Attentat auf John F. Kennedy Attentat auf John F. Kennedy: Verschwörungstheorien und Zeugen um JFK

Dallas/MZ - Zu Dallas haben die Deutschen ein besonderes Verhältnis. Schon, weil in der zum Gigantismus neigenden Texas-Metropole (Motto „Live large. Think big“) „unser“ Dirk Nowitzki die „Mavericks“ zu einigem Erfolg führt. Auch, weil die TV-Serie „Dallas“ bei uns mehr noch zum Kult wurde als in den USA selbst.
Im Bewusstsein der Welt ist Dallas jedoch vor allem mit jenem dramatischen Geschehen verbunden, das die Geschichte bis in unsere Zeit beeinflusst. Seit jenem Tag mit genauen Koordinaten: Freitag, der 22. November 1963, 12.30 Uhr Ortszeit. Da fielen die tödlichen Schüsse auf John Fitzgerald Kennedy, den 35. Präsidenten der USA. Sie kamen aus einem der Fenster unterm Dach des Gebäudes mit der Adresse 411 Elm Street. Das Haus wurde durch dieses düstere Ereignis weltberühmt.
Der rotgeklinkerte Backsteinbau markiert die Ecke Elm und Houston Street am Rande der Innenstadt von Dallas. Eine Gegend, die wie ein Ort geruhsamer Leere erscheint im Kontrast zu der mit Wolkenkratzer-Skyline und einem exzellenten Art-District voller hochkarätiger Museen und Theater prunkenden City. Ein weitgehend grünes Areal, auf dem das ehemalige Gericht Old Red Courthouse und der gigantische weiße Betonraum des 1970 geschaffenenen John F. Kennedy Memorials die Fixpunkte bilden.
Alljährlich über 320.000 Besucher im Museum
Das Gebäude 411 Elm Street war bis 1970 das Texas School Book Depository. Jetzt beherbergt es Büros und heißt Dallas County Administration Building. Oben befindet sich das Sixth Floor Museum at Dealey Plaza. Eine Stätte, an der Erinnerung und Emotionen eine ganz eigene Atmosphäre schaffen. Seit der Eröffnung im Februar 1989 pilgern alljährlich über 320 000 Besucher hierher.
Über ein paar Stufen steigt man hinauf ins Entree, entrichtet stolze 16 Dollar Eintritt. Das Museum wird von einem Non-Profit-Unternehmen unterhalten, das auf Einnahmen angewiesen ist. Man betritt einen Fahrstuhl. Hinauf zum „sixth floor“. Im Deutschen wäre es der 5. Stock, doch die amerikanische Lesart kommt ja ohne Parterre aus. Man steigt aus und steht in einem Speichergeschoss.
Dämmrig ist es. Die Sonne malt durch die Fenster Schattenkreuze auf den Boden. Im Licht flirren Stäubchen. Es ist seltsam still trotz der wohl zwei Dutzend Besucher zu dieser Stunde. Sie sind vertieft in die Schautafeln, die Videos, ihre Audio-Guides, die es auch in Deutsch gibt. Es scheint, als ob die Menschen an diesem Ort vor jenem epochalen Ereignis verstummen. Eintauchen in jene Zeit vor einem halben Jahrhundert, in das Leben, Wirken und das Ende dieses besonderen Mannes und USA-Präsidenten. Radioreportagen, Zeitungsartikel, Fotografien und Augenzeugenberichte dokumentieren die Tragödie und ihre Folgen. Auch die umstrittenen Ergebnisse der Warren-Untersuchungskommission.
Es ist eine irrwitzige Tatsache, dass gerade von den entscheidenden Minuten dieses wie für die Medien geschaffenen Präsidenten mit dem jugendlichen Million-Dollarlächeln keine Pressefotos oder professionelle Filme existieren. Der Pressewagen, normalerweise hinter dem Präsidentenfahrzeug positioniert, nahm den achten Platz im Konvoi ein (ein weiterer Ansatz für Verschwörungstheoretiker). So konnten die Presseleute zwar den Jubel der Menge dokumentieren. Keine Chance aber für die entscheidenden Sequenzen mit den tödlichen Schüssen. Wenn es nicht Abraham Zapruder (1905 –1970) gegeben hätte. Der Hobbyfilmer hatte sich wie viele an der Fahrtstrecke aufgestellt. Deren genauer Verlauf war in der Presse veröffentlicht worden.
