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Amoklauf Amoklauf: Anschlag am Gymnasium war lange geplant

18.09.2009, 07:32
Rosen und Kerzen stehen in Ansbach am Eingang des Carolinum-Gymnasium zum Gedenken an die Verletzten des Amoklaufs in dem Gebäude. (FOTO: DPA)
Rosen und Kerzen stehen in Ansbach am Eingang des Carolinum-Gymnasium zum Gedenken an die Verletzten des Amoklaufs in dem Gebäude. (FOTO: DPA) dpa

Ansbach/dpa. - Sein handgeschriebenes Testament seimit dem Datum «9/11» - also dem Jahrestag der Anschläge von New Yorkam 11. September 2001 - versehen gewesen, sagte OberstaatsanwältinGudrun Lehnberger am Freitag. Unterdessen erhöhte sich die Zahl derOpfer des Anschlags vom Donnerstag auf zehn. Eine 15-Jährige, derGeorg R. mit einer Axt auf den Kopf geschlagen hatte, war nach einersiebenstündigen Operation am Nachmittag außer Lebensgefahr.

Neben dem Testament fanden die Ermittler im Zimmer des 18-Jährigenweitere brisante Dokumente. So war auf einem Kalenderblatt unter demDatum vom Donnerstag der Eintrag «apocalypse today» (Apokalypseheute) zu lesen. «Aus den sichergestellten Schriftstücken ergabensich keine konkreten Drohungen gegen konkrete Personen», erläuterteLehnberger. Die Schwester des Täters, die ebenfalls das GymnasiumCarolinum besucht, gehe nicht in eine der beiden attackiertenKlassen.

Georg R. hatte am Donnerstag neun Schüler und einen Lehrer seinereigenen Schule verletzt. Zwei 15-jährige Mädchen schwebtenvorübergehend in Lebensgefahr. Einer von ihnen hatte der Abiturientmit einem Beil eine schwere Kopfverletzung zugefügt, die andereerlitt Brandwunden zweiten Grades. Der Anschlag ereignete sich in derersten Schulstunde. Der 18-Jährige warf zunächst zwei Molotow-Cocktails in die Klasse 10b. Als Tische und Kleider Feuer fingen,rannten die Jugendlichen hinaus auf den Flur. Vor der Tür wartete der18-Jährige, mit einer Axt bewaffnet. «Dort schlug der Täter wahllosauf die Schüler und den Lehrer ein», berichtete Lehnberger.

Zwei weitere Brandsätze warf Georg R. in den Raum der Klasse 9c.Diese zündeten jedoch nicht. Anschließend verschanzte sich derAmokläufer auf der Toilette, wo ihn zwei Polizisten aufspürten. Ersei mit einem Messer auf einen Beamten losgegangen, schilderte dieOberstaatsanwältin. Dieser habe daraufhin fünf Schüsse auf denSchüler abgegeben und ihn am Oberkörper schwer verletzt.

Der Jugendliche wurde in ein Krankenhaus gebracht. In der Nachtverschlechterte sich sein Zustand, er wurde ein weiteres Maloperiert. Wann er aus dem künstlichen Koma aufwachen wird undvernommen werden kann, war zunächst unklar. Die Staatsanwaltschaftrechnete damit, dass noch am Freitag Haftbefehl wegen versuchtenMordes in zehn Fällen in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzungerlassen wird.

Die Ermittler konzentrierten sich zunächst auf das Motiv desTäters, der sich in psychotherapeutischer Behandlung befand. «Wirwissen noch nicht viel», sagte Jürgen Krach von derStaatsanwaltschaft Ansbach. «Die Polizei wird sämtliche Beteiligtenvernehmen.» So sollen die Schüler der beiden betroffenen Klassenebenso befragt werden wie die Lehrer des Täters. «Sein nächsterFreund ist bereits vernommen worden», sagte Krach. Die Elternhingegen machten von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch.Hinweise erhofft sich die 25-köpfige Ermittlungskommission auch vonder Auswertung der Computer-Festplatte des jungen Mannes.

Der Schüler des Abschlussjahrgangs, der eigentlich am Donnerstagzu einer Abschlussfahrt nach Rom aufbrechen wollte, sei in keinerWeise aktenkundig gewesen, berichtete Direktor Franz Stark. Der 18-Jährige habe als introvertiert gegolten, sei jedoch im Strom derMasse mitgeschwommen. Unter Mitschülern war zu hören, dass derJugendliche unbeliebt gewesen sei; niemand habe auf der Klassenfahrtmit ihm das Zimmer teilen wollen.

Rund 150 der 700 Schüler des Carolinum-Gymnasiums waren am Freitagfreiwillig in ihre Schule gekommen, um gemeinsam das Geschehene zuverarbeiten. «Sie fangen erst jetzt an, zu verstehen, was passiertist», berichtete Notfallseelsorger Thomas Barkowski. SchulleiterFranz Stark ergänzte: «Das Spektrum der Äußerungen reichte von tieferBetroffenheit, von Tränen bis hin zu dem Wunsch, möglichst schnell indie Normalität zurückzukehren.» Viele Schüler zündeten vor demGebäude Kerzen an und legten weiße und rote Rosen nieder. Für Sonntagist ein ökumenischer Gottesdienst geplant. Auch am Montag findet nochkein regulärer Unterricht statt.

Trotz aller politischen Versprechen nach den Amokläufen von Erfurtund Winnenden fehle es nach wie vor massiv an Schulpsychologen undSozialarbeitern, kritisierte der Chef der DeutschenPolizeigewerkschaft, Rainer Wendt, in der «Neuen OsnabrückerZeitung». «Wir brauchen endlich ein flächendeckendes Frühwarnsystemfür Schulen.» Der Philologenverband forderte regelmäßigeSicherheitsübungen. Zwar werde das Verhalten bei Bränden geübt. EinTraining, bei dem sich die Schüler in ihren Klassenzimmernverbarrikadieren müssten statt nach draußen zu laufen, sei jedoch dieAusnahme.