Flugkapitän im MZ-Interview Pilot zu DHL-Absturz: „Normalerweise gibt es nicht nur einen einzelnen Grund“
Der Absturz einer Frachtmaschine im Auftrag von DHL in Vilnius löst viele Spekulationen über die Ursache aus. Der Flugkapitän Frank Blanken erklärt, wie Flugzeugcrews damit umgehen.
Halle/MZ. - Am Montag ist eine Frachtmaschine im Auftrag von DHL, die vom Airport Leipzig/Halle kam, in der litauischen Hauptstadt Vilnius abgestürzt. Ein Pilot kam dabei ums Leben, drei weitere Crew-Mitglieder wurden teilweise schwer verletzt. Die Ursache für den Absturz steht bisher nicht fest. DHL beschäftigt in Leipzig/Halle mehr als 250 Piloten. Wie gehen diese mit solchen Ereignissen um und wie sicher ist die Luftfahrt? Darüber sprach MZ-Wirtschaftsredakteur Steffen Höhne mit dem Piloten Frank Blanken, der auch im Vorstand der Gewerkschaft Vereinigung Cockpit sitzt.
Werden andere Piloten etwa bei DHL durch solche Abstürze verunsichert?
Frank Blanken: Wenn bei Abstürzen Menschen zu Schaden kommen oder sterben, dann berührt das natürlich auch die Piloten. Verunsichert werden die Piloten dadurch aber nicht. Wir versuchen, damit rational umzugehen. Die Spezialisten der Flugunfalluntersuchung werden die Ursachen ermitteln und Empfehlungen aus ihren Erkenntnissen ableiten. Von den Ergebnissen werden dann alle, am Luftverkehr Beteiligten, inklusive der Piloten, lernen.
Wie beurteilen Sie den Absturz in Vilnius?
Es ist wichtig, die Ergebnisse der Untersuchungen abzuwarten. Wir als Vereinigung Cockpit beteiligen uns nicht an Spekulationen, weil uns die genauen Fakten fehlen. Natürlich liest man derzeit sehr viel über mögliche Ursachen. Ich persönlich kann daraus noch nichts ziehen, um mir eine Meinung zu bilden.
Ist es eine neue Qualität, dass man von Anfang an auch Sabotage als Ursache untersucht?
Eigentlich nicht. Anschläge auf Flugzeuge sind zwar selten – es gab sie aber in den vergangenen Jahrzehnten. Bei der Ursachenforschung wird am Anfang nie etwas ausgeschlossen.
Durch solche Ereignisse leidet auch der Ruf der Luftfahrt insgesamt. Das Sicherheitsempfinden der Passagiere dürfte zurückgehen.
Das Flugzeug ist mit großem Abstand das sicherste Transportmittel. Das ist erst einmal ein Fakt. Natürlich gibt es Risiken, unter anderem die terroristische Bedrohung. Doch in den vergangenen Jahren wurden diesbezüglich die Sicherheitsmaßnahmen sowohl im Passagier- als auch im Frachtbereich deutlich und fortwährend verstärkt. So dürfen beispielsweise keine Flüssigkeiten mehr an Bord genommen werden. Einige mögen das für übertrieben halten. Die Maßnahmen sind aber ein Teil eines Systems, um die Risiken beherrschbar zu machen.
Ist der Luftverkehr durch den Ukraine-Krieg unsicherer geworden?
Dieser bewaffnete Konflikt stellt natürlich ein Risiko für die Luftfahrt dar. Doch das System Luftverkehr hat sich darauf eingestellt. Das Kriegsgebiet ist räumlich klar umrissen und wird nicht mehr überflogen. Von daher ist der Luftverkehr aus meiner Sicht nicht unsicherer geworden. Schwieriger ist die Situation in Gebieten, wo es keinen klaren Kriegszustand gibt, aber politische Unsicherheiten, die auch mit einem möglichen Einsatz von Waffen einhergehen könnten. In diesen Graubereichen bedarf es solider Abwägungen.
Zurück zum Absturz in der Ukraine. Wann erwarten Sie erste Ergebnisse bei den Untersuchungen?
Die Unfalluntersuchungsstellen geben meist Zwischenberichte heraus. Relativ zeitnah wird dann eine erste Einschätzung zur möglichen Ursache gegeben. Dies ist aber abhängig vom Erkenntnisstand der Flugunfalluntersucher. Bis endgültig die Absturzursache ermittelt ist, wird es dauern. Da es normalerweise nicht nur einen einzelnen Grund gibt, sondern es sich um eine Verkettung von Umständen handelt.
Erklären Sie das bitte. Wann wird es Ergebnisse geben?
Die Behörden in Litauen haben bereits jetzt bekannt gegeben, dass sie bis jetzt keine Hinweise auf einen Sabotageakt erkennen können, obwohl sie dies nicht endgültig ausschließen. Es gibt ganz wenige Fälle, wo ein einzelner Fehler zu einem Unglück führte. Meist handelt es sich um eine Verkettung von Fehlern und mehrere Abwehrmaßnahmen, die nicht gegriffen haben. Dabei ist es wichtig zu verstehen, dass es das Ziel der Flugunfalluntersucher ist, die Geschehnisse in ihrer Gesamtheit zu verstehen. Nur so ist es möglich, Empfehlungen an die Luftfahrt zu geben, die eine Wiederholung verhindern. Daher dauert es oft auch länger, bis das endgültige Ergebnis feststeht.
Wie geht DHL nun mit seinen Piloten um? Wird mit denen gesprochen?
A: Es war ein Flugzeug einer, von DHL beauftragten spanischen Fluggesellschaft betroffen. Normalerweise bieten Airlines ihren Mitarbeitenden Gesprächs- und Hilfsangebote in einem solchen Fall bei Bedarf an. Ob das bei DHL der Fall ist, müsste das Unternehmen selbst beantworten. Unabhängig davon bieten wir von der Vereinigung Cockpit sowohl für akute Vorfälle als auch für evtl. folgende psychische Belastungen Supportmöglichkeiten für betroffene Piloten und Pilotinnen an.