Stasi-Chef Erich Mielke Amtsantritt vor 60 Jahren : MfS-Chef Erich Mielke baute Stasi zur Herzkammer der Macht aus
Halle (Saale) - Er muss es geahnt oder sogar gewusst haben. Wenn Erich Mielke seinen Lieblingsklub BFC Dynamo nach Halle begleitete, schlug den Gästen aus Berlin stets eine grell pfeifende Welle der Ablehnung von den Tribünen entgegen. Hass, der nicht nur den Spielern in Weinrot galt, sondern auch dem Mann, der neben SED-Bezirkschef Achim Böhme auf der Tribüne saß.
Erich Mielke, 1,63 Meter, Minister für Staatssicherheit, Volkskammerabgeordneter, Mitglied des SED-Politbüros und Chef der Sportvereinigung Dynamo, wurde gefürchtet wie kein anderer Mann in der Arbeiter- und Bauernrepublik.
Mielke zu Besuch in Weißenfels: „Man fühlte sich unwohl“
Dabei trat der Sohn eines Berliner Stellmachers als leutseliger Kumpeltyp auf, wenn er seinen Wahlkreis Weißenfels bereiste. Mielke absolvierte hier vor Volkskammerwahlen ein Programm aus Betriebsbesuchen und Händeschütteln. Maritta Jakobs (Name geändert) hat den Mann, den sie unter der Hand den „kleinen Erich“ nannten, kennengelernt, als er 1986 nach Weißenfels kam.
Jakobs arbeitete damals in einem Jugendkollektiv des Schuhkombinates. „Alles wurde gründlich vorbereitet, Leute von uns mussten ihn dann begrüßen, er bekam Blumen und ging dann eine Runde rum“, erinnert sich die heute 56-Jährige. Mielke habe sehr klein gewirkt, ein dicker Mann mit buschigen Brauen, der allen zulächelte. „Aber man wusste ja ungefähr wer er war, und man fühlte sich unwohl.“
Erich Mielke kam am 1. November 1957 an die Spitze der Stasi
Dass alle, die in solchen Situationen in die Nähe des Mannes kamen, den der Regisseur Jens Becker in einem Film den „Meister der Angst“ nennt, zuvor vom MfS überprüft werden, ahnt Maritta Jakobs. „Wir konnten aber nichts machen“, sagt sie achselzuckend. Niemand kann das in der DDR. Der einstige Arbeitersportler aus dem Roten Wedding hat nach seinem Amtsantritt an der Spitze der Stasi am 1. November 1957 ein System der Überwachung errichtet, das unter den Bürgern als allumfassend gilt.
Die Staatssicherheit, deren Leitung Mielke übernimmt, nachdem sein Vorgänger Ernst Wollweber im Konflikt mit Staatschef Walter Ulbricht seinen Rücktritt erklärte, wuchert zum Staat im Staate. Aus knapp 17.000 Mitarbeitern werden bis 1989 über 91.000 „Tschekisten“, wie Mielke sie am liebsten nennt.
Mielke trat mit 14 dem Kommunistischen Jugendverband bei
Das Wort stammt aus der Sowjetunion, wo Felix Dserschinski 1917 auf Lenins Geheiß die Geheimpolizei Tscheka aufgebaut hatte. „Ein Tschekist ist ein Mensch, der zögert keinen Moment, der setzt sich immer für die Arbeiterklasse ein“, gibt Mielke seinen Genossen vor.
Aufgewachsen in einer Familie, die er selbst später als bitterarm bezeichnet, hat er selbst es schon als 23-Jähriger so gehalten. Mit 14 war Mielke dem Kommunistischen Jugendverband beigetreten, nach einer Demonstration in Leipzig sitzt er zum ersten Mal in Haft.
Der gelernte Speditionskaufmann radikalisiert sich. Er wird Mitglied beim Parteiselbstschutz der KPD und erledigt im Sommer 1931 einen delikaten Parteiauftrag: Auf dem Berliner Bülow-Platz erschießt er gemeinsam mit einem Genossen zwei Polizisten, die der Partei als Feinde gelten.
Erich Mielke überlebt die stalinistischen Säuberungen mit Bauernschläue
Es folgt eine von der KPD organisierte Flucht nach Moskau. Dort überlebt Erich Mielke die stalinistischen Säuberungen mit Bauernschläue, Opportunismus und glühendem Glaubenseifer. Die Partei schickt ihn schließlich in den spanischen Bürgerkrieg. Mielke dient in einem Divisionsstab und wacht über die Glaubensreinheit der Soldaten.
Als der Krieg verloren ist, flieht er nach Frankreich, wird interniert, entkommt nach Belgien und wird unter Decknamen Mitherausgeber einer deutschsprachigen Zeitung. Die deutschen Behörden wissen, wo der Mann sich aufhält, der wegen der Morde vom Bülowplatz gesucht wird. Sie beantragen dennoch keine Auslieferung.
Mielke übersteht den Krieg in Frankreich. Er lebt hier unter verschiedenen Namen, nennt sich Gaston, Hebel und Leisner und arbeitet in einem Kommando der Organisation Todt, die Bunker für Hitlers U-Boote baut. Mit Ende 30 kehrt er nach Berlin zurück. Er übernimmt im KPD-Zentralkomitee den Bereich Polizei und Justiz und wird 1950 einer der Stellvertreter des ersten Stasi-Ministers Wilhelm Zaisser.
