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Berlin-Lichtenberg Berlin-Lichtenberg: Polizeipräsident Glietsch über Kritik empört

Von Rolf Westermann 22.02.2011, 16:48
Der Direktor des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen (KFN), Christian Pfeiffer (l.) und Berlins Polizeipräsident Dieter Glietsch (r.). (FOTO: ARCHIVBILDER/DPA)
Der Direktor des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen (KFN), Christian Pfeiffer (l.) und Berlins Polizeipräsident Dieter Glietsch (r.). (FOTO: ARCHIVBILDER/DPA) dpa

Berlin/dpa. - Der niedersächsische Kriminologe ChristianPfeiffer hat mit massiven Vorwürfen gegen die Berliner Polizei eineDebatte um den Umgang mit Gewaltkriminalität in der Hauptstadtangestoßen. Im RBB-Inforadio sagte er am Dienstag, die Behörde habeden versuchten Raubmord in einer U-Bahnstation in Berlin-Lichtenbergheruntergespielt. Die Polizei wolle nicht, dass die Misere Berlinsdeutlich werde. Polizeipräsident Dieter Glietsch weist die Vorwürfevehement zurück und erklärte der Nachrichtenagentur dpa, eine sounqualifizierte Kritik wie von Pfeiffer habe er bei einemWissenschaftler noch nie erlebt.

Herr Glietsch, das sind massive Vorwürfe wenige Monate vor dem Endeihrer Amtszeit. Spielt die Polizei die Gewalt herunter?

Glietsch: «Wer die Arbeit der Berliner Polizei in den vergangenenJahren beobachtet hat, der weiß, dass das ein absolut abenteuerlicherVorwurf ist. Herr Pfeiffer hat offenbar etwas in einer Zeitunggelesen, was nicht den Tatsachen entspricht, und urteilt auf dieserBasis über die Berliner Polizei. Das tut er in einer sounqualifizierten Weise, wie ich es bisher noch nie bei einemWissenschaftler erlebt habe, und bezieht dabei die gesamte BerlinerVerwaltung, die Medien und sogar die Berliner Eltern mit ein, dieangeblich versagt haben, weil ihre Kinder nicht an einer seinerUntersuchungen teilnehmen durften.

Richtig ist: Ich weise seit 2002 Jahr für Jahr bei jeder sichbietenden Gelegenheit öffentlich darauf hin, dass Berlin beiJugendgewaltdelikten einen Spitzenplatz in der PolizeilichenKriminalstatistik einnimmt. Und dass die Polizei nicht nur besondersbrutale Gewalttaten öffentlich macht, kann jeder Internetnutzer dentäglichen Pressemeldungen der Berliner Polizei entnehmen.»

Hat die Polizei die Öffentlichkeit über den versuchten Raubmord inLichtenberg zu spät informiert? Ist die Dimension der Gewalttatmöglicherweise unterschätzt worden?

Glietsch: «Die Dimension der Gewalt ist am Wochenende nach der Tatdeutlich geworden. Deshalb wurde die Bearbeitung der Tat dann ja auchvon einer Mordkommission übernommen. Leider ist die Pressestellemeiner Behörde erst am Montag bei Dienstbeginn informiert worden. Sieist dann der Empfehlung der Ermittler gefolgt, die Meldung mit dererst am nächsten Tag möglichen Einleitung einerÖffentlichkeitsfahndung zu verbinden. Das ist am Dienstag geschehen,am selben Tag wurden die Täter ermittelt und festgenommen.»

Pfeiffer beklagt, dass Gewalttäter in Berlin zu selten gefasstwerden. Die Aufklärungsquote sei mit 60 Prozent «mickrig» und vielgeringer als anderswo - auch in anderen Großstädten.

Glietsch: «Herr Pfeiffer ist entweder nicht gewillt oder nicht in derLage, seriöse Vergleiche anzustellen. Unsere Aufklärungsquote beiRohheitsdelikten lag im Jahr 2009 bei 76 Prozent, das sind zehnProzentpunkte weniger als der Bundesdurchschnitt, der vonFlächenländern mit ländlichen Strukturen mitgeprägt ist. Vergleichtman Berlin mit anderen Großstädten, dann stellt man fest, dass unsereAufklärungsquote lediglich um vier Prozentpunkte unter der vonHamburg oder Bremen liegt. Das ist durch die Unterschiede in derGrößenordnung und der Sozialstruktur erklärbar.»

Ist die Ausstattung der Polizei zu schlecht? Sind nicht mehr genügendPolizisten auf der Straße?

Glietsch: «Nein. Selbstverständlich kann man sich immer mehrPolizisten wünschen, als man hat, aber die Berliner Polizei ist immernoch die am besten ausgestattete Großstadtpolizei Deutschlands. Füreine nachhaltige Bekämpfung der Jugendgewaltkriminalität sind imÜbrigen andere Faktoren entscheidender als die Zahl der Polizistenauf der Straße: Erziehung, Bildung, Ausbildung, Integration,Bekämpfung der Kinderarmut. Ein Kriminologe sollte das besser wissenals ein Polizeibeamter.»

Was kann die Polizei tun, um solche Verbrechen zu verhindern?

Glietsch: «Sie kann nur das tun, was die Berliner Polizei in denvergangenen Jahren konsequent getan hat: Wir haben der Bekämpfung derJugendgewaltkriminalität seit 2002 sowohl in der Prävention als auchin der Strafverfolgung höchste Priorität eingeräumt. Obwohl imvergangenen Jahrzehnt in der Behörde insgesamt rund 2000 Stellenabgebaut werden mussten, haben wir die Zahl der hauptamtlich in derPrävention eingesetzten Mitarbeiter im selben Zeitraum um 50 auf rund200 erhöht.

Weil Kinder und Jugendliche die Hauptzielgruppen unsererPräventionsarbeit sind, bieten wir allen Berliner Schulen unserAnti-Gewalt-Programm an. Während die Jugendrohheitsdelikte im letztenJahrzehnt bundesweit starke Zunahmen verzeichnen, ist das in Berlinnicht der Fall. In der Jugendgruppengewalt haben wir sogar deutlicheRückgänge. Wer sich seriös mit dem Thema beschäftigt, der weiß, dassunsere Arbeit im bundesweiten Vergleich als vorbildlich anerkanntwird. Das gilt auch für das erfolgreiche Intensiv- undSchwellentäterkonzept, das wir gemeinsam mit der Staatsanwaltschaftumgesetzt haben.»