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Ansbach-Urteil Ansbach-Urteil: Der Wahn vom Massenmord

Von JOACHIM WILLE 29.04.2010, 11:40
Der angeklagte Amokläufer Georg R. im Landgericht Ansbach (Bayern) geführt. (FOTO: DPA)
Der angeklagte Amokläufer Georg R. im Landgericht Ansbach (Bayern) geführt. (FOTO: DPA) dpa

ANSBACH/MZ. - Wer ist Georg R.? DerAnsbacher Amoktäter, der knapp davor war,ein Blutbad anzurichten, eine ganze Schuleabzufackeln und mit einem Fanal aus dem Lebenzu scheiden. Abstrakt weiß man es nach diesemTag, an dem das Urteil gegen den heute 19-jährigenEx-Gymnasiasten - neun Jahre Jugendstrafeund vorerst unbegrenzte Unterbringung in derPsychiatrie - gefallen ist.

Es ist ein junger Mann, der unter einer schizoidenPersönlichkeitsstörung leidet, der das eigeneLeben hasst, der kaum Mitleid empfinden kann- und der als Massenmörder in die Geschichteeingehen wollte. Doch Fragen bleiben.

Ein Vermummter schleicht in den Gerichtssaal.Die Kapuze der Sportjacke tief ins Gesichtgezogen, darunter eine Sonnenbrille. Der jungeMann verschanzt sich hinter einem Aktenordner.Später, als er zur Urteilsverkündung die Kapuzeabnimmt, sieht man dunkle Haare und weicheGesichtszüge. Der Kopf von R. sinkt bei dereinstündigen Urteilsbegründung fast ganz aufden Tisch. Einen einzigen Satz hat er an demTag herausgebracht: "Ich schließe mich denAusführungen meines Verteidigers an, sonsthabe ich nichts zu sagen."

Unbegreiflich blieb, dass niemand bemerkte,wie sich die von Psychiatern attestierte Persönlichkeitsstörungentwickelte und aus dem eher unauffälligenSchüler eine Amok-Maschine wurde. Mit einerAxt, vier Messern und fünf Molotow-Cocktailswar R. am 17. September 2009 in das Carolinum-Gymnasiumin Ansbach gestürmt. Er verletzte 14 Jugendlicheund eine Lehrerin, eine Schülerin dabei sehrschwer, bevor er von zwei Polizisten auf einerToilette gestellt, angeschossen und überwältigtwurde. 47-facher versuchter Mord, lautetedie Anlage.

Die Tat hatte der Amokläufer über Monate äußerstminutiös geplant, wie Staatsanwalt JürgenKarch erläutert, und sich die schrecklichenFolgen gar in einer fiktiven Pressemeldungausgemalt, die man auf seinem Computer fand."Zwölf Tote" sollten es sein. Diejenigen,die mit ihm lebten, bekamen offenbar nichtmit, wie R. in eine Parallelwelt abdrehte."Ein stilles Kind" sei er gewesen, erzähltedie 50-jährige Mutter, die seit 2002 getrenntvom Vater lebt. Erst in der 10., 11. Klassehabe es Probleme in der Schule gegeben. Seitder Trennung der Eltern wohnte R. bei seinemVater.

Die Eltern trügen "keinerlei Schuld", sagtRichter Rösch ausdrücklich. Gegen die psychischeKrankheit von R. seien sie machtlos gewesen.Er war Einzelgänger - eine Parallele zu denanderen Amokläufern der letzten Jahre wieRobert Steinhäuser in Erfurt oder Tim Kretschmerin Winnenden. Er passe genau in das "Schemajugendlicher Attentäter", so Rösch. In derSchule fühlte er sich "ausgegrenzt", ungerechtbehandelt. R. hatte auch noch nie eine Freundingehabt, und er litt schwer darunter.

Das Vorbild der früheren Amoktäter spieltedann wohl eine große Rolle. Der wohl einzigeengere Freund von R. berichtete dem Gericht,er und R. hätten sich über Erfurt und Winnendenunterhalten. Der Erfurter Täter sei der "coolsteOssi" gewesen, habe R. gesagt. Doch da gingenkeine Alarmsignale an. Auch nicht, als R.das Thema einmal sogar in der Schule zur Sprachebrachte. Er wollte Amok in einem Referat behandeln,die Lehrerin ging nicht darauf ein.

Richter Rösch unterstreicht: Es war vielenZufällen und beherzten Polizisten zu verdanken,dass Ansbach kein Winnenden II wurde. Sonsthat er wenig Trost. Amoktaten seien nie völligzu verhindern, sagt er. Und: Man solle dochmehr auf seien Mitmenschen achten.