1. MZ.de
  2. >
  3. Mitteldeutschland
  4. >
  5. Wirtschaft
  6. >
  7. Ausbildung: Wenig Nachwuchs: So hat Envia-M-Personalchefin Nagl die Azubi-Zahlen erhöht

Ausbildung Wenig Nachwuchs: So hat Envia-M-Personalchefin Nagl die Azubi-Zahlen erhöht

Auch Ostdeutschlands größter Regionalversorger muss sich bei der Azubi-Suche anstrengen. Personalvorständin Sigrid Nagl erklärt, wie Envia-M wieder mehr junge Menschen anzieht.

Aktualisiert: 10.10.2024, 13:04
 Envia-M-Personalvorständin Sigrid Nagl setzt auf die Werbung mit den eigenen Mitarbeitern.
Envia-M-Personalvorständin Sigrid Nagl setzt auf die Werbung mit den eigenen Mitarbeitern. Foto: Envia-M

Halle/MZ. - Jedes Jahr beginnen beim Energieversorger Envia-M etwa 100 junge Menschen eine Ausbildung. In der Werbung setze Ostdeutschlands größter Regionalversorger auf Social Media und die eigenen Mitarbeiter, erläutert Sigrid Nagl, Personalvorständin der Envia-M-Gruppe. Mit ihr sprach MZ-Wirtschaftsredakteur Steffen Höhne.

Frau Nagl, wie schwer fällt es der Envia-M-Gruppe, Azubis zu gewinnen?

Sigrid Nagl: Wir haben wieder zugelegt. Hätten Sie mich im vergangenen Jahr gefragt, hätte ich ge-sagt: Wir tun uns schwer. Wir haben uns als Ziel gesetzt, etwa 100 Azubis im Jahr neu zu gewinnen. In den vergangenen Jahren musste ich dem Aufsichtsrat dann erklären, warum es nur etwa 80 waren. Wir hatten immer weniger Bewerber und deren Qualität ging auch noch zurück. In diesem Jahr haben wir es dann durch eine deutlich professionellere Kampagne geschafft, bisher 103 Auszubildende an Bord zu holen.

Was haben Sie in der Nachwuchsgewinnung verändert?

Wir präsentieren unser Unternehmen vor allem durch Bildsprache viel stärker nach außen. Das machen wir unter anderem auf Messen und in sozialen Netzwerken.

Was ist das erfolgreichste Instrument?

Unsere eigenen Beschäftigten. Sie gehen auf Messen und sind auf Anzeigenmotiven zu sehen. Zu-dem stellen wir viel stärker vor, was wir eigentlich tun. Früher hat es wenige Menschen interessiert, woher der Strom kommt. Der kam aus der Steckdose. Durch die Energiekrise hat sich das verändert. Es gibt jetzt einen Fokus auf die Energiebranche. Wir wollen das auch positiv nutzen, um die Geschichte zu erzählen, wie lebenswichtig Energie ist und welchen Beitrag wir dazu leisten.

Bei der Ausbildung zum Industrieelektriker oder Elektroniker für Betriebstechnik gehört bei Envia-M auch die Arbeit am Strommast.
Bei der Ausbildung zum Industrieelektriker oder Elektroniker für Betriebstechnik gehört bei Envia-M auch die Arbeit am Strommast.
Foto: Envia-M

Wie wichtig ist Social Media? Werden dort die Geschichten erzählt?

Sehr wichtig. Die jungen Leute sind dort unterwegs. Zwei unserer Azubis und zwei Jungfacharbeiter posten da auch regelmäßig aus ihrem Arbeitsalltag. Das hat die Klickzahlen enorm nach oben gebracht.

Welche Portale nutzt Envia-M vor allem? Und wie viele Mitarbeiter beschäftigen sich bei Ihnen mit Social Media?

Bei der Ansprache junger Menschen sind es vor allem Instagram und TikTok. Wir haben aber auch mit Twitch begonnen. In Vollzeit beschäftigen sich zwei Kollegen in der Unternehmenskommunikation damit. Wir ermutigen auch Führungskräfte, aber auch Mitarbeiter und Azubis, über das Unternehmen etwa auf dem Karrierenetzwerk LinkedIn zu berichten.

