Berlin Berlin: Drag-Queens in der Hauptstadt sind besonders politisch

Berlin/dpa. - Die Hauptstadt ist Hochburg der Drag-Queens. In Berlin nennen sich die als Damen kostümierten Herren gern «Tunten» und sind besonders politisch, dafür nicht ganz so gestylt, wie Matthias Reetz alias Tunte Margot Schlönzke erklärt. Die Szene ist bunt: Neben dem CSD gibt es das multisexuelle Festival «Wigstöckel», Bingo-Abende mit Drag-Queens und einschlägige Kostümläden. Unter Hausbesetzern ist das «Tuntenhaus» im Prenzlauer Berg legendär. Stadtbekannte Künstlerinnen sind Daphne de Baakel, Irmgard Knef (Hildegards fiktive Schwester) und Biggy van Blond.
Letztere ist Kolumnistin, DJ und tritt in Shows auf - «ein Job,den ich gerne mache», sagt Biggy van Blond, die bürgerlichen Namen und Alter («gefühlte 26») nicht preis gibt. In Berlin gibt es ihrer Schätzung nach rund 50 bekanntere Drag-Queens. Die Szene habe sichsehr etabliert und sei die größte in Deutschland, meint sie. Gut eineStunde dauert es, bis aus dem Schöneberger Mann Biggy van Blond wird.Outfitvorliebe? «Ach Gott, gerne kurz, gerne sexy. Und abwischbar istauch immer gut, falls man ein Getränk abbekommt.»
Typisch klingt der Weg von Kaey Tering, die für den Fototermin gutzwei Stunden im Bad und am Schminktisch verbracht hat und sich dasSamtkleid selbst auf die barocke Figur geschneidert hat: In derPubertät das schwule Outing, dann erste Experimente mit Make-up. Dannder Umzug von Halle nach Berlin, wo sie sich mit Jobs über Wasserhält, die 25-Jährige moderiert zum Beispiel die CSD-Party inKreuzberg.
Die Konkurrenz ist groß, die Akzeptanz der Außenwelt nicht immer. «Es gibt immer noch genügend Leute, die verprügelt werden», erzählt Kaey Tering, die als Mann Denis heißt und mit den langen braunen Haaren auch ohne Kostüm recht weiblich wirkt. «Ich sehe einfach nie aus wie ein Mann.» Sie gehört zu den Drag-Queens, die nicht «viel mit der Dualität der Geschlechter anfangen können». Für Kaey Tering ist es nicht bloß eine Bühnenrolle, sondern eine Lebenseinstellung.
Für den Außenstehenden ist Drag (abgeleitet vom Englischen «Dress As A Girl») nicht ganz einfach zu verstehen. Einige schwule Männer haben auch ein Problem damit, wenn beim Christopher Street Day, der ja allen Homosexuellen gewidmet ist, es immer die schrillen Bilder sind, die in der Zeitung landen. Was steckt dahinter? «Ein grundlegender Irrtum ist, dass alle Männer in FrauenkleidernTransvestiten sind und Travestieshow à la Mary machen», meint MargitSchlönzke. Drag ist eine von vielen schwulen Lebenseinstellungen undkann eine politische Seite haben, ist nicht nur «camp», jener ganzbesondere, selbstironische Stil, den die US-Essayistin Susan Sontageinmal beschrieben hat.
Die «Schwestern der Perpetuellen Indulgenz» - kostümierte, weißgeschminkte «Ordensschwestern» - sind beispielsweise bei Partys undauch beim CSD unterwegs, um über Safer Sex und HIV aufzuklären. DerBerliner Regisseur Rosa von Praunheim trauerte kürzlich um dieAidsaktivistin Ovo Maltine, die mit 38 Jahren an den Folgen einerHIV-Infektion starb und auch in einem seiner Filme mitspielte. Titel:«Tunten lügen nicht».
(Internet: www.irmgard-knef.de, www.debaakel.de, www.kaey.de,www.dieschwestern.de)