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Therapeuten-Interview nach dem Absturz von 4U9525 Absturz von 4U9525

Von Stephan Klemm 25.03.2015, 13:51

Köln - Herr Mallmann-Kallenberg, Katastrophen wie der Flugzeug-Absturz der Germanwings-Maschine verlangen ganz besonders auch eine intensive Betreuung der Angehörigen. Wie arbeitet sich ein Psychologe in so ein schlimmes Thema ein, wie geht er vor Ort vor?

Mir war das ganze am Dienstag auch persönlich sehr nahe. Wir waren gerade dabei, in Düsseldorf ein Konzept für ein psychosoziales Versorgungsnetzwerk fertigzustellen. Die Leitungskräfte von allen Organisationen saßen beieinander, als uns der Anruf ereilte, dass ein Flugzeug auf dem Weg nach Düsseldorf abgestürzt ist. Wir haben dann aus dem Team für Leitende Notfallpsychologie sofort vier Personen zum Flughafen geschickt. Und diese Leute schauen schließlich vor Ort erst einmal, dass man die Angehörigen in Empfang nimmt, mit ihnen in einen abgeschirmten Raum geht, wo sie vor Blicken geschützt sind, wo sie ihre Ruhe haben und ihren Emotionen freien Lauf lassen können. Dann müssen wir im Einzelfall schauen, welche Bedürfnisse gerade vorhanden sind – es startet die psycho-soziale Betreuung.

Was konkret wird in dieser Phase besprochen?

Früh Hinweise geben, dass Trauer, Bestürzung, Schock wichtig sind und ganz normale Reaktionen. Wenn ich spüre, jemand benötigt ganz besonderen Trost, dann nehme ich ihn in den Arm, drücke ihn, berühre ihn, bin da, präsent. Das können Sie mit Worten gar nicht auffangen. Also gar nichts sagen: zuhören. Die Schulter streicheln. Den Gefühlen Raum geben, den Tränen, den Reaktionen. Denn das sind normale Reaktionen von normalen Menschen auf ein außergewöhnliches Ereignis. Diese Botschaft kann – wortwörtlich ausgesprochen – schon richtig gut tun.

Das sind die Sofortmaßnahmen. Reicht das aus?

Da sind wir durch unser Netzwerk sehr gut aufgestellt. Wir haben die entsprechenden Kontakte zu den weiterführenden Stellen, zu besonders für ein spezielles Ereignis geschulten Psychologen. Da vermitteln wir auch die Betroffenen hin – damit sie zudem am nächsten und übernächsten Tag aufgefangen werden können. Und auch darüber hinaus.

Spüren trauernde Angehörige in sich nach dem Erhalt der schrecklichen Nachricht das Verlangen, den Unfallort aufzusuchen?

Ja. Das ist normal. Es zieht den Angehörigen dahin. Man will an den Platz, an dem sein Kind, seine Frau, seine Eltern das Leben gelassen haben. Man will da sein, wo ein Angehöriger seine letzten Momente erlebt hat. Man sucht nach der Verbindung. Um Abschied zu nehmen. Das ist viel wichtiger als an dem Ort, an dem man die Nachricht erhalten hat, Abschied zu nehmen.

Warum ist das so?

Am Unfallort findet eine Realisierung statt. Da kommt eine Todesnachricht. Das erste, was man dazu sagt, ist: Glaube ich nicht. Aber dieses Hingehen, dieses erkennen: Da ist es passiert, wirklich passiert – das ist wichtig für die Trauerverarbeitung. Diese Sehnsucht ist groß. Früher hätte man gesagt: Fahren Sie da bloß nicht hin. Schauen Sie sich das bloß nicht an. Da bekommen Sie ein Trauma. Da ist man heute an einem anderen Punkt: Hinfahren, Abschied nehmen, es für wahr annehmen. Das sollte die Rettungsorganisation respektvoll würdigen und ermöglichen. Das geschieht heute auch.

Lesen Sie im folgenden Abschnitt, was Jan Mallmann-Kallenberg bei einer Supervision erlebt.

Am Dienstag war auch zu hören, dass Fluglinien-Personal sich außerstande sah, zur Tagesordnung überzugehen. Sie konnten ihrer Arbeit wegen der Trauer um verlorene Kollegen nicht nachgehen.

Das ist völlig normal. Man hat Angst. Man trauert. Man weiß ja auch nichts über die Ursache des Absturzes und denkt: Bevor das nicht geklärt ist, steige ich nicht ein. Könnte mir ja auch passieren. Dass man da mittelfristig wieder mit Hilfe raus muss, ist klar. Wir kennen aber auch Fälle, dass Menschen dann sagen: Ich kann den Job nicht mehr machen. Als Passagier möchte ich ja auch nicht haben, dass das Personal in Tränen aufgelöst ist. Rettungseinsätze gehen ja zudem an dem Rettungspersonal nicht spurlos vorbei. Heute ist dafür ein höheres Verständnis da – da sagt man: So, dienstfrei jetzt. Nach Hause wollen die Menschen meist aber nicht. Sie wollen bei Kollegen sein und sich austauschen.

Sie fangen nach dem Einsatz die psychologischen Hilfskräfte auf, das ist die so genannte Supervision. Was erleben Sie dabei?

Natürlich können die Psychologen oder Seelsorger das zum Teil nicht einfach wegstecken. Das wäre unmenschlich. Der Einsatz, das geleistete Pensum, das Leid der Trauernden wird lebendig, immer wieder. Man fühlt sich ja ein. Man ist berührt. Alle Psychologen, Seelsorger und Mediziner sind offen für das Thema Supervision. Um sich zu entlasten. Um aufgefangen zu werden, um das eigene Gleichgewicht wiederherzustellen. Das gelingt uns durch Gespräche, Sport, tanzen, singen oder andere Formen. Grundsätzlich gilt: Man sollte etwas tun, das schön ist, mit dem man sich dem Leben wieder zuwendet.

Das Gespräch führte Stephan Klemm