Sein erhöhter Standpunkt am Grassy Knoll, einem grasbewachsenen Hügel, bot perfekte Sicht für die 8mm-Kamera. Zumal eine scharfe Linkskurve vor dem Einbiegen in die Elm Street den Konvoi zu langsamer Fahrt zwang. So gelang Zapruder ein einmaliges historisches Dokument. Knapp 27 Sekunden Bilder ohne Ton. Das Geschehen wirkt umso gespenstischer, schaut man sich den Film an diesem authentischen Ort an. Klar, dass die wackligen Aufnahmen Stoff auch für Verschwörungsphantasien bieten – ein zweiter Schütze, ein weiterer Schuss? Zapruders Bilder wurden zum Topos historischer Erinnerung. Das Zusammensacken des Präsidenten, Jackie Kennedy, wie sie im rosa Kostüm auf das Heck des Wagens klettert. Als sicher gilt, dass Kennedys Stützkorsett, dass er wegen seiner Rückenleiden trug, ihn daran gehindert hat, sich schnell abzuducken und so vielleicht sein Leben zu retten. Doch die Schüsse trafen den Präsidenten quasi ungeschützt.
Die Perspektive ist gespenstisch
Aus welcher Position, ist unmittelbar nachzuerleben vor jenem Eckfenster, wo Lee Harvey Oswald das Gewehr auf den Präsidenten richtete. Eine dicke Glasplatte hindert zwar den Besucher am unmittelbaren Herantreten. Doch die Perspektive ist auch so gespenstisch. Ringsum stehen Bücherkisten aufgestapelt, genau wie damals. Ein Besucher hat im Gästebuch notiert: „Ich hatte das Empfinden, dass die aufgestapelten Kisten das wahre Geschehen von damals in sich bergen.“ Der Blick durch die Fensterfront im Sixth Floor fällt auf ein rotes Kreuz im Asphalt der Elm Street. Es bezeichnet exakt jene Stelle, wo die Schüsse auf den Präsidenten im schwarzen Lincoln trafen. Immer wieder springen Menschen ungeachtet des Straßenverkehrs auf dieses Kreuz, um sich auf dieser Position fotografieren zu lassen. Ein makabres Memento.
Man blickt hinunter, so wie Lee Harvey Oswald damals sein Ziel fixierte. Es ist ein Gänsehautgefühl. Wer war dieser Mann? Aus schwierigen Verhältnissen kommend, Schulversager, dabei überdurchschnittlich intelligent, Vor allem: geltungsbedürftig. Frustriert auch. Seit früher Jugend mit marxistischen Ideen befasst. Ab 1959 lebt der USA-Bürger in der Sowjetunion. Doch kann er, enttäuscht von den Verhältnissen, samt russischer Frau scheinbar problemlos aus dem abgeschotteten Sowjetreich 1962 wieder in die USA ausreisen. Ansatz für weitere Verschwörungsspekulationen. Er sympathisiert weiter mit dem Kommunismus und Castros Kuba. Das FBI beobachtet ihn, hält ihn jedoch für einen „großmäuligen Versager“. Seine Beweggründe für das Kennedy-Attentat sind spekulativ. Privater Frust? Neid auf einen Privilegierten? Die Sucht nach Beachtung? Niemand weiß es. Gerade sind erstmals aktuelle Fotos von Oswalds Witwe Marina aufgetaucht. Britische Paparazzi haben die jetzt 72jährige in Rockwall aufgestöbert. In dem Dallas-Vorort führt die Mutter von drei Kindern mit ihrem 2. Mann unter dem Namen Porter ein zurückgezogenes Leben.
Dass Oswald zwei Tage nach seiner Verhaftung durch den Nachtklub-Besitzer Jack Ruby erschossen wurde, ist wiederum ein Verschwörungsansatz. Tatsache ist: John F. Kennedy ist tot. Gestorben am 22. November 1963 durch mehrere Schüsse in Dallas/Texas. Bis heute ist er so etwas wie ein Präsident der Herzen geblieben. Bei seinem Volk wie in großen Teilen der Welt inklusive der Deutschen. Trotz aller Widersprüche seiner Biografie. Den von Krisen (Kuba, Berliner Mauer, Vietnam) geprägten rund tausend Tagen seiner Präsidentschaft, seinen krampfhaft verborgenen körperlichen Leiden, Drogen, Sexsucht. Auf den Spuren des Geschehens vor einem halben Jahrhundert und dieses charismatischen Mannes verliert man sich in einem Gewühl aus Spekulationen. Aus täuschend echt erfundenen Fakten, aus Glorie und Kalkül. Aus Entäußerungen offensichtlicher Selbstdarstellung und Geltungssucht, Mutmaßungen. Alleine mehr als hundert Buchtitel bieten zum 50. Jahrestag neue Theorien zur Ermordung Kennedys. Das Sixth Floor Museum in Dallas ist zu erleben als authentischer Ort. Doch der letzte Hort der Wahrheit bleibt noch immer verschlossen.
Mehr dazu: www.jfk.org
Literatur: Bill O„Reilly „Killing Kennedy“ (Droemer), Ronald D. Gerste „JFK. 100 Fragen – 100 Antworten“ (Klett-Cotta)
