MZ-Wirtschaftsnewsletter vom 16. Januar 2025 Von wegen abgehängt: Ländliche Regionen im Osten wachsen stärker als die Städte
Weitere Themen: SKW drosselt Produktion / Tierseuche trifft auch Schlachthof / Industrie geht Wasser aus / Holz aus dem Harz fehlt / Porsche baut weniger Autos
seit Generationen wohnt die Familie Dippe in dem kleinen Bördedorf Wulferstedt. Martin Dippe, Landwirt und ehrenamtlicher Präsident des Bauernbundes, ist im vergangenen Jahr einer der Organisatoren der Bauernproteste in Sachsen-Anhalt gewesen. Dippe meldete unter anderem die Blockaden der Autobahnabfahrten an. Ein Jahr danach, blickt er im MZ-Gespräch zurück und erzählt, warum der Protest aus seiner Sicht erfolgreich war. Dass der 39-Jährige ohne Furcht die Demonstrationen organisierte, liegt womöglich auch daran, dass er wirtschaftlich sehr unabhängig ist.
Das Büro des Hofes, den er mit seinen zwei Brüdern führt, befindet sich in seinem Elternhaus. Erbaut wurde das Fachwerkgebäude 1692. „Hier ist schon viel passiert“, sagt Dippe. An der Hauswand hängen mehrere Auszeichnungen vom Schützenverein. Die Familie ist fest ins Dorfleben eingebunden. Dippe lebt gern in Wulferstedt. „Wir haben hier sogar Zuzug“, sagt er. Junge Familien und Rückkehrer bauen am Ortsrand.
Eine abgehängte Region, wie einige ländliche Regionen in Ostdeutschland beschrieben werden, ist Wulferstedt sicher nicht. Eine aktuelle Studie des Thünen-Instituts zeigt sogar, dass das Wirtschaftswachstum in den vergangenen Jahren in den ländlichen Räumen fast doppelt so stark war wie in den urbanen Zentren.
„Das Wirtschaftswachstum lag im ländlichen Raum bei 4,1 Prozent. Dieser hohe Wert hat uns selbst überrascht“, sagt Petrik Runst, einer der Studienautoren vom Thünen-Institut. Die ostdeutschen Ballungszentren kommen auf 2,3 Prozent, in Deutschland waren es 1,8 Prozent. Betrachtet wurde die Veränderung der Bruttowertschöpfung im Zeitraum von 2019 bis 2022. Sehr deutlich wird die Entwicklung mit Blick auf die Landkreise in Sachsen-Anhalt (siehe Grafik).
Im untersuchten Zeitraum gab es mit der Corona-Pandemie, den Lieferkettenproblemen und der Inflation infolge des Ukraine-Krieges mehrere Krisen, die Unternehmen in ländlichen Gebieten offenbar besser überstanden haben. Zu den Gründen für die Unterschiede, gehe ich in einem MZ-Bericht detaillierter ein.Die Zahlen machen Mut und sollten zu Zuversicht führen, dass die ländlichen Regionen eben keine abgehängten Gebiete sind. Wer aufmerksam durch Mitteldeutschland fährt, sieht meist gepflegte Dörfer mit einem regen Gemeindeleben. Die Arbeitslosigkeit ist auf dem Dorf niedriger als in der Stadt. Das größte Problem, auch das beschreiben die Thünen-Wissenschaftler, ist die Abwanderung und die älter werdende Bevölkerung. Nicht Auftragsmangel, sondern fehlende Nachfolger oder Mitarbeiter führen zu Firmenschließungen in den Dörfern.
Doch diese Entwicklung kann gestoppt werden. Anders als in den Städten gibt es in den ländlichen Gebieten günstigen und attraktiven Wohnraum. Ein Haus in Halle oder Leipzig zu kaufen, ist für viele junge Familien unbezahlbar – also bleiben sie in der mitunter teuren Mietwohnung. Immobilieneigner und Gemeinden auf dem Land müssen diesen jungen Menschen mehr Angebote machen, damit jahrhundertalte Dörfer - ähnlich wie das Haus der Familie Dippe, fortbestehen. Denn ein Dörfersterben wäre nicht nur ein wirtschaftlicher Verlust, sondern vor allem ein kultureller.
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Bis kommende Woche, herzlich Steffen Höhne
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