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Berüchtigster Verbrecher der Niederlande Berüchtigster Verbrecher der Niederlande: Der eigene Bruder will Astrid Holleeder töten

16.08.2018, 10:13
Eine Fotografie der Familie: Stien (l-r), Sonja, Gerard, Willem, Astrid und Wim aus dem Jahr 1966 die in dem Buch: "Judas" von Astrid Holleeder veröffentlich ist.
Eine Fotografie der Familie: Stien (l-r), Sonja, Gerard, Willem, Astrid und Wim aus dem Jahr 1966 die in dem Buch: "Judas" von Astrid Holleeder veröffentlich ist. Kiwi Verlag

Amsterdam - Sie ist eine der bekanntesten Frauen der Niederlande - doch kaum einer weiß, wie Astrid Holleeder aussieht. Es gibt keine aktuellen Fotos von ihr. Sie lebt an einem geheimen Ort, fährt in einem gepanzerten Auto. Die Amsterdamerin steht auf der Todesliste ihres eigenes Bruders, davon sind sie und die Staatsanwaltschaft überzeugt.

„Er will mich töten, lieber heute als morgen“, sagt die 52-Jährige der Deutschen Presse-Agentur in Amsterdam. Und sie versteht ihn: „Ich habe das Unvorstellbare getan. Ich habe ihn verraten.“

Willem Holleeder gilt als berüchtigtster Schwerverbrecher der Niederlande

Der Bruder, Willem Holleeder (60), wird „Die Nase“ genannt, wegen der Größe des Körperteils. Doch das ist nicht komisch. Nichts an dem Mann ist komisch. Holleeder ist der berüchtigtste Schwerverbrecher des Landes. Seit mehr als 30 Jahren dominiert er die Unterwelt. Bis jetzt. Zurzeit wird ihm im Hochsicherheitsgericht von Amsterdam der Prozess gemacht. Er muss sich unter anderem für fünf Morde und zwei Mordversuche verantworten.

Die Niederländer sprechen bereits von einem „Jahrhundertprozess“. Dieser hat das Ausmaß einer griechischen Tragödie. Denn Hauptzeugin der Anklage ist Holleeders Schwester Astrid. Sie will ihn lebenslang hinter Gitter bringen.

Für den Bruder muss das ein Schock gewesen sein. Denn Astrid war über Jahre seine Vertraute. „Wider Willen“, betont sie selbst. Als einzige der vier Geschwister hatte sie studiert, Jura. Mit den kriminellen Geschäften ihres Bruders hat sie zwar nichts zu tun, doch sie kommt lange auch nicht von ihm los. Er umklammere die Familie wie eine bösartige Krake, sagt Astrid, halte sie mit Drohungen im Würgegriff. „Er sieht uns als seinen Besitz an.“

Astrid Holleeder hat die dramatische Geschichte ihres „Verrats“ aufgeschrieben

Und doch gelingt es ihr am Ende - auch wenn sie dafür einen hohen Preis bezahlt.

Astrid Holleeder hat die dramatische Geschichte ihres „Verrats“ aufgeschrieben. „Judas“ heißt das Buch, das nun auch auf Deutsch erschienen ist. Es ist ein Psychogramm ihre Bruders und die Geschichte einer Amsterdamer Familie.

Lieblos - ein einziges Wort nur beschreibt die Kindheit im Jordaan, damals ein armes Arbeiterviertel in Amsterdam. „Es gab nichts Schönes“, sagt Astrid und lacht bitter. Angst schweißt die Familie zusammen. „Das kann sich keiner vorstellen.“. Erst drangsaliert ein brutaler Vater, ein Alkoholiker, Frau und Kinder. Später macht Bruder Willem weiter. „Willem hasst uns“, sagt Astrid. „Er ist nicht fähig zu lieben.“

Astrid ist 17 Jahre alt, als Willem 1983 mit seinem Komplizen Cor van Hout den Bierbrauer Freddy Heineken entführt und 35 Millionen Gulden erpresst. Das Verbrechen macht weltweit Schlagzeilen. Nach Verbüßung seiner Haftstrafe macht Willem mit einem großen Teil des Lösegeldes einen rasanten Aufstieg zu einem der gefürchtetsten Bosse der Unterwelt.

