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Broiler Bullette und Nietenhose Broiler Bullette und Nietenhose: DDR-Sprache im Wandel der Zeit

Von Ulrike von Leszczynski 12.06.2014, 09:42
Brathähnchen, Hendl, Broiler? Hauptsache köstlich!
Brathähnchen, Hendl, Broiler? Hauptsache köstlich! dpa Lizenz

Berlin/MZ - „Ham wa nich“ - das bekommt so mancher Gast im Osten Berlins zu hören, wenn im Restaurant die Buletten ausgegangen sind. Für den Touristen mag die Berliner Schnauze gewöhnungsbedürftig sein, Sprachforscher wundern sich weniger. Denn im Osten der Hauptstadt war der schnoddrige Dialekt zu DDR-Zeiten gewollt, schon als subtile Verteidigungsstrategie gegen das Sächsische.

Von den mehr als 1.000 Worte, die typisch für die Sprache der DDR waren, haben sich nur wenige gehalten. Dazu gehören Broiler, Datsche oder Soljanka. Verschwunden sind Abschnittsbevollmächtigter, VEB (volkseigener Betrieb), Jahresendprämie oder Brigadetagebuch. Durch westdeutsche Begriffe ersetzt wurden Kaufhalle (Supermarkt), Feinfrost (Tiefkühlware), Plaste (Plastik) oder Kaderakte (Personalakte). Eingang in die gesamtdeutsche Sprache fanden etwa „abnicken“, Zielstellung, oder Poliklinik. (dpa)

Was aber passierte, wenn in einem Restaurant im Westen die Hackbällchen knapp wurden? Sprachforscher Norbert Dittmar muss bei dieser Frage lachen. „Da hat der Kellner wahrscheinlich gesagt: Muss ich erst mal gucken“, sagt der emeritierte Professor der Freien Universität. Doch das ist es dann auch schon. Ob nun Wortwahl oder Kommunikationsgewohnheiten - für Dittmar ist die sprachliche Wiedervereinigung seit mehr als zehn Jahren abgeschlossen. Das heißt, Worte und Codes haben heute in Ost und West eine identische Bedeutung.

Doch Wiedervereinigung ist für den Linguisten Manfred Hellmann das falsche Wort. „Das war eine sprachliche Übernahme“, sagt er. Und die enorme Anpassungsleistung haben demnach die Ostdeutschen fast allein erbracht. Von 1964 bis 2001 hat Hellmann als Wissenschaftler für das Institut für Deutsche Sprache (IDS) die Redegewohnheiten im Osten studiert. Die Wendezeit ist ihm dabei als sprachlich-kommunikatives Chaos in Erinnerung geblieben.

Auf der nächsten Seite: Warum Westdeutsch im Osten Zweitsprache war und warum sich die "Niethose" nie durchgesetzt hat.

Viele DDR-Bürger mussten „Westdeutsch“ wie eine Zweitsprache lernen, wie Hellmann sagt. Es hieß jetzt Personalakte statt Kaderakte und Team statt Kollektiv. Es gab auch Wörter, die gleich aussahen, aber eine andere Bedeutung hatten - wie Bilanz, Bewusstsein oder Freiheit. Und während der Westdeutsche locker „ich“ sagte, sprach der Ostdeutsche lieber von „man“ oder „wir“ - eine Folge von unterschiedlichen Gesellschaftssystemen, die 40 Jahre lang getrennt waren.

Das vierte Deutsch

„Die Ostdeutschen mussten alle neuen Bezeichnungen und Codes lernen, um sich zurechtzufinden“, sagt Doris Steffens. Früher forschte sie in Ost-Berlin, heute am IDS in Mannheim. „Zum Beispiel war das Wort Angebot im Sinne von günstig in der DDR nicht geläufig“, berichtet sie. „Wir waren ja schon froh, wenn bestimmte Waren überhaupt angeboten wurden.“

Die Unterschiede kamen nicht von ungefähr. Spätestens seit dem Ringen um internationale Anerkennung in den 70er Jahren wollte sich die DDR auch sprachlich vom Westen abgrenzen. Die Verlautbarungssprache der SED in Wortwahl und Genitiv-geprägter Grammatik sei auffällig gewesen, so Steffens. Am liebsten hätte die DDR eine vierte Variante des Deutschen etabliert, neben der Bundesrepublik, der Schweiz und Österreich. „Aber da haben die Wissenschaftler nicht mitgemacht“, betont Steffens. Auch in der Bevölkerung hätten sich Wörter wie „Niethose“ für die begehrte Jeans nie durchgesetzt. Und dass jemand in der DDR „Jahresendflügelfigur“ zum Weihnachtsengel gesagt habe, sei schlicht eine Wende-Legende. „So hat doch bei uns kein Mensch gesprochen.“