Parteien Berliner SPD-Chef Saleh scheitert bei Mitgliederbefragung
Berlins SPD hat ihre neue Parteispitze noch nicht gefunden. Doch in einem Punkt brachte die Mitgliederbefragung schon mal Klarheit.
Berlin - Die Berliner SPD steht vor einem spektakulären Wechsel ihrer Parteiführung. Bei der Mitgliederbefragung zur künftigen Doppelspitze erlitt der amtierende Landesvorsitzende und langjährige SPD-Fraktionschef Raed Saleh, der gemeinsam mit der Bezirkspolitikerin Luise Lehmann aus Marzahn-Hellersdorf angetreten war, eine krachende Niederlage. Das Duo kam nur auf 15,65 Prozent, wie die Co-Landesvorsitzende Franziska Giffey am Samstag nach der Auszählung mitteilte. Sie amtiert gemeinsam mit Saleh seit November 2020 und trat nicht noch einmal an.
Die anderen beiden Bewerberduos stellen sich nun einem zweiten Wahlgang, weil keines eine absolute Mehrheit erreichte. Das Team aus Neuköllns Bezirksbürgermeister Martin Hikel und Ex-Staatssekretärin Nicola Böcker-Giannini fuhr mit rund 48,2 Prozent das beste Ergebnis ein und verfehlte die absolute Mehrheit damit nur knapp. Das Team aus dem SPD-Landesvize Kian Niroomand und der früheren Co-Vorsitzenden der Berliner SPD-Frauen, Jana Bertels, kam auf 36,1 Prozent und ist ebenfalls weiter im Rennen.
Die zweite Runde der Mitgliederbefragung mit den beiden bestplatzierten Teams findet vom 2. bis 17. Mai um 22.00 Uhr statt. Wie schon beim ersten Wahlgang sind rund 18.000 Mitglieder aufgerufen, online oder per Brief abzustimmen. In Runde eins lag die Beteiligung bei eher mageren 47,6 Prozent.
Während der neuerlichen Befragung sind laut Giffey am 7. und 14. Mai Mitgliederforen mit den beiden Teams geplant. Das Resultat des zweiten Wahlgangs wird dann am 18. Mai ausgezählt. Endgültig gewählt werden soll die neue Doppelspitze auf Basis dieses Ergebnisses dann bei einem Parteitag am 25. Mai. Das Votum der Mitglieder ist zwar für den Parteitag rechtlich nicht bindend, eine abweichende Abstimmung der Delegierten gilt aber als praktisch ausgeschlossen.
Am Sonntag versicherte Saleh, dass Partei und Fraktion trotz der anstehenden personellen Veränderungen weiter zur Koalition mit der CDU stehen. „Die Berliner SPD ist stabiler Anker der Koalition“, hieß es in einem Statement, das er der Deutschen Presse-Agentur übermittelte. „Die SPD-Fraktion ist sich ihrer besonderen Verantwortung innerhalb der Koalition bewusst und arbeitet konzentriert und solidarisch miteinander und vertrauensvoll mit dem Koalitionspartner zusammen“, heißt es dort weiter. „Wir bleiben Rückgrat, Taktgeber, aber auch kritischer Begleiter des Berliner Senats.“
Ungeachtet seiner Niederlage als Parteichef will Saleh als Fraktionschef weitermachen. „Ich bin gewählter Fraktionsvorsitzender und stehe auch weiterhin zur Verfügung“, sagte er auf dpa-Nachfrage. Der einflussreiche Politiker leitet die Fraktion im Abgeordnetenhaus seit 2011, im Juni steht die nächste Wahl des Fraktionsvorstands an.
Zur Frage, wie es mit Saleh in der Fraktion weitergeht, war auch Giffey am Samstag gefragt worden: „Hier wurde über den Landesvorsitz abgestimmt und nicht über die Abgeordnetenhausfraktion“, sagte sie dazu.
Bei der SPD herrscht Unruhe und Verunsicherung, weil es mit den Wahlergebnissen seit vielen Jahren stetig bergab ging. Vorläufiger Höhepunkt dieser Entwicklung war die Wiederholungswahl zum Abgeordnetenhaus im Februar 2023. Die einstige Volkspartei mit Giffey als Spitzenkandidatin fuhr ein historisch schlechtes Ergebnis von 18,4 Prozent ein, landete weit hinter der CDU und nur wenige Stimmen vor den Grünen.
Anschließend ging die Partei nach rund sechseinhalb Jahren Bündnis mit Grünen und Linken eine Koalition mit der CDU ein - als Juniorpartner. Giffey, die erst Ende 2021 als Regierende Bürgermeisterin ins Rote Rathaus eingezogen war, arbeitet seither als Wirtschaftssenatorin im schwarz-roten Senat ihres Nachfolgers Kai Wegner (CDU).
Hikel sagte nach der Auszählung, in der Berliner SPD werde nun eine neue Ära eingeleitet. „Die Mitglieder haben gegen ein Weiter-so gestimmt.“ Bertels vom zweiten Team sagte, das Votum zeige den Wunsch vieler Sozialdemokraten nach einem Neustart. „Das wäre mit uns möglich“.
Beide Teams einte der Wille, gegen das Establishment an der Parteispitze vorzugehen und neue Wege einzuschlagen, um die seit Jahren immer mehr schwächelnde SPD wieder nach vorn zu bringen. Programmatisch unterscheiden sie sich in einigen Punkten. So stellten Hikel und Böcker-Giannini etwa das kostenlose Kita-Essen für alle Kinder infrage, Niroomand und Bertels sprachen sich hier gegen Änderungen aus.
Saleh und Lehmann zeigten sich enttäuscht. „Unsere Mitglieder haben im ersten Wahlgang eine eindeutige Entscheidung getroffen, die wir voller Respekt und verantwortungsvoll annehmen“, erklärten beide. „Selbstverständlich ist dieses eindeutige Ergebnis für uns persönlich enttäuschend, als Partei wird uns die baldige Klarheit aber insgesamt stärken und konzentriert zusammenführen und zusammenarbeiten lassen.“
Die personelle Neuaufstellung der SPD dürfte Folgen für die Regierungsarbeit in der Koalition haben, die bisher recht gut läuft. Regierungschef Wegner hat mit Saleh einen verlässlichen Ansprechpartner auf der SPD-Seite, auch wenn beide Politiker persönlich seit vielen Jahren eher in herzlicher Abneigung verbunden sind. Neue Führungsfiguren bei der traditionell eher linken Berliner SPD, in der es viele Widerstände gegen das Bündnis mit der CDU gab, dürften das gemeinsame Regieren erschweren.
„Wir treten dafür ein, dass die SPD wieder zu mehr Stärke kommt“, sagte Giffey. „Und wir treten ein für eine demokratische Stadt, die wirtschaftlich stark ist, ihrer ökologischen Verantwortung gerecht wird, aber nie das Soziale aus dem Blick verliert.“ Dafür sei ein „neuer Aufbruch“ gut.