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Wissenschaft Wissenschaft: Das Knochen-Rätsel um Johann Sebastian Bach

Von RALF BÖHME 19.07.2011, 19:08

Halle (Saale)/MZ. - Johann Sebastian Bach hat viel Besuch. Täglich kommen hunderte Musikfreunde an sein Grab in der Leipziger Thomaskirche. Die Frage ist nur: Liegt das Musik-Genie auch wirklich dort? Zweifel daran äußerte während eines Vortrages an der Leopoldina-Akademie der Naturforscher in Halle der international namhafte Gerichtsmediziner Walther Parson aus Innsbruck.

Auslöser seiner Überlegung ist die Geschichte der Bach-Gebeine: Sie stammen aus einem namenlosen Grab auf dem Leipziger Johannisfriedhof. Quellen besagen: "Sechs Schritte geradeaus von der Thüre an der Südseite" soll sich der Begräbnisort von Bach befunden haben - eine eher vage Angabe. 1894 wurde auf dem Friedhof nach den Bach-Gebeinen gesucht, mehrere Särge wurden geborgen.

Dass einer von ihnen die sterblichen Überreste des 1750 gestorbenen Komponisten enthielt, bezeichneten zeitgenössische Wissenschaftler als "in hohem Grade wahrscheinlich". Der unumstößliche Beweis aber blieb aus. Und obwohl nach späteren Forschungen auch einiges für die Echtheit des Bach-Skeletts sprechen könnte, dürfte nach Worten von Parson wohl erst eine umfassende DNA-Analyse letzte Gewissheit bringen. Dazu wäre allerdings ein beträchtlicher Aufwand erforderlich. Denn funktionieren kann diese Methode nur, wenn Vergleichsmaterial vorliegt. Das müsste, etwa mit Hilfe der Exhumierung von zweifelsfreien Bach-Nachfahren, gewonnen werden.

Die DNA (Desoxyribonukleinsäure) ist Trägerin des Erbgutes. Sie setzt sich zusammen aus den Stoffen Adenin, Guanin, Cytosin und Thymin, die an Ketten aufgereiht sind. Die Kriminaltechnik macht die DNA als Strich-Code sichtbar. Das ist das Prinzip, die Details und seine Anwendung sind das Spezialgebiet des 46-jährigen Parson. Der Wissenschaftler, der Mitglied der Leopoldina-Akademie ist, steht nicht im Ruf eines grauen Theoretikers. Im Gegenteil, er wäre vermutlich der richtige Mann für eine solche Aufgabe. Immerhin gilt es als sein Verdienst, dass der Friedrich-Schiller-Code geknackt wurde.

Ab 2006 untersuchte der Innsbrucker Molekularbiologe den Fall. Mit 1 200 DNA-Untersuchungen verfolgte der Forscher die genetische Spur - mit dem sensationellen Ergebnis im Jahr 2008: Es waren keinesfalls die Knochen von Friedrich Schiller, die da im Sarg neben Goethe in der Weimarer Fürstengruft lagen. Daraufhin ließ die Stiftung Weimarer Klassik die Gebeine entfernen.

Hutgröße 58

Arbeitslos kann Walther Parson kaum werden. "Zwischen 1750 und 1850 waren alle berühmten Schädel auch Sammelobjekte." Dieses Phänomen hängt mit einer damals verbreiteten Ansicht zusammen, dass man das Wesen eines Menschen von seiner Kopfform ablesen könne. Allein Franz Joseph Gall als Begründer der Phrenologie, so der Name dieser pseudowissenschaftlichen Lehre, soll mehr als 300 Schädel besessen haben. Bach beispielsweise hatte der Überlieferung nach Hutgröße 58 und war schon deshalb eine gefragte Ausnahmeerscheinung und mögliches Sammelobjekt. Die Musiker Haydn und Mozart sind nur zwei weitere berühmte Namen, um deren Schädel sich bis heute abenteuerliche Geschichten ranken. Parson: "Insofern stellt sich fast immer die Frage nach der Echtheit."

Ob das freilich in jedem Fall den Aufwand rechtfertige, schränkt der Wissenschaftler ein, sei eine ganz andere Sache. Nach seiner Erfahrung mit dem Schiller-Schädel erhitzten die Forschungsergebnisse die Gemüter derartig, dass Kontrahenten selbst wissenschaftlich zweifelsfrei gesicherte Erkenntnisse negierten - um so bei ihrer Auffassung bleiben zu können.

Hohe Trefferquote

Und Parson begründet seine Abneigung, die Gebeine von Bach zu untersuchen, mit weiteren Erfahrungen während des Schiller-Projekts: "Schiller hat mich zwei Jahre blockiert und von meiner eigentlichen Arbeit abgehalten." Denn selbst wenn es keine Verbrechen mehr gäbe, hätte Parson mit seinen Aufgaben als Gerichtsmediziner voll zu tun. Knochen von Menschen, die in Österreich sonst niemand identifizieren kann, landen bei Parson und seinen Kollegen im Gerichtsmedizinischen Institut der Uni Innsbruck.

Inzwischen dürfen sich die Wissenschaftler ihrer Sache ziemlich sicher sein. Die DNA-Analyse erreicht eine Trefferquote von 99,99 Prozent. Dabei genügt eine einzige genetische Spur. Ganze acht Stellen auf den menschlichen Chromosomen sind die Grundlage. Ihre Eigenschaften werden in einem computer-lesbaren Zahlen-Code gespeichert. Aus dem Vergleich ergibt sich dann im Idealfall eine unverwechselbare Zuordnung.

Als hilfreich erweist sich das unter anderem bei der Identifizierung der Opfer des Massakers von Srebrenica, wo serbische Soldaten im Juli 1995 bis zu 8 000 bosnische Männer und Jungen ermordeten und verscharrten. Parson unterstützt dort mit seinen Erfahrungen die Arbeit der Internationalen Kommission für vermisste Personen. So begutachtet der Innsbrucker Professor die wissenschaftliche Arbeit des DNA-Labors in Sarajewo, in dem die Identifizierung der Opfer des Jugoslawien-Krieges erfolgt.

Auch Interpol, die Internationale Kriminalpolizei-Organisation mit 188 Mitgliedsstaaten, nutzt die Hilfe des Gerichtsmediziners. Ein Beispiel ist die Einrichtung einer kostenlosen Interpol-Plattform für den weltweiten Austausch von anonymisierten DNA-Profilen. Neben solchen aktuellen Herausforderungen erscheinen die Unklarheiten um die Bach-Gebeine freilich eher wie ein Rätsel, das nicht unbedingt gleich heute oder morgen gelöst werden muss.