Die Digitalisierung verändert auch die Berufsbilder. Sie bilden jetzt auch Kaufleute für Digitalisierungsmanagement aus. Was machen die?

Es geht vor allem darum, prozessuales Denken zu erlernen und in den Betrieb zu bringen. Arbeitsschritte sollen digitalisiert werden, um den Berufsalltag zu erleichtern. Das wird gut nachgefragt. Wir wollen weg vom klassischen Kaufmann oder Kauffrau für Büromanagement. Auch in den technischen Berufsbildern, die wir vor allem ausbilden, spielt digitale Technik eine große Rolle.

Ist das an den Berufsschulen genauso?

Die praktische Arbeit im Betrieb ist viel digitaler als das, was an den Berufsschulen unterrichtet wird. Das liegt aber daran, dass die Prüfungen noch recht klassisch sind. Und auf diese müssen sich die Azubis vorbereiten. Da gibt es aus meiner Sicht Handlungsbedarf. In unseren Ausbildungszentren bereiten wir die Azubis auf beides vor: die realen Anforderungen im Betrieb und die Prüfungen. Dazu nutzen wir bereits einige digitale Lösungen und Instrumente.

Wie gut gelingt es Envia-M, die Lehrlinge zu halten?

Sehr gut. Wir haben eine tariflich zugesicherte Übernahme von einem Jahr. Die ist befristet. Früher gab es anschließend meist noch weiterführend Befristungen. Doch inzwischen entfristen wir teilweise bereits im ersten Jahr. Etwa 1.500 Mitarbeiter in unserem Unternehmen sind älter als 50 Jahre. Wir benötigen junge Menschen, um durch Renteneintritte freiwerdende Stellen nachbesetzen zu können. Mit Arbeitnehmern, die bei uns ausgebildet wurden, gelingt das in der Regel am besten.

Sicher ist der enviaM-Nachwuchs auch für andere Unternehmen interessant.

Das haben wir in der Vergangenheit auch gemerkt. Wir hatten Abgänge, weil junge Absolventen wo-anders sofort eine unbefristete Stelle bekommen haben. Da mussten wir auch unser eigenes Vorgehen hinterfragen.

Sie haben eingangs im Gespräch gesagt, es gebe zunehmend auch qualitative Probleme. Wie ausbildungsfähig sind die Jugendlichen?

Das ist ein großes Thema. Zuerst haben wir gedacht, es ist nur die Corona-Zeit. Wir hatten jetzt die ersten Jahrgänge, die während der Pandemie ihren Abschluss gemacht haben. Inzwischen merken wir jedoch, dass es Schülern beispielsweise sehr an digitaler Kompetenz fehlt. Zudem nimmt die Selbstständigkeit ab.

Das ist doch verwunderlich. Der Jugend wird doch unterstellt, sie lege das Smartphone nicht mehr aus der Hand.

Es geht aber bei uns nicht darum, zu zocken oder Instagram zu benutzen. Kaum ein Jugendlicher kann mit Office-Anwendungen wie Excel oder PowerPoint umgehen. Da sehe ich einen deutlichen Auftrag an die Schulen.

Wie stark wird bei ihnen ausgesiebt?

Es gibt bei uns einen Einstellungstest und ein Gespräch. Im Schnitt wird jeder dritte Bewerber zum Test zugelassen und einer von vier Bewerbern mit erfolgreichem Test bekommt einen Ausbildungsvertrag.

Haben Flüchtlinge oder Kinder von Flüchtlingen eine Chance?

In jedem Jahrgang sind es ein oder zwei. Das ist nicht viel. Häufig fehlt die Sprachkompetenz, die bei uns enorm wichtig ist. Es wird in der Lehrwerkstatt mit Stromelementen gearbeitet. Da darf es keine Verständnisprobleme geben. Zur Sicherheit der jungen Menschen dürfen wir bei den Anforderungen keine Abstriche machen.