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Berlin Berlin: Jugendrichterin beging Selbstmord

Von Jutta Schütz 03.07.2010, 15:52
Beamte der Mordkommission und der Spurensicherung nehmen am 03.07.2010 vor einem Waldstück des Tegeler Forstes in Berlin ihre Arbeit auf. (FOTO: DPA)
Beamte der Mordkommission und der Spurensicherung nehmen am 03.07.2010 vor einem Waldstück des Tegeler Forstes in Berlin ihre Arbeit auf. (FOTO: DPA) dpa

Berlin/dpa. - In Berlin herrscht Bestürzung. Die prominenteJugendrichterin Kirsten Heisig hat sich selbst getötet. Die Leicheder 48-Jährigen wurde am Samstag gegen 13.45 Uhr nach mehrtägigerSuche in einem Waldstück im Norden der Hauptstadt entdeckt. DerSuizid sei durch die Obduktion erwiesen, sagte der Sprecher derBerliner Staatsanwaltschaft, Martin Steltner, am Sonntag. DieJuristin ging im Kampf gegen Jugendkriminalität neue Wege. Sie hattedas sogenannte Neuköllner Modell initiiert, das schnelle Strafen fürkriminelle Jugendliche vorsieht. Damit hat sie sich bundesweit einenNamen gemacht.

Der Tod der couragierten Frau wirft Fragen auf. Die Gründe liegenim Dunkeln. Wurde die Juristin Opfer ihres eigenen Erfolgs, war derDruck zu groß oder war die Mutter zweier Töchter einsam?

  Nach einer Vermisstenmeldung hatten seit Mittwoch täglich rund 60Polizisten bei brütender Hitze mit Suchhunden und Stöcken den TegelerForst durchkämmt. Dort wurde gesucht, weil das verlassene Auto derRichterin an einem Straßenrand im Ortsteil Heiligensee stand. Dieerste Suche in der Nähe des Wagens, in dem persönliche Dinge wie ihrAusweis, aber kein Abschiedsbrief lagen, war in der Nacht zumDonnerstag gegen 03.00 Uhr abgebrochen worden. Die Wärmebildkameraeines Hubschraubers lieferte wegen der hohen Temperaturen keinebrauchbaren Bilder.

Doch in dem Areal wurde die tote Richterin nun gefunden. InJustizkreisen hieß es, die gebürtige Rheinländerin habe sich an einemBaum erhängt. Möglich scheint, dass die Leiche bei der erstennächtlichen Suche mit auf den Boden gerichteten Lampen übersehenwurde. Am Montag war die sportliche und superschlanke Frau, die alspflichtbewusst und zuverlässig galt, zuletzt gesehen worden. An demTag habe sie auch letzte Korrekturen für ihr Buch «Das Ende derGeduld» übermittelt, sagte eine Sprecherin des Verlages Herder. DerErfahrungsbericht sollte im September erscheinen.

Heisig war als Richterin am Amtsgericht Tiergarten für denProblembezirk Neukölln mit einem hohen Ausländeranteil zuständig. Siehatte es satt, dass vor allem junge Straftäter erst Monate später vorihr auf der Anklagebank saßen und sich nicht mehr erinnern konnten.Nach dem Neuköllner Modell folgt nun nach dem Delikt in einembeschleunigten Verfahren die Strafe auf dem Fuße. Es können vierWochen Arrest verhängt werden, es werden Täter-Opfer-Gesprächeangeordnet oder gemeinnützige Arbeit. Nur so gebe es noch die Chanceauf Erziehung, hatte Heisig in einer dpa-Reportage gesagt.

Seit Juni gilt das Neuköllner Modell berlinweit, das vor rund zweiJahren startete. Sie wollte die schreckliche Spirale von Gewalt,Respektlosigkeit und Verwahrlosung stoppen und polarisierte damitaber auch. «Richterin ist mein Traumberuf», hatte sie der dpa gesagt.Mit ihren Ideen handelte sie sich viel Öffentlichkeit ein, gabInterviews, trat in Talkshows auf. In Nachbarschaftsvereinen undSchulen warb sie dafür, dass Jugendliche mit ausländischen Wurzelnlernen müssten. «Wir brauchen Ihre Kinder ganz dringend in gutenBerufen - als Polizisten, Erzieher und Ärzte», sagte sie zu Eltern.

Heisig, seit mehr als 20 Jahren in der Berliner Justiz, lief immerauf Hochtouren, investierte viel Zeit. Manchmal gehe sieSonntagnachmittag ins Gericht, um in Ruhe ihre Prozessevorzubereiten, hatte die Richterin eingeräumt. Sie schaffte es auchnoch, mit ihrem Hund joggen zu gehen. Niederlagen könne siewegstecken, sagte sie von sich. Doch manchmal habe sie das Gefühl,dass alles zu viel sei, hatte sie der dpa gesagt. War sie nun an demPunkt, an dem ihre großen Projekte fertig waren und sich dahinterLeere auftat? In Justizkreisen hieß es, Heisig habe persönlicheProbleme gehabt. «Da wird vieles zusammengekommen sein.» Auch vonDepressionen ist die Rede.

Ihre Töchter hielt Heisig aus allem heraus. Über ihre Arbeitsprach sie nicht mit ihnen. «Sie wollen normale Teenager sein - esstresst sie, wenn sie auf ihre Mutter angesprochen werden.» Heisighatte der dpa auch gesagt, dass ihr der Erfolg zu schaffen mache.«Ich hab keine Freunde hinzugewonnen. Ich fühle mich oft als Exotwahrgenommen.» Von ihrem Mann, einem Staatsanwalt, lebte siegetrennt.

Berlins Justizsenatorin Gisela von der Aue (SPD) zeigte sich tieferschüttert. Den Tränen nahe würdigte sie das Schaffen der«außerordentlichen» Juristin, die sich nie gescheut habe, auchungeliebte Wahrheiten auszusprechen. Die stellvertretende FDP-Bundesvorsitzende, Cornelia Pieper, sagte, Deutschland verliere einVorbild.

Eine Hundertschaft von Polizeibeamten durchstreift ein Berliner Waldgebiet. Die prominente Berliner Jugendrichterin Kirsten Heisig wurde tot geborgen. (FOTO: DPA)
Eine Hundertschaft von Polizeibeamten durchstreift ein Berliner Waldgebiet. Die prominente Berliner Jugendrichterin Kirsten Heisig wurde tot geborgen. (FOTO: DPA)
dpa-Zentralbild