27 Jahre nach Wiedervereinigung 27 Jahre Deutsche Einheit: Sprache und Duden in BRD und DDR
Halle (Saale) - Die Mauer trennte nicht nur Familien, Ehepaare und Freunde voneinander. Sie hat auch die deutsche Sprache gespalten. Was für den Ostdeutschen ganz klar Kosmonaut hieß, war für den Westdeutschen der Astronaut; in der Bundesrepublik gab es am Grill-Stand Hähnchen, in der DDR wurde Broiler gegessen.
Bis heute trennen die Deutschen einige Wörter, obwohl sie dieselbe Sprache sprechen und sich nach der Wiedervereinigung auch ohne Probleme verstanden haben.
Dabei ist es eigentlich verwunderlich, dass es keine Verständigungsprobleme gab. Denn offiziell war der Wortschatz der DDR-Bürger um 45.000 Wörter ärmer als im anderen Teil Deutschlands. Zumindest laut Wörterverzeichnis des Dudens.
27 Jahre deutsche Einheit: Sparmaßnahmen bei Duden im Osten
Ab 1951 existierten nämlich zwei Redaktionen des Nachschlagewerkes. Beinahe 40 Jahre lang wurde die deutsche Sprache parallel erfasst. Während der letzte Ost-Duden der Leipziger Redaktion 65.000 Wörter führte, listeten die Kollegen in Mannheim für die Bundesrepublik 110.000 Wörter auf.
Die höhere Stichwortzahl lag unter anderem daran, dass der West-Duden in Konkurrenz zu anderen Wörterbüchern stand und auf viele Vorschläge und Wünsche der Benutzer einging.
Auch habe nicht Papier gespart werden müssen, denn Engpässe in der Lieferung habe es nur in Ostdeutschland gegeben, sagte Werner Scholze-Stubenrecht, Leiter der Dudenredaktion.
Duden in DDR und BRD: Einige Wörter im DDR-Duden nicht vorhanden
Aus Platzgründen hat der Ost-Duden auf Personennamen wie Einstein und Honecker, auf Fremdwörter sowie auf Zusammensetzungen wie Bronzemedaille verzichtet.
Einen politischen Hintergrund für die unterschiedliche Wörteranzahl schließt Scholze-Stubenrecht aus. Das im DDR-Duden das „Wirtschaftswunder“ und der „Bundeskanzler“ fehlten, scheint nicht ideologisch bedingt gewesen zu sein.
Denn schließlich waren bundesrepublikanische Wörter wie „Nylon“ oder „Außenminister“ aufgelistet. Dennoch hat Scholze-Stubenrecht keinen Zweifel daran, dass die Leipziger Kollegen politisch zentrale Wörter wie „Kapitalismus“ oder „Kommunismus“ im Einklang mit der Parteilinie behandelten.
Sprache in DDR und BRD: Einige Bezeichnungen nach Wende überflüssig
Von heute auf morgen hatte die Partei aber nichts mehr zu sagen. Das Politbüro, das Bruderland, der Fünfjahresplan und die Brigade waren mit ihr untergegangen.
Es gab nun eine Bundesregierung mit einem Kanzler. Man konnte eine GmbH gründen und einen Bafög-Antrag stellen. Administrative Bezeichnungen der BRD wurden übernommen.
Wörter aus den Sachbereichen Politik, Wirtschaft und Verwaltung kamen hinzu und krempelten verschiedenen Bereiche des öffentlichen Lebens um. „Dadurch, dass die DDR aufhörte zu existieren, wurden die alten Bezeichnungen für das System überflüssig“, erklärt Linguist Beat Siebenhaar von der Universität Leipzig den Sprachwandel nach der Wiedervereinigung.
Duden in BRD und DDR: Herausforderungen in Verwaltung
Ähnlich wie nach dem Zusammenbruch des Dritten Reiches veränderte sich im administrativen Bereich die Terminologie für alles Mögliche. Für die Ostdeutschen ein „einschneidendes Ereignis“, denn sobald sie etwas Offizielles erledigen wollten, hatten sie es mit für sie neuen Begriffen zu tun.
Siebenhaar selbst kann sich sehr gut in die Lage der Ostdeutschen versetzen. Vor sieben Jahren ist der Schweizer nach Deutschland gezogen. Bestimmte Abrechnungs-Formulare muss er immer noch für sich „übersetzen“, da die Vorgänge in der Schweiz anders bezeichnet werden.