Erich Mielke baut weit verzweigten Überwachungsapparat auf
In dieser Position erlebt der fanatische Sportanhänger und begeisterte aktiver Sportler, der bis ins hohe Alter jeden Morgen Runden schwimmt, den Volksaufstand von 1953. Mehr noch: Mielke rückt in der Rangordnung auf. Als er endlich zum Herrscher des geheimen Imperiums wird, beginnt er, den weit verzweigten Überwachungsapparat aufzubauen, der heute als Symbol für die Unfreiheit in der DDR gilt.
Mielke ist ein Überzeugungstäter, der die DDR zu seiner Sache gemacht hat. Alle zehn Jahre verdoppelt er die Mitarbeiterzahl des MfS. Dazu wirbt das Ministerium zehntausende inoffizielle Mitarbeiter an, die unter Kollegen, Freunden und Nachbarn spionieren. Mielke dirigiert den Moloch von der Berliner Normannenstraße aus, einem Gebäudekomplex von sieben Hektar Größe.
Absprachen trifft er am liebsten mit dem anderen, dem „großen“ Erich Honecker, mit dem ihn neben der Weltsicht die Leidenschaft für die Jagd verbindet. Klassenkampf und Hochsitz, das sind die Konstanten im Leben des kleinen Mannes mit der großen Brille, der seit 1948 mit der gelernten Schneiderin Gertrud verheiratet ist.
„Genossen, wir müssen alles erfahren, es darf nichts an uns vorbeigehen“
Mielke, der sein Leben lang eine derbe Sprache mit Berliner Dialekt spricht, weil er das proletarisch findet, lebt in einer Schwarzweiß-Welt: Hier das Reich des Sozialismus. Die Zukunft. Dort der „Gegner“, der Kapitalismus. Das Gestern. Die Erinnerung an die Beinahe-Katastrophe von 1953 treibt ihn. „Genossen, wir müssen alles erfahren, es darf nichts an uns vorbeigehen“, gibt er als Devise aus.
Wer aus dem Glied ausschert, hat von ihm keine Gnade zu erwarten, wie auch der Stasi-Hauptmann Werner Teske 1981 erfahren muss. Wegen Spionage beschuldigt, wird Teske zum Tode verurteilt und zwei Wochen später durch einen „Nahschuss ins Hinterhaupt“ hingerichtet. „Schufte“, sagt Mielke, müsse man „hinrichten, auch ohne Gerichtsurteil.“
Auf Mielke selbst wartet am Ende allerdings ein Prozess. Hundert Punkte umfasst die Klage, die Erich Mielke nach dem tiefen Sturz im Herbst 1989 droht. Auf den letzten Metern hatte der 81-Jährige noch versucht, sich auf die Seite der Sieger in der SED-Spitze zu schlagen. Er lässt Honecker fallen, den Mann, dessen Befehle er fast 20 Jahre lang ausgeführt hat.
„Ich liebe, ich liebe doch alle, alle Menschen, na, ich liebe doch, ich setze mich doch dafür ein“
Mit einem Auftritt in der Volkskammer schreibt er Geschichte. „Ich liebe, ich liebe doch alle, alle Menschen, na, ich liebe doch, ich setze mich doch dafür ein“, haspelt Mielke. Der Offenbarungseid einer gescheiterten Ideologie.
Am 7. November 1989 muss Mielke sein Ministerium verlassen, fast auf den Tag genau 30 Jahre, nachdem er Chef des MfS geworden ist. Wenig später folgt die erste Inhaftierung, eine Freilassung aus gesundheitlichen Gründen, die erneute Verhaftung und die Anklage wegen der Morde von 1934.
Erich Mielke zu sechs Jahren Haft verurteilt
Erich Mielke wird zu sechs Jahren Haft verurteilt. Allen weiteren Verfahren entgeht er, weil seine Gesundheit eine Verhandlung nicht mehr zulässt. 1995 wird Mielke auf Bewährung entlassen. Er wohnt danach in einer Zwei-Zimmer-Wohnung mit Ehefrau Gertrud, die er „Trudchen“ ruft. Ob er den dementen Greis mit dem Hütchen, als der er öffentlich auftritt, nur spielt, wird bis zu seinem letzten Tag ungeklärt bleiben.
Ein Ungeheuer mit Geheimnissen bis ins Grab. Nach Erich Mielkes Tod im Mai 2000 versuchen seine alten Genossen, ihren Ex-Chef unbemerkt von den Medien zu bestatten. Vier Tage vor dem offiziellen Beerdigungstermin versammeln sich Generale und Geheime, Kundschafter und Verwaltungsmitarbeiter, es gibt rote Fahnen, rote Nelken und laute Klagen über die „Siegerjustiz“.
Dann wird Erich Mielke in einer Kupferurne in ein Loch in einer Grünfläche gelassen. „Rot Front“, ruft ein Stasi-Offizier zum Abschied. Als alle Trauergäste den Friedhof verlassen haben, zerstören Unbekannte Blumen und Kränze auf dem frischen Grab. (mz)