Filmfestspiele Berlinale 2024: Politisch bis zum Schluss
Die Berlinale zeichnet eine Doku über Raubkunst mit dem Goldenen Bären aus - also mit dem wichtigsten Preis. Auch der Gaza-Krieg ist präsent. Doch der Umgang damit bei der Preisgala stößt im Nachgang auf teils heftige Kritik.
Berlin - Die 74. Berlinale blieb sich bis zum Finale treu: Geprägt von politischen Botschaften haben die Filmfestspiele ihre Auszeichnungen vergeben. Zum zweiten Mal in Folge gewann am Samstagabend ein Dokumentarfilm den wichtigsten Preis, den Goldenen Bären: Der Film „Dahomey“ von der in Frankreich geborenen Regisseurin Mati Diop setzt sich mit der Rückgabe von Raubkunst auseinander.
Bei der Preisgala ging es auch immer wieder um den Gaza-Krieg, der seit dem Terrorangriff der islamistischen Hamas vom 7. Oktober 2023 tobt. Auf der Bühne wurde teils deutliche Kritik am Vorgehen Israels in dem palästinensischen Gebiet geäußert. Dies wiederum stieß im Nachgang bei mehreren Politikern auf Widerspruch. So sprach der Grünen-Politiker Konstantin von Notz von einer „Täter-Opfer-Umkehr“.
Protest-Zettel auf der Bühne
Die Berlinale war in diesem Jahr besonders stark von politischen Debatten geprägt - bereits bei der Eröffnungsgala hatten viele Filmschaffende etwa gegen Rechtsextremismus protestiert. Andere forderten ein Ende der Kämpfe in Gaza zwischen Israel und der Hamas. Bei der Preisverleihung trugen mehrere Menschen auf der Bühne einen Zettel mit der Aufschrift „Ceasefire Now“ (etwa: „Feuerpause jetzt“).
Der palästinensische Filmemacher Basel Adra forderte Deutschland auf, keine Waffen mehr an Israel zu liefern. Daraufhin kritisierte der Präsident der Deutsch-Israelischen Gesellschaft, Volker Beck (Grüne), auf der Plattform X (vormals Twitter), dass dieser Auftritt beklatscht worden und unkommentiert geblieben sei. Das sei „ein kultureller, intellektueller und ethischer Tiefpunkt“ der Berlinale, schrieb Beck.
Adra hatte mit drei anderen Filmemachern die Dokumentation „No Other Land“ gedreht und dafür den Dokumentarfilmpreis gewonnen. Der Film dreht sich um die Vertreibung von Palästinenserinnen und Palästinensern in den Dörfern von Masafer Yatta, südlich von Hebron im Westjordanland.
Scharfe Kritik kam auch von Grünen-Politiker von Notz, nachdem - an anderer Stelle der Berlinale-Gala - der Filmemacher Ben Russell im Zusammenhang mit dem Gaza-Krieg von „Genozid“ gesprochen hatte. „Es ist schlicht ekelhaft und eine perfide Täter-Opfer-Umkehr. Solche Auftritte sind unerträglich, schrieb von Notz bei X.
Der stellvertretende Vorsitzende des Bundestagskulturausschusses, Marco Wanderwitz (CDU), schrieb bei X: „Diese @berlinale müssen wir als Bundeskulturpolitik sehr genau auswerten.“ Auf der Bühne und aus dem Publikum habe „es leider mehrfach unwidersprochen antiisraelische Statements“ gegeben, die nicht zu akzeptieren seien.
Schauspieler Lars Eidinger sagte nach der Preisverleihung, er könne sich „kaum an Zeiten erinnern, die derart politisch waren“. Es wäre aber „fatal, wenn man das komplett ausblenden oder ausklammern würde für so eine Veranstaltung“, meinte Eidinger. Die Berlinale gilt seit jeher als politischstes der weltgrößten Filmfestivals. 2023 hatte der Dokumentarfilm „Sur l'Adamant“ den Goldenen Bären gewonnen.