Genau jene Bereiche haben die Sprache nach dem Mauerfall tangiert. Und obwohl bestimmte Begriffe überflüssig wurden, verschwinden sie nicht so ohne weiteres - „Volkskammer“ steht noch heute im Duden, denn im Unterricht kommt man nicht ohne diesen Begriff aus.
Sprache in Ost und West: Wortschatz miteinander verschmolzen
Allerdings hat sich der Kontext, im Vergleich zu damals verändert. Das passiert nicht nur mit Wörtern aus untergegangenen Staaten, sagt Siebenhaar.
Unsere Sprache ist stets im Wandel. Das beweist die Jugendsprache, aus der hin und wieder Wörter in die Umgangssprache aller wechseln. Als der Professor selbst noch jung war, gab es in jugendlichen Kreisen bereits den „Vollpfosten“. Doch erst jetzt hat der es in die Alltagssprache und damit in den Duden geschafft.
Genauso wie sich der Vollpfosten von den Jugendlichen aus in die Umgangssprache geschlichen hat, ist auch der in Ostdeutschland und Westdeutschland gebräuchliche Wortschatz miteinander verschmolzen. Mit der Wiedervereinigung vermischte sich alles, wie der „Einheitsduden“ von 1991 zeigt.
Sprache in DDR und BRD: Erster Kontakt mit Grilletta und Delikatladen
Bei diesem gingen die Redakteure aus Ost und West die letzte BRD-Ausgabe in mehreren Sitzungen von A bis Z durch – auf Papier natürlich und nicht wie heute am Computer.
Die sechs zuständigen Redakteure des Leipziger Ost-Dudens ergänzten dabei, was ihrer Meinung nach im West-Pendant fehlte. Dabei lernten zuerst die drei Redakteure des Mannheimer Dudens den Delikatladen, die Grilletta, den Nomenklaturkader und auch die Singegruppe kennen, erinnert sich Scholze-Stubenrecht, der zu diesem Zeitpunkt auch Teil der „Einheitsredaktion“ war.
„Das, was im Sprachgebrauch lebendig war, sollte weitestgehend im Duden zu finden sein“, sagt er. „Dabei ging es nicht um Politik, sondern um Lexikographie.“
Duden in Ost und West: Nicht alles „Neue“ prägte sich ein
Während die Westdeutschen so auch endlich die Soljanka schätzen lernen konnten, tauchten die Ostdeutschen in eine neue Welt ein, in der es Bodybuilder, Videotheken und Carsharing gab.
Sie verschmähten wortwörtlich ihre Grilletta und räumten lieber dem Hamburger Platz ein. Aber sie waren auch eigen. Nicht alles, was „neu“ war, prägte sich ein, wie die Plaste-Tüte beweist.
Womöglich hat man sich an den Produktionsbegriff gewöhnt, sagt Scholze-Stubenrecht. Vielleicht aber hat sich die Plaste auch einfach wegen der auffälligen Autobahn-Leuchtreklame „Plaste und Elaste aus Schkopau“ der Buna-Werke in den Köpfen der Menschen festgesetzt. Wie das Plastik hat es auch der Overheadprojektor 27 Jahre später schwer im Osten. Denn er kommt nicht gegen den Polylux an.
Duden in BRD und DDR: Phänomen „DDR-Sprache“ hat es nie gegeben
Solche sprachlichen Phänomene als „DDR-Sprache“ zu bezeichnen, sei aber falsch. Denn: „Die“ DDR-Sprache habe es nie gegeben, sagt Linguist Siebenhaar.
Es handele sich eher um regionale Varietäten wie beim mansfeldischen oder sächsischen Dialekt. Im Norden sagt man „Moin“, in Bayern „Grüß Gott“. Analog gibt es die Dreiraumwohnung im Osten und die Dreizimmerwohnung im Westen.
Bis diese für eine Region typische Ausdrucksart ausgedient hat, könnten nach Meinung des Linguisten ohne weiteres noch hundert Jahre vergehen. Denn der Wortschatz der Ostdeutschen ist in Geschichten und Romanen niedergeschrieben.
Hinzu kommt, dass Menschen gern mit Stereotypen spielen und sich darüber definieren. Solange wir also noch über die Unwissenden aus dem Tal der Ahnungslosen (in und um Dresden) lächeln und das Bananen-Klischee mit Humor bedienen, so lange wird auch die identitätsstiftende sprachliche Varietät lebendig bleiben, die Deutschland in Astronaut und Kosmonaut teilt. (mz)