Auswanderer Auswanderer: Kleiner Mann ganz groß
Halle (Saale)/MZ. - Das Schrecklichste am Ruhm sind die Besucher. Die Sonne scheint, die Vögel zwitschern, die Arbeit geht flott von der Hand und alles ist schön auf der ganzen Welt. Und auf einmal sind sie da. Wollen nur mal gucken. Nur mal Hallo sagen. Den Mann selber sehen, der seit Jahren Stammgast im eigenen Wohnzimmer ist! Dem Helden die Hand schütteln, der den eigenen Kindern gezeigt hat, was Wille und Fleiß alles erreichen können!
Für Konny Reimann ist es ein Alptraum. Der 55-Jährige mag Gäste natürlich, sehr gern sogar. Konny Reimann liebt Geselligkeit, hier und da mal ein Prost und ein Bier und ein paar Würste auf dem Grill. "Aber Besucher", sagt er, "Besucher sind etwas anderes." Die Schattenseite des Ruhms, sozusagen, eine Art Anerkennung, wie man sie seinem ärgsten Feind nicht wünscht. "Denn es ist ja so", sagt Reimann, "reinbitten kannst Du sie gar nicht alle, schickst du sie aber weg, erzählen sie zu Hause, ach, der Reimann ist eigentlich auch bloß ein total arroganter Heini."
Dabei stimmt das gar nicht. Von innen gesehen fühlt sich Konny Reimann heute nicht anders als vor sieben Jahren, als er noch in Deutschland lebte. Nicht schlecht lebte, wie er betont, in dem er hanseatisches "iss so" hinterherschickt. Gemeinsam mit Ehefrau Manu und den beiden Kindern Janina und Jason wohnt Konny Reimann in einem großen Haus am Hamburger Stadtrand, er arbeitete als Handwerker, finanziell geht es der Familie gut genug, sich auch ausgefallene Wünsche erfüllen zu können. Ringsum gibt es einen großen Freundeskreis, Partys und bei jeder Gelegenheit schöne Urlaubsreisen.
Nichts, vor dem jemand weglaufen müsste. Doch nach einem Kurzbesuch in den USA kehren Konny und seine Frau verwandelt zurück: Texas hat die beiden Fans von großen Trucks, Cowboystiefeln und ausladenden Hüten beeindruckt. Das Maß an Freiheit, der alte Traum von den unendlichen Möglichkeiten! Es gab kein langes Überlegen, keine Sitzungen des Familienrates, kein Kopfzerbrechen über Details. "Wir waren uns einig, dass wir noch mal was anderes machen wollen", beschreibt Konny Reimann heute, "also haben wir das gemacht." Die Familie bewirbt sich bei der Greencard-Lotterie, mit der die US-Regierung jedes Jahr 55 000 Ausländern die Möglichkeit gibt, in den USA zu leben und zu arbeiten. Die Chancen sind verschwindend. Manu Reimann gewinnt.
Es ist der Beginn eines Abenteuers, das ganz anders verlaufen wird, als die Familie glaubt. Konny Reimann, ein kleiner, muskulöser Kerl mit Schnauzer und Hans-Albers-Dialekt, erwartet einen Neuanfang "wie die Leute ihn vor hundert Jahren hatten, die kamen auch ohne Job und ohne Haus an". Das ist kein Problem für einen wie ihn, der von sich selbst sagt, er könne dank seiner Ausbildung auf der Schiffswerft und Wanderjahren in allerlei Berufen handwerklich so ziemlich alles. Die Reimanns kommen, um zu bleiben, auch wenn sie wissen, dass sie sich werden durchbeißen müssen. Mit ihnen aber kommt ein Fernsehteam, das einen kleinen Beitrag über den Start einer deutschen Familie in der Fremde machen will. "Bis die am Flughafen auftauchten, wusste ich von nichts", sagt Konny Reimann. Seine Frau hatte alles erst tags zuvor eingerührt und schlicht vergessen, Bescheid zu sagen.
"Da sind die dann eben mal dabei, das ist jetzt auch egal", habe er gedacht, erinnert sich Reimann, der sich nie als Otto Normalbürger gesehen hat. Iss so, ehrlich. Keine einfache Kindheit hatte er, früh musste er flügge werden, immer waren dem Hobby-Karatekämpfer und Surfer Spaß am Leben und persönliche Freiheit wichtiger als eine Karriere in einem sicheren Job.
Nun also Fernsehen. Konny Reimann war es recht. Nach einer Woche im texanischen Gainesville, wo die Familie ihren im Vorjahr vorsorglich schon gekauften Pickup-Truck bei einem Freund abgestellt hat, war ein Haus gekauft, Konny hatte Arbeit in Aussicht, die beiden Kinder, damals im Teenageralter, sind an der örtlichen Schule angemeldet. Dann jedoch kommen die Nachrichten aus Deutschland. Der Film über die Auswanderer hat wie eine Bombe eingeschlagen, die Zuschauer sind begeistert, alle wollen mehr sehen von Konny, der sich mit vier Brocken Englisch durch Bewerbungsgespräche radebrecht, Witze erzählt und in jeder freien Minute an seinem alten Auto herumschraubt.