Rückgabe von Kunstobjekten schon länger Thema - auch in Deutschland
In dem in diesem Jahr mit dem Goldenen Bären ausgezeichneten Film „Dahomey“ setzt sich Regisseurin Diop, die senegalesische Wurzeln hat, mit Kunstschätzen auseinander, die 1892 aus dem westafrikanischen Benin - damals Dahomey - geraubt wurden. Sie folgt 26 Statuen auf der Reise aus Frankreich in deren Ursprungsland. Insgesamt wurden vor rund 130 Jahren Tausende Kunstwerke gestohlen, die sich noch heute in Frankreich befinden.
Die experimentelle Doku fesselt mit poetischen Passagen - zum Beispiel spricht mehrmals eines der Kunstwerke aus dem Off. Ein Teil des Films zeigt eine Diskussion in Benin unter überwiegend jungen Menschen. Dabei streiten sie darüber, ob die Rückgabe als Fortschritt oder als postkoloniale Arroganz zu werten ist. Diskutiert werden zudem aktuelle Probleme des Landes wie Armut und Bildungsnotstand.
Die Rückgabe von Kunstobjekten ist in Frankreich und auch in Deutschland schon länger Thema. 2018 teilte der französische Präsident Emmanuel Macron mit, die 26 Objekte an Benin zurückzugeben. Bei den Artefakten handelt es sich unter anderem um Statuen, Schmuck und einen Thron. Der beninische Präsident Patrice Talon sprach sich für die Restitution weiterer Werke aus. Schätzungen zufolge hortet Europa mehr als 90 Prozent des afrikanischen Kulturerbes. „Zurückzugeben heißt, Gerechtigkeit zu üben“, sagte Diop, als sie den Preis entgegennahm.
Menschen träumen von meinem Film: Preisträger Matthias Glasner
Vergeben wurden auch mehrere Silberne Bären. Einer ging an den deutschen Regisseur Matthias Glasner für das Drehbuch seines emotional aufgeheizten Dramas „Sterben“. In dem Film mit Corinna Harfouch und Lars Eidinger in Hauptrollen hat der Regisseur die komplexe Beziehung zu seiner Familie verarbeitet. Glasner hatte vorab die Sorge, das Drama sei vielleicht zu persönlich.
Doch viele Leute habe es bewegt. „Ich werde wirklich seit Tagen alle paar Meter angehalten von Menschen, die sagen: „Toller Film, hat mich so berührt, ich träum' davon““, sagte Glasner am Samstagabend der Deutschen Presse-Agentur. Und ergänzte: „Das hat sich irgendwie gelohnt, dass wenn man sich selber so doll öffnet, dass andere sich dann auch öffnen.“
„Verstehe nicht, was Sie in meinem Film sehen“ - Regie-Veteran Hong Sangsoo
Der Große Preis der Jury ging an die melancholische Komödie „Yeohaengjaui pilyo“ („A Traveler's Needs“) des südkoreanischen Regie-Veteranen Hong Sangsoo mit Isabelle Huppert in der Hauptrolle. „Ich verstehe nicht, was Sie in meinem Film sehen“, sagte Sangsoo sichtlich bescheiden zur Jury auf der Bühne.
Der rumänisch-US-amerikanische Schauspieler Sebastian Stan wurde zum besten Hauptdarsteller für seine Leistung in der Tragikomödie „A Different Man“ gekürt. Die Britin Emily Watson erhielt den Preis für die beste Nebenrolle in „Small Things Like These“. Die 57-Jährige kam wegen eines gebrochenen Fußes mit einer Krücke auf die Bühne.
Der Franzose Bruno Dumont erhielt den Preis der Jury für die Sci-Fi-Parodie „L'Empire“. Den Silbernen Bären für die beste Regie gewann Nelson Carlos De Los Santos Arias für „Pepe“, einen Experimentalfilm über ein totes Nilpferd in Kolumbien. Für seine herausragende künstlerische Leistung im Historiendrama „Des Teufels Bad“ wurde der österreichische Kameramann Martin Gschlacht geehrt.
Neue Berlinale-Spitze ab April
Für das Leitungsduo Mariette Rissenbeek und Carlo Chatrian war dies die fünfte und damit letzte Berlinale in ihrer Funktion. Ab April übernimmt Tricia Tuttle. Die US-Amerikanerin saß bei der Preisverleihung strahlend im Publikum. Mit einem Publikumstag ging das Festival am Sonntag zu Ende.