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MZ-Wirtschaftsnewsletter vom 26. September 2024 Industrie geht verloren: Warum die Investitionen entscheidend sind

Weitere Themen: Postbank schließt viele Filialen / Neuer Investor am Flughafen / Nicht nur Süßes von Halloren / Übernahme von Intel? / Kein Zug nach Paris

Aktualisiert: 26.09.2024, 10:18
Wirtschaftsnewsletter Industrie
Wirtschaftsnewsletter Industrie dpa/Stedtler

vor einigen Jahren sollte in Sangerhausen ein neues Industriegebiet gebaut werden. Das scheiterte, weil zu viele geschützte Hamster auf dem Areal lebten. Gebaut wurde nur auf einem kleinen Areal, dafür sollte für drei Millionen Euro eine Hamsterzuchtstation als Ausgleich entstehen. Das Vorhaben schaffte es ins Schwarzbuch des Bundes der Steuerzahler. Nun werden die kleinen Nager wohl im Zoo in Halle gezüchtet. Dass nicht Industriefirmen, sondern eine hocheffiziente Landwirtschaft den vom Aussterben bedrohten Tieren die Lebensgrundlage entzieht, spielte in der Diskussion keine Rolle. Schließlich geht es nur darum, geltendes Recht umzusetzen.

Ja, das ist nur eine Anekdote, doch solche Fälle kann fast jeder Unternehmer erzählen. Wer eine Industrieanlage baut, muss mit einem Kleintransporter Kisten von Aktenordnern zum Bauamt bringen ­– so groß ist die Papierflut. Die Wirtschaftsverbände klagen bereits seit Jahren über die ausufernde Bürokratie, doch in der Öffentlichkeit war das bisher ein Nischenthema. Doch das ändert sich gerade, denn es gibt ernsthafte Anzeichen, dass hohe Energiekosten, Fachkräftemangel und Regulierungswahn zu einer Deindustrialisierung führen.

Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) sagte in der vergangenen Woche der MZ „aktuell ist jeder Tag ein Tag mit Deindustrialisierung in Deutschland“. Das Land schaffe es häufig nicht mehr, hierzulande entwickelte Technologie in industrielle Produktion zu überführen.

Lässt sich das mit Fakten belegen? Die Zahl der Industrieunternehmen in Sachsen-Anhalt ist rückläufig – einen Einbruch gibt es aber nicht. Im Jahr 2019 gab es laut Statistischem Landesamt 665 Industriefirmen mit mehr als 20 Beschäftigten, Ende 2023 waren es 631 – das entspricht einem Rückgang von etwa fünf Prozent. In diesem Zeitraum sank die Zahl der Beschäftigten deutlich um 3.541 auf 108.627.

Die Nettoabflüsse sind die Differenz zwischen Investitionen deutscher Unternehmen im Ausland und ausländischer Unternehmen in Deutschland. Eine große ausländische Investition war zuletzt die Tesla-Fabrik bei Berlin.
Die Nettoabflüsse sind die Differenz zwischen Investitionen deutscher Unternehmen im Ausland und ausländischer Unternehmen in Deutschland. Eine große ausländische Investition war zuletzt die Tesla-Fabrik bei Berlin.
Grafik: Kroschel/DPA

In Sachsen-Anhalt zogen sich in den vergangenen fünf Jahren einige mittelständische Industriebetriebe zurück, andere siedelten sich aber auch neu an. In den kommenden Tagen werde ich in der MZ darüber ausführlich berichten.

Wirtschaftsforscher Steffen Müller vom Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung Halle (IWH) weist darauf hin, dass nicht die Zahl der Werksschließungen oder Insolvenzen entscheidend zur Beurteilung der Lage ist. Firmen kommen und gehen. Entscheidender sind die Höhe der Investitionen und die geleisteten Arbeitsstunden insgesamt.

Es ist erstaunlich, wie wenig das Thema bei der Dichte an Wirtschaftsforschungsinstituten in Deutschland untersucht ist. Der Ökonom Christian Rusche vom arbeitgebernahen Institut der deutschen Wirtschaft weist in aktuellen einer Studie darauf hin, dass seit Jahren die ausländischen Direktinvestitionen in Deutschland deutlich niedriger ausfallen als die Investitionen, die deutsche Firmen im Ausland tätigen. Im Vorjahr lag das Defizit bei 94 Milliarden Euro (siehe Grafik). „Die wiederholt hohen Netto-Abflüsse deuten darauf hin, dass es sich nicht um Ausnahmeerscheinungen, sondern um erste Symptome einer Deindustrialisierung handelt“, so der Ökonom. Die letzte große ausländische Direktinvestition in Ostdeutschland war die Tesla-E-Autofabrik bei Berlin.