„Willem wollte immer Macht“, erinnert sich seine Schwester. „Sein Ziel war es, 100 Millionen Euro zu besitzen. Er kam auf 40 Millionen.“ Spielhallen, Sexclubs, Erpressung. Er will Angst verbreiten, sagt seine Schwester. „Willem ist ein Psychopath.“

Astrid Holleeder über Bruder Willelm: „Verrat akzeptiert er nicht“

2003 wird sein früherer Komplize Cor van Hout, inzwischen der Mann seiner Schwester Sonja, auf offener Straße ermordet. Die Schwestern sind davon überzeugt, dass ihr eigener Bruder dahinter steckt. „Er hat sogar gedroht, Sonjas Kindern etwas anzutun, wenn sie was sagt“, sagt Astrid. Doch nun trifft sie eine folgenschwere Entscheidung. „Das Morden muss stoppen.“

Sie will Willem aufhalten. Doch dafür, das weiß sie als Anwältin nur allzu gut, braucht sie handfeste Beweise. Und die sammelt sie. Immer wenn sie ihren Bruder spricht, trägt sie am Körper hochsensible Mikrofone und Rekorder. Jahrelang zeichnet sie alle Gespräche mit ihm auf.

Astrid Holleeder ist eine temperamentvolle Frau, sprüht vor Lebensfreude. Doch von diesem Moment an lebt sie in Angst. „Verrat akzeptiert er nicht“, das weiß sie sicher, „wenn du ihn verrätst, dann bist du dran.“ Und doch hat sie es getan und die Tonbänder der Staatsanwaltschaft übergeben. Ob sie für eine Verurteilung ausreichen, ist noch unklar. Der Prozess wird Monate dauern. Willem Holleeder selbst bestreitet alles.

Auch die mehr als 400 Seiten dicke Familien-Chronik liegt dem Gericht als Beweis vor. Dabei hatte sie das Buch eigentlich für ihre Tochter geschrieben, sagt Astrid. Eine Art Testament. „Damit sie versteht, woher ich komme und warum ich das alles getan habe.“

Theaterstück und Verfilmung über die Geschichte Astrid Holleeders geplant

Das Buch ist ein Bestseller. Ein Theaterstück und die Verfilmung sind geplant. Doch eine Lebensversicherung ist es nicht.

Selbst wenn Willem Holleeder lebenslang hinter Gitter muss, sind die Schwestern nicht sicher - davon sind sie überzeugt. Auch Sonja wird gegen ihn aussagen. „Wir haben auch lebenslang“, sagt Astrid. Ein unbeschwertes Leben mit Kindern und Enkeln, Shoppen mit Freundinnen, Bummeln auf dem Markt - ist nicht drin. Willem sei noch lange nicht ausgeschaltet. Er habe überall seine Leute, drinnen und draußen. „Die Tore vom Gefängnis sind doch ein Witz für ihn.“ 2016 entdeckten die Ermittler, dass er aus dem Gefängnis heraus einen Auftrag zur Ermordung seiner Schwestern erteilt hatte. Seither werden beide rund um die Uhr bewacht.

Astrid Holleeder bereut nichts, sagt sie, aber der Verrat zerreißt sie. „Den eigenen Bruder verraten, das ist das Schlimmste, was ich je getan habe.“ Sie erinnere sich noch genau an die letzte Begegnung mit Willem, im Gefängnis. „Ich war von oben bis unten verkabelt.“ Sie wollte ihm ein Mordgeständnis entlocken. „„Was haben die gegen mich in der Hand?“, fragte er mich. Dabei zitterte seine Stimme vor Angst.“ Und während sie sich an diese Begegnung erinnert, bricht ihre eigene Stimme. „Das ist ein Judas, der den anderen in seinem tiefsten Elend verrät.“

Im Gerichtssaal können Bruder und Schwester einander nicht sehen. Die Zeugen sind total abgeschirmt. Manchmal stellt sich Astrid eine letzte Konfrontation vor: „Dann“, sagt sie entschlossen, „würde ich ihn erschießen.“ (Annette Birschel, dpa)