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Zerstörung im Zweiten Weltkrieg Zerstörung im Zweiten Weltkrieg: Der schnelle Wiederaufbau der Buna-Werke

Von Steffen Höhne 06.07.2015, 08:47
Durch alliierte Bombenangriffe wurde das Buna-Werk 1944 schwer beschädigt. Dennoch gelang es, die Produktion relativ schnell wieder aufzunehmen.
Durch alliierte Bombenangriffe wurde das Buna-Werk 1944 schwer beschädigt. Dennoch gelang es, die Produktion relativ schnell wieder aufzunehmen. Landesarchiv Lizenz

Schkopau - Es habe leise gepfiffen, erinnert sich Heinz Rehmann. Dann habe man die donnernden Einschläge gehört. Anfang Mai 1944 griffen Bomberverbände der Alliierten erstmals in größerem Umfang den Chemiestandort Leuna an. Der damals 13-jährige wohnte mit seiner Familie in der Siedlung Freienfelde zwischen Schkopau und Merseburg. Von seinem Elternhaus aus hatte er Blick auf das Buna-Werk. Am 28. Juli 1944 kam es zum ersten Bombenangriff auf das Schkopauer Werk. „Als Kinder mussten wir beim Fliegeralarm sofort in den Keller und später in den Luftschutzbunker“, sagt Rehmann heute.

„Von den direkten Angriffen haben wir wenig mitbekommen, die unglaubliche Zerstörung sahen wir freilich danach. “ Rehmann hat es später denn genau recherchiert: Auf den Großraum Merseburg-Leuna-Lützkendorf-Schkopau wurden 19 463 Tonnen Sprengbomben abgeworfen. Daraus wurden 85 312 Sprengbomben errechnet. Bei den Angriffen starben hunderte Menschen und eben so viele Häuser wurden zerstört. Die Alliierten wollten das Herz der mitteldeutschen Chemie treffen - im Fokus hatten sie dabei auch das Buna-Werk, in dem synthetischer Kautschuk für die Reifenproduktion hergestellt wurde.

Unabhängig von Kautschukimporten

Buna ist kein Ort, wie viele fälschlicherweise denken. Butadien mittels Natrium polymerisiert, ergab in Deutschland den Kunstnamen Buna als Bezeichnung für Synthesekautschuk (Gummi). Dieser wird auch noch heute in Schkopau hergestellt. Der Bau von Buna 1936 in Schkopau durch die IG-Farben AG gehörte nach Ansicht des Berliner Industrie-Historikers Rainer Karlsch zu den „größten Autarkieprojekten des NS-Regimes“. Man wollte unabhängig von Kautschukimporten aus Asien oder Südamerika sein. Neben Schkopau gab es noch Buna-Werke in Marl (NRW), Ludwigshafen (Rheinland-Pfalz) und Auschwitz (Polen).

Wegen der hohen strategischen Bedeutung war die Chemieregion besonders geschützt. Ähnlich wie in Berlin wurde eine sogenannte Flakfestung aufgebaut. Britische und amerikanische Piloten flogen nur ungern Einsätze über die Chemiewerke. Die gewaltigen Bombenabwürfe verfehlten ihre Wirkung nicht. Konnte nach den ersten Angriffen die Produktion in Schkopau immer wieder aufgenommen werden, kam sie 1945 zum Stillstand. Dennoch waren die Schäden weniger stark als in Leuna. Am 13. April 1945 besetzten US-Truppen Merseburg und einen Tag später das Buna-Werk. Die Amerikaner nahmen 25 Wissenschaftler - darunter den späteren Werkleiter Johannes Nelles - und technische Unterlagen mit in ihre Zone. „Offensichtlich wollten die Amerikaner verhindern, dass diese Experten mitsamt ihrem Wissen in die Hände der Sowjets fielen“, schreibt der Historiker Karlsch. Elf kehrten allerdings nach ein paar Wochen zurück.

Weitere Informationen zum Wiederaufbau der Buna-Werke lesen Sie auf Seite 2.

Im Juli 45 besetzten sowjetische Truppen den Standort und setzten einen Kommandanten dafür ein. Dieser bemühte sich zur allgemeinen Überraschung sofort um die Wiederaufnahme der Produktion. Als größtes Problem bezeichnet Karlsch die Personalnot. „Im Jahr 1944 zählte das Werk rund 11 000 Beschäftigte, darunter 6 000 größtenteils zwangsverpflichtete ausländische Arbeitskräfte“, heißt es im Buna-Archiv. Nur ein kleiner Teil von diesen waren Kriegsgefangene. Die meisten kamen aus Italien, der Slowakei und Polen. Zur Produktion waren 9 500 Beschäftigte nötig, im Juli 1945 fanden sich allerdings nur 3 700 im Werk ein. Und auch diese erschienen nicht immer regelmäßig am Arbeitsplatz, da viele Männer und Frauen mit dem „Organisieren von Lebensmitteln“ beschäftigt waren.