Nicht wenige Ökonomen vertreten den Standpunkt, der Verlust von Industrie sei hinnehmbar, da dieser durch neue Jobs im Dienstleistungssektor ausgeglichen werden kann. Doch mit Blick auf die USA, die drei Jahrzehnte Deindustrialisierung bereits hinter sich haben, zeigt sich, das diese Analyse falsch ist. Natürlich gibt es in den USA die gutbezahlten Arbeitsplätze in der IT-Branche. Doch diese kompensieren den Jobverlust in der Industrie nicht. Viele neue Jobs entstanden im schlecht bezahlten Dienstleistungsbereich, wo Arbeitnehmer morgens als Fahrer bei Amazon und nachmittags am Tresen in einer Fast-Food-Kette arbeiten.

Wie Deutschland trotz hoher Energie- und Lohnkosten eine Industrienation bleiben kann, wird nach meiner Einschätzung eines der wichtigsten Themen in den kommenden Jahren werden. Der MZ-Wirtschaftsnewsletter für Mitteldeutschland behält es auf jeden Fall im Blick.

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Bis kommende Woche, herzlich Steffen Höhne

Wichtige Wirtschaftsthemen der Woche aus Mitteldeutschland

Postbank zieht sich zurück

Die Postbank schließt bis 2026 mindestens sechs große Filialen in Sachsen-Anhalt. Auch kleinere Standorte sind betroffen. Ein Landrat will das nicht hinnehmen und protestiert. (MZ)

Rekordpreis zu Weihnachten

Weniger Kühe und eine steigende Nachfrage führen dazu, dass die Preise für Milchprodukte steigen. Die 250-Gramm-Packung kostet im Handel schon wieder mehr als zwei Euro. Zu Weihnachten wird ein Allzeithoch beim Preis erwartet. (MZ)

Neuer Investor am Flughafen

Direkt im Südbereich des Flughafens Leipzig/Halle entsteht ein neuer Logistikpark. Als Mieter sollen „luftfrachtaffine“ Unternehmen gewonnen werden. 100 Jobs sind in Aussicht. (MZ)

Nicht nur Süßes

Die Halloren Schokoladenfabrik in Halle will künftig nicht nur Süßes produzieren. Firmenchef Darren Ehlert will aus der Kakaobohne unter anderem auch Kosmetik herstellen. Erste Produkte gibt es bereits. (MZ)

Deutschlandticket wird teurer

Das Deutschlandticket kostet ab kommendem Jahr 58 Euro, Sachsen-Anhalts Verkehrsministerin Lydia Hüskens findet das zumutbar. Trotzdem halten sich klamme Kommunen schlimmstenfalls den Ausstieg offen. Woran das liegt.

Sparkassen müssen zahlen

Ein Urteil des Oberlandesgerichts Naumburg zu Nachzahlungen beim Prämiensparen kann jetzt bei den Sparkassen Mansfeld-Südharz und Stendal in Kraft treten. Auch Kunden anderer Sparkassen sollten Ansprüche prüfen. (MZ)

Chefs machen Krankenbesuch

Der Krankenstand in der Tesla-Fabrik in Grünheide liegt bis zu dreimal so hoch wie im Branchenschnitt. Daher machen die Chefs nun auch Krankenbesuch. Ist das zulässig? (HB)

A380 im Anflug

Die Elbe-Flugzeugwerke steigen in den Markt für die Wartung des größten Passagierfliegers der Welt, des Airbus A380, ein. Kunde ist die junge britische Airline „Global Airlines“, die mit der A380 von London nach NYC und Los Angeles fliegt. Das Werk liegt direkt am Airport Dresden. (SZ)

Ein A380 bei der Wartung.
Ein A380 bei der Wartung.
Foto: EFW

Intel wird Übernahmekandidat

Der US-Wettbewerber Qualcomm prüft einen Kauf des Chip-Konzerns. Die Gespräche sind in einer frühen Phase. Die Auswirkungen auf geplante Fabriken in Magdeburg sind unklar. (MZ)

Notbremse gezogen

Wiederholt bremsen Bauarbeiten der Bahn den Nachtzug von Halle nach Paris aus. Zu unsicher, sagen die österreichischen Betreiber und streichen das Angebot aus dem Fahrplan. Wann die Kunden wieder planmäßig in den Schlafwagen einsteigen können. (MZ)

Der Nachtzug mit Schlafwagen fährt von berlin nach Paris.
Der Nachtzug mit Schlafwagen fährt von berlin nach Paris.
Foto: Georg Hochmuth/APA/dpa

Stellenabbau möglichDie IG Metall hat Volkswagen davor gewarnt, Vereinbarungen auch für die sächsischen Standorte zu kündigen. Nun verschärft sich der Streit um mögliche Entlassungen und Werksschließungen. (MZ)