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Zugunglück Zugunglück: Lokführer kann sich kaum erinnern

Von Katrin Löwe 08.10.2012, 06:13

Magdeburg/MZ. - Ihr Lieblingshobby Reiten ist noch tabu, sie ist vergesslicher geworden, eine Arm-Operation steht ihr bevor und laufen kann sie zwar wieder, aber noch nicht ganz so wie früher. Das Drama hat Spuren hinterlassen. Doch im Vergleich zum Januar 2011: Äußerlich gehe es Amalia wieder gut, sagt Rechtsanwalt Jens Kownatzki. Vor gut anderthalb Jahren bangten viele um das Leben der damals Zehnjährigen, die nach dem Zugunglück von Hordorf im Koma lag. Die auch verarbeiten muss, dass sie Schwester und Mutter verlor. Zehn Menschen starben, als am 29. Januar 2011 eine Regionalbahn des Harz-Elbe-Express (Hex) und ein Güterzug auf eingleisiger Strecke frontal zusammenstießen, 23 wurden verletzt.

Seit Montag läuft der Prozess gegen den Güterzug-Lokführer. Amalias Vater ist einer der wenigen Nebenkläger, die dazu selbst erschienen. Andere scheuen sich. "Die Zeit war zu kurz, um das schon verarbeitet haben zu können", sagt Christel Schellin, die die Familie der getöteten Hex-Zugbegleiterin vertritt. Die Frau hinterließ einen Ehemann und drei Kinder. Insbesondere der Jüngste, damals zwölf, habe es noch schwer. Die Mutter war seine Hauptbezugsperson.

Ein Stück Aufarbeitung

18 Betroffene des Zugunglücks lassen sich vor Gericht von Anwälten vertreten. Hass gegenüber dem Angeklagten gebe es nicht, sagen zwei, die für die Ehefrau beziehungsweise die Eltern von weiteren Todesopfern im Saal sind. Es gehe um Aufklärung, darum, zumindest mit einem Kapitel in der Aufarbeitung dieser schrecklichen Januarnacht abschließen zu können. Bisher sei das auch schwierig gewesen, weil der Angeklagte sich nicht geäußert hatte.

Titus S., Güterzug-Lokführer eines privaten Transportunternehmens aus Niedersachsen, wird vorgeworfen, vor der eingleisigen Strecke bei Hordorf sowohl ein Vorsignal als auch ein Haltesignal nicht beachtet zu haben. Aus Unaufmerksamkeit, wie Oberstaatsanwältin Martina Klein sagt, gekannt habe der Angeklagte die Strecke. Dann liest Klein Namen vor, die aller Getöteten, die der Verletzten. Und S., im schwarzen Anzug und sichtbar angespannt, bricht diesmal sein Schweigen - wenn auch nur indirekt. Er lässt seinen Anwalt eine Erklärung verlesen, in der er um Entschuldigung bittet und den Betroffenen sein Mitgefühl ausspricht. "Ich hoffe, dass Sie das annehmen können." Seit 18 Jahren im Beruf und begeisterter Eisenbahner, habe er nie für möglich gehalten, einmal in ein "so furchtbar grausames Unfallgeschehen" verwickelt zu sein. Laut seinem Unternehmen arbeitet der 41-Jährige inzwischen wieder, allerdings nicht mehr als Lokführer.

Was genau in jener Nacht passiert ist, daran hat S. nach eigenen Angaben nur bruchstück- und schemenhafte Erinnerungen. Die Signale habe er nicht wahrgenommen, ob wegen des Nebels oder aus anderen Gründen, sei ihm bis heute unerklärlich. Als er dann auf dem Display im Lok-Führerstand das Notfallsignal gesehen und die Bremsung eingeleitet habe, seien schon die Lichter des entgegenkommenden Hex vor ihm aufgetaucht. Der Verdacht, den folgenschweren Zusammenstoß an Kilometer 42,702 selbst verursacht zu haben, ist dem 41-Jährigen laut seiner Erklärung schon am Unglücksort gekommen.

iPhone in der Lok

Dann schweigt Titus S., auch aus Angst, mit jeder falschen Wortwahl die Hinterbliebenen der Opfer erneut zu verletzen, wie es heißt. Sie und ihre Anwälte indes hätten jede Menge Fragen. Zum Beispiel zu dem privaten Handy von S. und einem DVD-Player, die in der Lok des Güterzuges gefunden wurden, wie Rechtsanwalt Jens Kownatzki sagt. Bei dem iPhone sei zum Unglückszeitpunkt eine Datenverbindung aktiv gewesen. Ob S. selbst damit hantierte und dadurch abgelenkt war oder sich eine App automatisch einwählte, ist offenbar unklar.

Für Kownatzki steht aber auch grundsätzlich die Frage, ob private Telefone im Führerstand erlaubt sind. "Wir wollen nicht, dass hier der Deckel schnell zugemacht wird", sagt er. Es gehe darum, Nachlässigkeiten und Fehler öffentlich zu benennen und künftig abzustellen. Auch mit der Deutschen Bahn hadern einige Angehörige, wie Anwälte berichten. Ein System, das beim Überfahren von Haltesignalen automatisch eine Zwangsbremsung auslöst und so das Unglück hätte verhindern können, war in Hordorf erst im Sommer 2011 installiert worden.

Der Prozess wird am Mittwoch und Donnerstag unter anderem mit der Befragung von Fahrdienstleitern, Polizisten und Experten vom Eisenbahnbundesamt fortgesetzt.