Ein Star ist geboren. Aus Konny Reimann und den Seinen werden plötzlich Vorbilder für Hunderte: Aus einer Auswandererreportage wächst eine Auswandererserie, dann ein ganz neues Fernsehgenre. Sieben Jahre später wird auf allen Kanälen ausgewandert, Deutsche jeden Alters trampeln rund um die Uhr durch exotische Kulissen, eine ganze Generation ist auf der Suche nach dem großen Glück unter fremden Himmeln.
Auf Konny Island, dem Uferstückchen am Moss Lake, auf dem Reimanns inzwischen zwei selbstgebaute Gästehäuser betreiben, gehen die Uhren deshalb nicht anders. Iss so, sagt Konny Reimann. Der Familienvorstand hat sich nie den Kopf darüber zerbrochen, warum er bei den Fernsehzuschauern so gut ankommt. "Mag sein, dass meine Art und Weise, die Dinge anzugehen, anziehend wirkt", sagt er. Iss wahrscheinlich so. Schließlich gibt es für die Reportagen nie ein Drehbuch, keine fertigen Texte oder geplante Pointen. "Alles, was ich da sage", schwört Konny Reimann, "bin ganz genau ich."
Ein Original, unverbogen und naturbelassen. Iss so. Vermutlich bringt ihm genau das die Sympathien der Leute, die ihm damals in Hamburg noch komisch hinterherschauten, wenn er in vollem Cowboyornat durch die Stadt lief. Jetzt lebt Reimann vor, dass gegen Fleiß und Einfallsreichtum kein Kraut gewachsen ist: Nach einem Jahr in Texas hatten die Reimanns ihr erstes Haus saniert, nach zweien ein Seegrundstück gekauft und mit dem Bau des ersten Ferienhauses begonnen. Konny Reimann arbeitete mal hier, mal da, immer aber zu eigenen Bedingungen, seine Frau hatte einen Job in einem Kasino, Janina und Jason gingen zur High School und waren dort längst nicht mehr die deutschen Exoten.
Doch was im Fernsehen aussieht, als brauche es nicht mehr als ein paar hundert Dollar für ein Flugticket und den festen Willen, es zu schaffen, ist in Wirklichkeit ein hartes Brot, das jeden Tag gekaut werden muss. Vor allem die sprachlichen Schwierigkeiten am Anfang, beschreibt Konny Reimann, hätten ihm zu schaffen gemacht. All die schönen knochentrockenen Witze herunterschlucken oder den US-Kollegen zuschauen zu müssen, wenn die die einfachsten Sachen falsch anfingen. "Das war schwer fürs Ego", sagt er, "aber was nützt es, man muss durchziehen."
Reimann, der von sich sagt, er habe "nie einen Traum gehabt", kann das gut. Nicht lange schnacken, Kopp in Nacken, sagt er. Iss so. Eine Woche Urlaub hat er gemacht, seit er vor sechs Jahren in Dallas aus dem Flieger stieg. Nahezu jedes Wochenende haben sie durchgearbeitet, gebaut und gelernt, gewurstelt und anfangs gar nicht mitbekommen, wie ihre Popularität daheim wuchs. Inzwischen hat Konny Reimann Werbeverträge mit Würstchenherstellern und Heimwerkermärkten, es gibt Bücher über seine Familie und neuerdings sogar einen Comic mit ihm selbst als Helden. Der handfeste Handwerker mit dem galligen Humor gilt Millionen Fernsehzuschauern in Deutschland als leuchtendes Vorbild, dafür, wie Tatkraft und Einsatz das Leben meistern. Längst folgen Ströme von Auswanderern dem Hamburger: Seit 2008 verliert Deutschland jedes Jahr mehr Menschen durch Wegzug, als es durch Zuwanderung gewinnen kann.
Für Konny Reimann ist das keine Überraschung. Der Blick des deutschen Texaners auf die alte Heimat ist von keiner Spur Sehnsucht vernebelt. Das Leben in den USA ist einfach lockerer, stressfreier, entspannter, sagt Konny Reimann. Die Menschen seien vielleicht oberflächlicher, aber auch freundlicher und hilfsbereiter, beschreibt er. "Wo in Deutschland alle fragen, wer Schuld hat, wenn was schiefgeht, nimmt man Dinge hier als gegeben hin und macht weiter." Iss so.
An Rückkehr denkt am Moss Lake in Gainesville denn auch niemand. Das Haus in Hamburg, das die Familie anfangs noch behalten hatte, um "ein bisschen Sicherheit zu haben", ist unterdessen verkauft, die Staatsbürgerschaft der Reimanns wechselte von deutsch auf amerikanisch. Auch das Heimatgefühl ist aus Hamburg nachgezogen. Moss Lake scheint im Augenblick der Platz zum Glücklichwerden zu sein für einen Mann, der das Weitermachen im Blut hat. Wenn ihn der Besucherstrom am Gartenzaun nicht gerade davon abhält. Er schaue ja sowieso nie zurück, sagt Konny Reimann, denn interessant sei immer nur, was noch kommt. Echt, iss so.