Brandenburg Brandenburg: Unsterbliche Leichen
Halle/MZ. - Reichlich Stoff, um die Wartezeit abzukürzen, aber die gibt es gar nicht. Es geht sofort los und zwar mit einem Exkurs in die Geschichte der Anatomie. Niemand strebt eilig durch diesen Ausstellungsraum, um sofort zum Höhepunkt, der Schauwerkstatt, zu gelangen. Ausnahmslos alle Besucher lassen sich ein auf die historischen Fakten. Die besagen immerhin, dass schon Leonardo da Vinci Leichen stahl für seine anatomischen Studien. Und einen Reiter mit Pferd als präpariertes Ausstellungsstück gibt es nicht erst seit Gunther von Hagens, sondern den schuf schon der französische Anatom Honoré Fragouard, der im 18. Jahrhundert lebte.
Auffallend vor dem Werkstattteil des Plastinariums ist das große Schild an der Tür: Fotografieren erlaubt! Vor dem Besucher tut sich ein heller Saal auf, lila-pink der Fußboden, mehrere Inseln mit Werkstattbereichen. Angestellte beantworten Fragen, geben Erklärungen. Einige gehen ihrer Arbeit nach, präparieren. Die Körper sind teilweise verhüllt, die Gesichter respektvoll abgedeckt.
Olaf Rieck spricht nur von "Bodys", wenn er Auskünfte gibt. Der 42-jährige ehemalige Motorenschlosser ist beeindruckt von seinem neuen Arbeitsplatz und sagt, dass er noch nie so gern gearbeitet habe. Als seine Tochter Physiotherapeutin wurde, begann auch er sich für Körper zu interessieren. Er wurde angelernt, absolvierte einen Kurs in China, macht aber "alles was anfällt" und hat auch schon den Radlader gefahren, als das Gebäude noch hergerichtet wurde.
Gäste drängen sich um Steffen Kämeling, der seine Exponate vor sich stehen hat. Der 43-jährige gelernte Schlosser experimentiert mit Kunst- und Farbstoffen, um die feine Struktur von Blutgefäßen darzustellen. Hühner, Enten, Frösche, ein Hase sind zu sehen, viel mehr ausschließlich ihre Blutgefäße, die trotzdem den Körper erkennen lassen. Der vierjährige Maurice, der sie mit seinen Eltern betrachtet, ist davon allerdings überfordert. Vater und Mutter wollen ihn hier eigentlich mit dem Tod vertraut machen "weil der Hund gestorben ist", allein mit ihren Erklärungen kann das Kind nichts anfangen.
Überall hängen Bildschirme an der Decke, alles, was bei der Plastination stattfindet, wird in Filmsequenzen gezeigt und ausführlich erklärt. Viele Besucher schauen mehr auf die Bildschirme als auf die echten Stücke. Dennoch sind sie der eigentliche Anziehungspunkt. Der 17-jährige Gymnasiast Martin Voigt begründet sein Interesse für die Ausstellung eben "mit der Faszination des Echten". Seine Mutter ist Elternsprecherin und findet es bedauerlich, dass offizielle Schulausflüge ins Plastinarium in Brandenburg durch Jugendminister Holger Rupprecht untersagt wurden. Dieser sieht darin "ein erhebliches Gefährdungspotenzial" für die Persönlichkeitsentwicklung und beruft sich auf das Jugendschutzgesetz. Ein Gesprächsangebot durch von Hagens schlug er gestern endgültig aus.
Ein Stück weiter steht ein Smart mit einem Skelett auf dem Beifahrersitz. Eine rundliche Frau hat sich auf die Fahrerseite gedrängelt und lässt sich mit dem außergewöhnlichen Co-Piloten fotografieren. Da schüttelt manch anderer Besucher den Kopf.
Im Schauraum mit dem dunkelroten Fußboden und der schummrigen Beleuchtung stehen sie nun: die aus den Körperwelten-Ausstellungen hinreichend bekannten Kunstwerke, die einmal Menschen waren. Schachspieler, Lassowerfer, Handy-Man, Läufer. Vor diesen staunen die achtjährigen Zwillinge Julia und Jenny, mit dabei die ältere Schwester Laura und die Freundin Nora. Mutter Kerstin Traut besuchte die Ausstellung erst mit ihrem Mann, befand sie für lehrreich und ist deshalb mit den Kindern hier. Die bewundern das Spiel der Muskeln, fürchten sich nicht und sind auch nicht angeekelt.
In einem Seitenflügel können sich Interessierte bei Cornelia Uhlmann informieren, wie man selbst zum Körperspender wird. Verfügungen nimmt sie selbstverständlich nicht entgegen. Die 44-Jährige beantwortet Fragen und verteilt Merkblätter. Im Kraftwerk Jänschwalde hat sie einst gearbeitet, eine Umschulung zum Tischler hinter sich, ursprünglich war sie Textilfacharbeiterin.
Drei ältere Damen aus Cottbus waren auch schon zur Körperwelten-Ausstellung seinerzeit in Berlin. Würden sie sich selbst zur Verfügung zu stellen? Die drei haben kein Problem mit dieser Frage. Warum nicht, meint eine, hier als Leiche zu sitzen sei angenehmer als unter der Erde zu liegen.
Und auch sie betonen, was alle Besucher und Angestellten vor ihnen schon gesagt haben: welche Chance das für Guben sei, wie enorm wichtig jeder Arbeitsplatz ist. Plastinariums-Marketingchefin Gabriele Scharkowski war zuvor übrigens Geschäftsführerin des Gubener Fremdenverkehrsvereins.