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Amoklauf in Emsdetten Amoklauf in Emsdetten: Schüler besorgte sich Waffen im Internet

21.11.2006, 07:44

Emsdetten/dpa. - Der 18-jährige Täter habe mindestens drei Malwahllos in Gruppen von Schülern geschossen, berichtete die Polizei.Die Obduktion ergab, dass der frühere Schüler der Geschwister-Scholl-Realschule sich nach dem blutigen Überfall mit einem Schuss in denMund selbst getötet hat. Sebastian B. hatte sich die Waffen nachersten Erkenntnissen der Staatsanwaltschaft vom Dienstag im Internetbesorgt.

Der Amokläufer hatte am Montag mit Gewehren, Sprengstoff undRauchbomben seine frühere Schule überfallen. 37 Menschen wurdenverletzt, fünf von ihnen durch Schüsse, die meisten anderen durchRauchgas. Unterdessen entbrannte eine kontroverse Diskussion um einVerbot von gewaltverherrlichenden Computerspielen.

Nach dem Amoklauf wurden drei Schusswaffen bei der Leichesichergestellt. Zwei der Waffen seien frei im Handel erhältlich, fürdie dritte - ein Kleinkalibergewehr - sei ein Waffenscheinerforderlich gewesen. Der Schütze habe aber lediglich einen sogenannten Kleinen Waffenschein für Gas- und Schreckschusswaffenbesessen, sagte Polizei-Einsatzleiter Hans Volkmann.

Ferner hatte der 18-Jährige am Körper drei selbst gebauteRohrbomben befestigt. Auch in seinem Rucksack und seinem Auto wurdenmehrere Rohrbomben sowie eine Machete gefunden. In seinem Zimmer imElternhaus fanden die Beamten Hinweise darauf, dass der Täter mitChemikalien zur Herstellung von Sprengkörpern experimentiert hatte.Bereits im Juli hatte die Polizei Sebastian B. eine Waffe abgenommen.Deswegen hätte er sich am Tag nach der Tat wegen unerlaubtenWaffenbesitzes vor einem Jugendgericht verantworten sollen.

Die Polizei geht nicht davon aus, dass Sebastian B. einen Mittäterhatte. Ein Unbekannter, der auf den Videos des Amokläufers zu sehenist, hatte sich freiwillig bei der Polizei gemeldet. «Von ihm gehtkeine Gefahr aus», sagte ein Polizeisprecher. Der jüngere Bruder desAmokläufers hatte offensichtlich versucht, den 18-Jährigen kurz vorder Tat noch aufzuhalten. Er habe gespürt, dass sein Bruder etwasvorhatte, sagte Einsatzleiter Volkmann.

In Emsdetten herrschte auch am Dienstag noch Fassungslosigkeit.Rund 300 Schüler sowie einige Eltern kamen zu einem Kulturzentrum, woNotfallseelsorger und Psychologen professionelle Hilfe anboten. Andiesem Mittwoch solle der Unterricht teilweise wieder aufgenommenwerden, sagte Schulleiterin Karola Keller. Zudem ist in derEmsdettener St. Pankratius-Kirche ein ökumenischer Gottesdienstgeplant. NRW-Ministerpräsident Jürgen Rüttgers (CDU) rief bei einemBesuch in Emsdetten dazu auf, den Amoklauf «zum Anlass zu nehmen, umüber das Thema Gewalt in unserer Gesellschaft nachzudenken».

Unterdessen will Niedersachsens Innenminister Uwe Schünemann (CDU)mit einer Bundesratsinitiative die Herstellung und Verbreitung vongewaltverherrlichenden Computerspielen verbieten lassen. «Einwirksamer Jugendschutz kann letztlich nur erreicht werden, wennbesonders schädliche Computerspiele gar nicht erst auf den Marktkommen», sagte er. Bayerns Ministerpräsident Edmund Stoiber (CSU)forderte eine konzertierte Aktion der Bundesländer gegenJugendgewalt.

SPD-Innenexperte Dieter Wiefelspütz sprach sich gegen«kurzschlüssige Patentreaktionen» aus: «Wir brauchen Frühwarnsysteme,und nicht diese vordergründige Diskussion um das Verbot vonKillerspielen.» Auch FDP, Grüne und Linksfraktion warnten davor, dieDiskussion auf ein Verbot von Baller-Spielen zu verengen.

Nach Ansicht des Bielefelder Jugendforschers Prof. KlausHurrelmann fühlte Sebastian B. sich nur in seiner Ersatzwelt ausComputerspielen und Waffen stark. «Man kann sagen, dass es der Schuleund dem Elternhaus nicht gelungen ist, diesem Jungen eine reale Weltmit realen Herausforderungen zu vermitteln», sagte Hurrelmann derdpa.

Politiker und Gewerkschaften lobten das professionelle Vorgehender Polizei in Emsdetten. Das nach dem Schulmassaker von Erfurt 2002neu eingeführte spezielle Einsatztraining für Beamte habe dazubeigetragen, schlimmeres zu verhindern, erklärten Rüttgers undVertreter der beiden großen Polizeigewerkschaften.

Ein Schüler der Geschwister-Scholl-Realschule in Emsdetten geht mit seiner Mutter in das Kulturzentrum «Stroetmanns Fabrik» in Emsdetten. Dort werden die Schüler psychologisch betreut. (Foto: dpa)
Ein Schüler der Geschwister-Scholl-Realschule in Emsdetten geht mit seiner Mutter in das Kulturzentrum «Stroetmanns Fabrik» in Emsdetten. Dort werden die Schüler psychologisch betreut. (Foto: dpa)
dpa