Im März 1946 wurde Nelles als Werkleiter eingesetzt, der erst 35-Jährige unterstand dem Generaldirektor Antonowitsch Markewitsch. Nelles versuchte, Flüchtlinge aus den Ostgebieten als neue Mitarbeiter zu rekrutieren. Auch Rehmann begann 1945 als Lehrling im Buna-Werk. „Eine weitere Herausforderung bestand darin, die notwendigen Rohstoffe für die Produktion zu sichern“, sagt er. „Die Demontage von Betriebsanlagen stand zu diesem Zeitpunkt noch nicht auf der Tagesordnung“. Zwar hatten die Siegermächte auf der Potsdamer Konferenz 1945 beschlossen, die Kautschuk-Herstellung in Deutschland zu untersagen. In Schkopau wurde dies aber mit einem Trick umgangen. Buna gehörte zu den 213 Unternehmen im Osten, die in sowjetisches Eigentum überführt wurden - die sogenannten SAG-Betriebe. Dabei handelte es sich in der Regel um industrielle Leuchttürme. Die sowjetischen Kommandanten waren im Stalin-Regime persönlich für deren Erfolg verantwortlich. Im Jahr 1948 wurde nahezu die Hälfte der Produktion des Buna-Werkes für Reparationszwecke verwandt. Wiedergutmachungen waren also nicht nur - wie häufig geschrieben - mit der Demontage von Anlagen verbunden.

Rohstoff wurde gegen Rohstoff getauscht

Werkleiter Nelles bekam relativ freie Hand, um die Produktion wieder aufzubauen. So sollten Buna-eigene landwirtschaftliche Betriebe die Versorgung der Mitarbeiter mit Lebensmitteln sichern. Wichtige Rohstofflieferanten wie die Rübeländer Kalkgruben wurden dem Werk angegliedert. Zudem betrieben die Chemie-Unternehmen untereinander Kompensationshandel. Rohstoff wurde gegen Rohstoff getauscht - teilweise auch mit dem Ausland. Als ein schwedischer Industrieller die Lieferung von Kautschuk wünschte, erhielt das Buna-Werk dafür 25.000 schwedische Glühlampen. Das führte dazu, dass die Produktion von Synthesekautschuk von 7 500 Tonnen im Jahr 1945 auf 38 500 Tonnen zwei Jahre später anstieg.

Überraschend kam nach Angaben von Karlsch für die Belegschaft im Frühjahr 1948 daher auch der Demontagebefehl. „70 Prozent der Endstufe der Kautschuk-Produktion wurde abgebaut“, so Rehmann. Für diese Arbeiten waren zwischenzeitlich 500 bis 1 000 Mitarbeiter abgeordnet. Zudem wurden nochmals drei Schkopauer Chemiker für die Arbeit in der UdSSR verpflichtet. Sie halfen bei der Kautschuk-Forschung in verschiedenen Instituten. Die Anlagen aus Buna wurden in Woronesh wieder aufgebaut. „Fast die gesamte sowjetische Gummi-Produktion konzentriert sich auf Woronesh“, schrieb „Der Spiegel“ im Dezember 1950.

1954 ging das Werk in Eigentum der DDR über

Von der Demontage erholte sich das Schkopauer Werk allerdings relativ schnell. Bereits 1955 überschritt das Werk den bisherigen Produktionshöchststand von 1943. Der Historiker Karlsch kommt daher auch zu dem Resümee, dass der zielgerichtete Wiederaufbau vor allem am „überragenden Interesse der sowjetischen Besatzungsmacht am Schkopauer Hauptprodukt“ lag. In Anbetracht des Hungers und Mangels in der Region und des Weggangs vieler Fachleute verdiene die Aufbauleistung der Werksangehörigen allerdings „große Anerkennung“. 1954 ging das Werk in Eigentum der DDR über.

Den besonderen Status, den Buna bis zum Ende der DDR genoss, macht Rehmann, der Betriebsleiter in einem Betrieb des Kombinates war, an einer Begebenheit fest: Dass es in Schkopau unter bestimmten Umständen neue Autoreifen gab, sprach sich schnell auch in Künstlerkreisen herum. Der „erste Kunde“ war 1946 der Schauspieler Heinz Rühmann, bekannt durch Filme wie „Die Feuerzangenbowle“. Er bat um vier neue Reifen für seinen privaten Pkw. Im Gegenzug wollte sein Ensemble das Lustspiel „Der Mustergatte“ aufführen. Die Aufführung fand im Theatersaal des Gemeinschaftshauses statt. Die 800 Besucher im voll besetzten Saal waren „restlos begeistert“.

Demontage und Neuaufbau gingen in Leuna gleichzeitig vonstatten.
Demontage und Neuaufbau gingen in Leuna gleichzeitig vonstatten.
Landesarchiv Lizenz