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Amoklauf 2009 in Winnenden Amoklauf 2009 in Winnenden: Die Mitschuld des Jörg K.

Von JOACHIM WILLE 10.02.2011, 09:22
Eine durchschossene Scheibe eines Autohauses, in dessen Nähe der 17-jährige Schüler Tim K. nach einem Amoklauf an der Albertville-Realschule in Winnenden gestellt wurde. (FOTO: DAPD)
Eine durchschossene Scheibe eines Autohauses, in dessen Nähe der 17-jährige Schüler Tim K. nach einem Amoklauf an der Albertville-Realschule in Winnenden gestellt wurde. (FOTO: DAPD) dapd

STUTTGART/MZ. - Jörg K. hatte wohltatsächlich gehofft, ohne Strafe davonzukommen,obwohl sein 17-jähriger Sohn Tim mit der Pistoleund der Munition, die er unverschlossen inseinem Schlafzimmer aufbewahrte, zum Massenmördergeworden ist. Als der Vorsitzende RichterReiner Skujat das Urteil bekannt gab, senkteder 52-jährige Ex-Unternehmer den Blick nochtiefer. Der Mann, der sich erst am vorletztenTag in dem Mammutprozess am Landgericht Stuttgartzu direkten Worten an die Hinterbliebenender Opfer und zu einer Entschuldigung aufgeraffthatte, ließ keine Gefühlsregung erkennen.

Fast zwei Jahre nach dem Amoklauf vom 11.März 2009, bei dem Tim K. in den schwäbischenKleinstädten Winnenden und Wendlingen 15 Menschenund sich dann selbst erschossen hatte, erkanntedas Gericht auf fahrlässige Tötung in 15 Fällen,fahrlässige Körperverletzung in 14 Fällensowie fahrlässige Überlassung einer Waffe.Jörg K. muss allerdings nicht ins Gefängnis.Die Strafe beträgt ein Jahr und neun Monateauf Bewährung. Das Gericht blieb damit unterdem Antrag der Staatsanwaltschaft, die zweiJahre Bewährungsstrafe gefordert hatte.

Richter Skujat stellte klar: K. werde nicht"stellvertretend" für seinen Sohn verurteilt.Der Vater trage aber eine Mitschuld, da erdie Tatwaffe, eine großkalibrige Beretta,in einem leicht auszukundschaftenden Versteckaufbewahrt und Tim auch den Zugang zu 285Schuss Munition ermöglicht habe. K. habe dieMunition "schlampig" herumliegen lassen. DieStrafkammer meint: Der 17-Jährige hätte dieTat ohne diese Verletzung der Sorgfaltspflichtnicht durchführen können. Skujat zufolge wardie Tat für K. "vorhersehbar und vermeidbar".Der Vater und seine Ehefrau hätten von denTötungsfantasien gewusst, die Tim bei einemTherapiegespräch äußerte. Dorthin hatten dieEltern ihren Sohn gebracht, da er selbst vermutethatte, manisch-depressiv zu sein. Eine Therapeutinhabe die Eltern darüber informiert, so Skujat.K. und seine Frau hatten das zwar bestritten.Das Gericht aber stützte sich auf die Aussageeiner Seelsorgerin, die die Familie K. nachder Amoktat betreut hatte. Ihr zufolge wusstendie Eltern, dass Tim von seinen "Hass aufdie Welt" gesprochen hatte.

Skujat zufolge begann danach eine gespenstischeFehlreaktion. Nur Tage nach der Therapiestundehabe K. Tim erstmals in den Schützenvereinmitgenommen - um ihn "unter Leute zu bringen",wie K. gesagt hatte. Der Richter zeichneteein dramatisches Bild vom Familienklima beiden K.s. Materiell habe Tim nichts gefehlt.Emotional sei es dagegen frostig zugegangen.

Im Resumé bekannte Skjuat, es sei nicht möglichgewesen aufzuklären, was genau Tim zu demMassenmord in Winnenden trieb. Das Amok-Risikosei durch den leichten Zugang zu den Waffenerhöht gewesen. Aber auch in seinen PC-Spielenerlernte Muster könnten eine Rolle gespielthaben. "Er wählte immer die Rolle des Terroristen,nie die des Polizisten."

K.s Verteidiger kündigte sofort nach der UrteilsverkündigungRevision an. Gisela Mayer, die Mutter einergetöteten Referendarin, meinte: "Es gibt keineGerechtigkeit, die den 15-fachen Mord in irgendeinerWeise sühnen könnte."