Katastrophe lässt die Überlebendenauch heute nicht los. «Manchmal habe ich noch Albträume, obwohl ichan jenem Tag nicht einmal in Tangshan war», sagt der 61-Jährige.«Meine Frau hat noch viel Angst.»
Heute ist Tangshan längst wieder aufgebaut, eine ruhigeProvinzstadt mit breiten Straßen, glitzernden Fassaden und mehr alseiner Million Einwohnern. An das Leid der Opfer damals wollen dieBehörden heute nicht gern erinnern. Das Außenamt verweigerte sogarder Deutschen Presse-Agentur (dpa) in Peking die in China fürausländische Korrespondenten erforderliche Genehmigung zum Besuch derStadt. Das Amt befürchtete, dass zum 30. Jahrestag die Leistungenbeim Wiederaufbau nicht ausreichend gewürdigt würden.
Dabei haben Überlebende wie Li Junfeng viel Positives zu erzählen.Ihm ist besonders die selbstlose Hilfe der Menschen in Erinnerunggeblieben. «Die Tangshaner damals sind aus meiner Sicht alles Helden.Ihr starker Wille, den Verletzten zu helfen und die Stadt wiederaufzubauen, war sehr bewegend.» Die Hilfe anderer sei ihm Motivationgewesen weiterzumachen. «Manchmal bin ich deprimiert», sagt der 61-Jährige. «Aber das Leben hört nicht auf, wir müssen nach vorneschauen.»

