Berlin Alexanderplatz Berlin Alexanderplatz: Prozess um den Tod von Jonny K. beginnt

Berlin/MZ - Es geht um den Tod von Jonny K. an diesem Tag in Moabit. Der 20-Jährige wurde in der Nacht zum 14. Oktober 2012 nahe des Alexanderplatzes ohne ersichtlichen Grund totgeschlagen. Die Tat hat die ganze Stadt aufgewühlt und die
Diskussion um Jugendgewalt in Berlin angefacht. Er hat Tina K., Jonnys Schwester, dazu gebracht, sich mit ihrem eigens gegründeten Verein „I am Jonny“ öffentlich gegen Gewalt zu engagieren. Die junge Frau, die im Prozess als Nebenklägerin auftritt, wird nun erstmals den Männern gegenüber- sitzen, die für den Tod ihres Bruder verantwortlich sein sollen. Tina K. ist ganz in Schwarz gekleidet.
Ihr Bruder war erst 20 Jahre alt, als er von einer „massiven Übermacht“ angegriffen wurde. Er wollte nur einem betrunkenen Freund helfen und starb nach schweren Schlägen und Tritten an einer Gehirnblutung, sagt der Staatsanwalt dann zu Beginn des Prozesses. Einem weiteren Freund wurde das Jochbein gebrochen und der linke Augenhöhlenboden zertrümmert.
Mit ernsten Gesichtern haben die Angeklagten hinter ihren Anwälten Platz genommen. Sie sind 19 bis 24 Jahre alt. Selten geht ihr Blick zu den Zuschauern, wo auch ihre Eltern sitzen. Inmitten von Jonnys Freunden. Es ist erstaunlich still im Saal, in dem sich mehr als 100 Menschen befinden.
Nicht etwa Mord oder Totschlag wird den sechs jungen Männer vorgeworfen. Denn wäre ein Kapitalverbrechen angeklagt, da sind sich einige Zuschauer später sicher, dann wären Onur U. und Bilal K. nach ihrer Flucht wohl nie aus der Türkei, dem Land ihrer Eltern, zurückgekehrt. Die Anklage lautet auf Körperverletzung mit Todesfolge, gefährliche Körperverletzung und Beteiligung an einer Schlägerei. Zwar hätten die Angeklagten eine Gefahr für das Leben von Jonny K. erkennen können, als sie immer weiter auf den am Boden liegenden eingeprügelt haben, erklärt der Staatsanwalt. Doch einen Tötungsvorsatz kann er nicht erkennen. Keiner im Saal widerspricht dem Vertreter der Anklage.
„Sachlich ist das korrekt“, findet der Anwalt Mirko Röder. Die Angeklagten seien keine Totschläger. Der Jurist verteidigt nicht etwa einen der Beschuldigten, er vertritt Jonny K.s Eltern. Röder sieht aber die Gefahr, dass das Ganze als eine Kneipenschlägerei abgetan werden könnte. „Es darf aber nicht sein, dass die Angeklagten aus dem Gerichtssaal kommen und erzählen, dass das alles nur ein Unfall gewesen sei“, sagt der Anwalt.
Es wird nicht einfach werden für den Vorsitzenden Richter der Jugendstrafkammer, Helmut Schweckendieck, jedem Angeklagten die individuelle Tatbeteiligung nachzuweisen. Alle Beschuldigten sagen aus an diesem Tag, erklären unisono, dass ihnen das Geschehene unsagbar leidtun würde. Dass sie sich schämten für das, was sie getan hätten. Für das Leid, das sie Jonnys Familie gebracht hätten. Und dass sie mit Gewalt sonst eigentlich nicht viel am Hut hätten. Sie seien alkoholisiert gewesen, ist immer wieder zu hören. Doch das lässt der Richter Schweckendieck nicht gelten: „Alkohol macht schlimme Dinge nicht weniger schlimm“, wirft er ein.
Die Angeklagten geben auch zu, an der Tat irgendwie beteiligt gewesen sein. Mal mit einem Schlag, mal mit einem Tritt. Onur U., der als treibende Kraft für den Angriff gilt, sagt, er könne sich nicht verzeihen, dass er mit einem „bescheuerten Joke“ die Prügelei ausgelöst habe. Onur U. soll zu Beginn der Auseinandersetzung einem betrunkenen Freund von Jonny K. auf dem Gehweg einen Stuhl weggezogen haben. Onur U. sagt, er habe Jonny K. erst später bemerkt, als er wie schlafend am Boden gelegen habe. Geschlagen oder gar getreten habe er ihn nicht. Auch die anderen wollen nicht verantwortlich sein an den tödlichen Verletzungen. Jeder beschuldigt den anderen. Vor allem Bilal K. wird durch die Mitangeklagten belastet. Er soll mehrfach auf den am Boden liegenden Jonny K. eingetreten haben.
Roland Weber ist der Anwalt von Jonnys Schwester Tina K. Er sagt, dass man erst am Anfang der Wahrheitsfindung stehe. Tina K. hat sich jede Aussage genau angehört, jedem Angeklagten dabei in die Augen geschaut. Für sie sind die Aussagen unfassbar, aber sie habe damit gerechnet, dass jeder dem anderen die Schuld in die Schuhe schiebe. Für sie sei es erschreckend gewesen, die Angeklagten zu sehen. „Das sind scheinbar ganz normale Jungs – wie Jonny.“

