100 Jahre «Köpenickiade» 100 Jahre «Köpenickiade»: Luxemburg im Bann des falschen Hauptmanns

Luxemburg/Berlin/dpa. - 100 Jahre nach der «Köpenickiade» istLuxemburg im Bann des falschen Hauptmanns: Anhänger des Schusters Wilhelm Voigt recherchieren in Archiven, um neue Details über seinLeben im Großherzogtum ans Tageslicht zu ziehen. Im Kapuzinertheaterder Hauptstadt wird gerade Carl Zuckmayers «Hauptmann von Köpenick»aufgeführt. Und auf dem Liebfrauenfriedhof werden mehr Besucher alsin anderen Jahren erwartet. Denn dort ist die letzte RuhestätteVoigts, der 1906 als preußischer Hauptmann verkleidet im Rathaus vonBerlin-Köpenick den Bürgermeister verhaftete und die Stadtkasse mit4000 Mark und 70 Pfennigen beschlagnahmte.
Schon damals löste der Coup des gebürtigen Tilsiters als«Gaunerstückchen», «abenteuerlich-romantische Räubergeschichte» und«unerhörter Streich» in der Öffentlichkeit ein großes Echo aus.Voigt, damals bereits vorbestraft, wurde festgenommen und kam insGefängnis. Anschließend wanderte er nach Luxemburg aus, wo er von1909 bis zu seinem Tod am 3. Januar 1922 lebte.
Die «Köpenickiade» hat ihn zeitlebens begleitet. Auch wenn er inder Hauptstadt des Großherzogtums als Schuster und Kellner arbeitete,nutzte er seine «Berühmtheit» für Auftritte als Hauptmann imamerikanischen Zirkus «Barnum & Bailey». Wie der luxemburgischeHauptmann-Fan Marc Jeck in alten Unterlagen herausgefunden hat,verkaufte Voigt auch Autogrammkarten zu 30 Pfennig das Stück und ließsich bereitwillig vor seiner Wohnung gegen Entgelt fotografieren.
«Jeder kannte Voigt damals, aber er gehörte niemals so richtig zurluxemburgischen Gesellschaft dazu», sagt Jeck, der in Luxemburg beider Touristinformation arbeitet. Allem Anschein nach habe Voigtzunächst keine Geldprobleme gehabt. Bei seinem Tod sei er jedoch«völlig verarmt» gewesen. Die Kosten für die Beerdigung übernahm dieArmenkasse, sein Grab erhielt zunächst keinen Grabstein.
Noch bei seinem Begräbnis spielte sich eine «wahre Köpenickiade»ab: Als der Trauerzug an einer französischen Truppeneinheitvorbeikam, soll jemand dem französischen Offizier erzählt haben, mantrage den berühmten «Capitaine de Koepenick» zu Grabe, berichtetJeck. Der Offizier habe angenommen, dass es sich um einenverdienstvollen Hauptmann des Luxemburger Freiwilligenkorps handelteund seinen Männern befohlen, gebührend Haltung anzunehmen und zusalutieren.
Das Grab von Voigt bekam erst 1961 eine Gedenktafel, als es derZirkus Sarrasani für 15 Jahre erwarb. Auf der Grabinschrift warallerdings das falsche Geburtsdatum angegeben: 1850 statt 1849. «DerIrrtum fiel erst 15 Jahre später auf», erzählt Jeck. 1975 übernahmdie Stadt die Grabkonzession.
Die Ruhestätte Voigts gehört in Luxemburg heute noch zu denKuriosa. In einer Broschüre für Touristen wird es neben demGroßherzoglichen Palais, den Kasematten und dem neuen Museum fürmoderne Kunst genannt. «Als geführten Rundgang bieten wir aber nichtszum Hauptmann an», sagt der Verkehrsdirektor der Stadt Luxemburg,Roland Pinnel. Außer dem Grab sei nichts mehr erhalten: Auch dasHaus, in dem Voigt gewohnt habe, sei inzwischen abgerissen.
Friedhofswärter Edy Allard berichtet, dass es nach wie vorregelmäßig deutsche Schulklassen ans Grab von Voigt zieht. Aucheinzelne Touristen kämen immer wieder. «Da aber nur das Grab da ist,schauen sie zehn Minuten, machen Fotos und gehen wieder», sagt er.
Jeck glaubt, dass Luxemburg aus dem «Hauptmann» mehr machenkönnte. «Ursprünglich war sogar für dieses Jahr ein Köpenick-Festivalgeplant», erzählt er. Weil die «Köpenickiade» aber «ein kriminellerAkt» gewesen sei, seien die Stadtväter wohl wieder von dem Planabgerückt. Sogar eine Städtepartnerschaft zwischen Luxemburg-Stadtund Berlin-Köpenick sei mal im Gespräch gewesen. «Aber auch darausist leider nichts geworden», bedauert er.
Dafür wird aber in Berlin das Hauptmannsjahr gebührend gefeiert.Höhepunkt ist der 100. Jahrestag am 16. Oktober 2006, an dem miteinem historischen Marsch des Hauptmanns und seiner Garde vom BahnhofKöpenick zum Rathaus an den Coup von Wilhelm Voigt erinnert wird.