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150 Jahre Münchner Weißwurst 150 Jahre Münchner Weißwurst: Die Legende gerät ins Wanken

Von Jürgen Balthasar 20.02.2007, 08:52
Ein Paar Weißwürste liegt mit süßem Senf und einer Brezel auf einem Teller. (Foto: dpa)
Ein Paar Weißwürste liegt mit süßem Senf und einer Brezel auf einem Teller. (Foto: dpa) dpa

München/dpa. - Vor 150 Jahren - genau am 22. Februar 1857 - soll der Wirt Sepp Moser in seiner Münchner Gaststätte «Zum Ewigen Licht» die Weißwurst erfunden haben. Kurz vor dem Jubiläum macht ausgerechnet der Chef des Münchner Stadtarchivs, Richard Bauer, ein dickes Fragezeichen hinter diese Legende. Die Weißwurst sei lediglich eine saftigere Variante der damaligen Münchner Bockwurst gewesen, sagt Bauer. Vielleicht gehe die vermeintliche Münchner Spezialität sogar auf die viel ältere französische Wurstsorte «boudin blanc» zurück.

Der Überlieferung nach gingen dem Sepp Moser in seinem Lokal amMarienplatz ausgerechnet im Höhepunkt des Faschings die Schafsdärmefür seine Bratwürste aus. Der Wirt ließ das Brät kurzerhand in diezufällig noch vorhandenen dickeren und viel weiteren Schweinsdärmeeinfüllen - und weil das Produkt nun nicht mehr ganz so gut zumBraten taugte - im Wasserkessel heiß machen. Die «Königin imWurstrevier» - wie einst Mundart-Dichter Herbert Schneider dieWeißwurst rühmte - war geboren.

Wie bei jeder Legende gebe es auch hier einen wahren Kern, sagtBauer. So gab es den Sepp Moser tatsächlich, und er führte damalsauch die Gaststätte «Zum Ewigen Licht». Sie hatte diesen Namen, weilin den winzigen und fensterlosen Gasträumen immer künstliches Lichtbrennen musste. Doch wenn es um die Wurst geht, sah die Wirklichkeitwohl anders aus. Beim Studium alter Dokumente fand Bauer heraus,dass es die weiße Münchner Wurst längst gab - in Form der MünchnerBockwurst, die vom 1. Mai bis Fronleichnam zum Maibock-Bier gereichtwurde.

Und diese Bockwurst könnte sogar auf die französische «boudinblanc» (weiße Wurst) zurückgehen. Angesichts der engen AnlehnungBayerns an das napoleonische Frankreich zu Beginn des 19.Jahrhunderts könnte einiges dafür sprechen, sagt Bauer. «Der SeppMoser hat vielleicht das Brät etwas gestreckt und damit eineBockwurst light produziert, die etwas wässriger und somit saftigerwar.» Aber Genaues weiß man nicht - schließlich habe damals keinStadtchronist am Wurstkessel gestanden. Die Feierlaune will derStadtarchivar jedenfalls nicht verderben: «Gute Legenden haben auchein Recht auf ein Jubiläum.»

«Ob die Weißwurst vor 150 Jahren erfunden wurde oder früher, istuns - um im Bild zu bleiben - herzlichst wurscht», sagt die MünchnerFremdenverkehrschefin Gabriele Weishäupl. «Die Weißwurst gehört zuden touristischen Attraktionen in München wie die Pinakotheken, dasOktoberfest, die Oper oder der FC Bayern.» Die Leiterin desTourismusamtes schreibt der überwiegend aus Kalbfleischhergestellten Weißwurst fast eine Völker verbindende Wirkung zu:«Denn sobald die Weißwurst auf dem Teller liegt, entspinnt sichsofort ein reger Gedankenaustausch, wie man sie richtig isst.»

Und das ist in der Tat fast eine Wissenschaft für sich. AlsBanause gilt jedenfalls, wer die Haut mit isst oder die Wurst inKetchup statt in süßen Senf taucht. Aber dann scheiden sich schondie Geister. Hardliner unter den Weißwurst-Fans lassen beim Verzehrnur das Auszuzeln (Aussaugen) gelten. Dabei wird die Wurst an derSpitze angebissen oder angeschnitten, mit der Hand in Senf getauchtund in den Mund geführt. Dann wird das Fleisch bei sanftem Druck derSchneidezähne aus der Haut herausgequetscht und -gesaugt. Doch dasAuszuzeln gilt zunehmend als wenig vornehm. Die Fraktion derWeißwurst-Schneider ist deshalb auf dem Vormarsch: Sie schneiden dieWurst längs oder quer an, lösen dann das Innere aus der Haut undessen es mit Messer und Gabel. Letztlich gilt aber das MünchnerLebensmotto: «Mei - der eine mag's so, der andere so.»