Weißenfels Weißenfels: Elfjährige ist unheilbar an Krebs erkrankt
WEISSENFELS/MZ. - Jenny möchte die Zeit, die ihr bleibt, wie ein ganz normales Mädchen ihres Alters genießen: Kino, Schwimmbad, Fahrradfahren, essen, was sie möchte. Sie will nachholen, was ihr in den elf Jahren ihrer Krankheit verwehrt blieb. Sie will endlich leben, auch wenn sie bald sterben ...
Jenny möchte die Zeit, die ihr bleibt, wie ein ganz normales Mädchen ihres Alters genießen: Kino, Schwimmbad, Fahrradfahren, essen, was sie möchte. Sie will nachholen, was ihr in den elf Jahren ihrer Krankheit verwehrt blieb. Sie will endlich leben, auch wenn sie bald sterben muss.
Es ist ein ganz normaler Tag: Jenny sitzt zu Hause auf der Couch. Das Mädchen mit den blonden kurzen Haaren guckt die Zeichentrickserie SpongeBob (Schwammkopf) und redet kaum. "Eigentlich ist zurzeit Schule, aber Jenny kommt morgens schlecht aus dem Bett", sagt Mutter Steffi Franke. Jenny darf so lange zu Hause bleiben, bis sie wieder kräftig ist. Erst vor wenigen Wochen hat sie wieder eine Operation überstanden. Dem Mädchen ist ein bösartiger Tumor entfernt worden. Es ist die letzte Operation, die sie über sich hat ergehen lassen.
Tumor am Oberarm
Vor elf Jahren kommt das Mädchen auf die Welt. In den ersten drei Monaten scheint alles in Ordnung zu sein. Nur, dass das Baby durch sein Geschrei die Nacht zum Tag macht. "Vielleicht ging es ihr da schon nicht so gut", vermutet Steffi Franke. Da fällt der Mutter eine Beule am rechten Oberarm des Kindes auf. Der Säugling wird untersucht. Die schlimmsten Befürchtungen bestätigen sich: Krebs.
"Da konnten wir plötzlich gar nicht so schnell gucken, wie Jenny die Infusionsnadeln im Arm hatte", erinnert sich die Mutter an den Beginn der Behandlung. Der Tumor wird entfernt. Der Arzt wird später seine Hand zur Faust schließen, um der Mutter zu zeigen, wie groß die bösartige Wucherung gewesen ist. "Das Mädchen muss unvorstellbare Schmerzen gehabt haben", teilen ihr die Ärzte mit. Wenig später wird das Kind 18 Tage nacheinander in eine Vollnarkose versetzt und bestrahlt. Damit sollen die Reste des Krebses endgültig beseitigt werden.
Die Folge ist, dass der Oberarm aufhört zu wachsen. Danach ist nichts mehr, wie es war in der Familie. Jennys Immunsystem ist schwach. Mundschutz, Blasenentzündungen, Fieberanfälle begleiten den Alltag. Die Ehe der Eltern zerbricht. Der viereinhalb Jahre ältere Bruder Frank hilft, wo er kann. Und wenn es das heimliche Baden in der Wanne ist. Denn eigentlich ist das seiner Schwester verwehrt. Grund ist der Port. Das ist ein Venenzugang, durch den Medikamente eingeleitet werden können. Manchmal fasst sich die Mutter aber ein Herz. Sie klebt den Port ab und lässt ein bisschen Wasser in die Wanne, damit Jenny ein wenig Vergnügen hat. Sandkasten und vieles andere sind tabu.
Der Rückfall kommt 2005. Das komplette rechte Schulterblatt ist von Metastasen befallen und wird entfernt. Ein Stützkorsett sorgt seitdem für den Halt des Armes. 2007 scheint endlich alles gut zu werden. "Die Ärzte haben sich verhalten optimistisch gezeigt", so die Mutter. Der Port wird entfernt. Es ist das erste Mal, dass Jenny richtig baden kann. "Wir haben die Wanne bis oben hin volllaufen lassen", erinnert sich Steffi Franke und lächelt. Mit sieben wird Jenny eingeschult, lernt seitdem in einer Schule für körperbehinderte Kinder in Halle.
"Wir haben gedacht, wir haben es geschafft", so Steffi Franke. Sie haben es nicht geschafft. 2009 stellt sich heraus, dass die Lunge des Mädchens zusammengefallen ist. Später werden Metastasen entdeckt. Zu diesem Zeitpunkt wehrt sie sich das erste Mal gegen die Prozedur. "Sie hat gesagt, sie will das nicht mehr", so die Mutter. Jenny lässt sich noch einmal behandeln, wenn auch widerwillig.
In diesem Jahr entpuppt sich ein blauer Fleck auf der Schulter als ein weiterer Tumor. Wieder eine Operation, wieder ein Port und wieder eine quälende Chemotherapie. Die Metastasen in der Lunge sind aber immer noch da. Die Ärzte wollen sie bekämpfen.
Die Mutter fasst sich ein Herz und fragt nach dem Erfolg durch die geplante Behandlung. "Sie haben mir gesagt, dass sie mit oder ohne die Behandlung keine Überlebenschance, nur eine Verlängerung haben wird." Auf weniger als zehn Prozent werden die Chancen eingeschätzt. Die Ärzte äußern sich nur zurückhaltend zu der Frage, welche Lebensqualität die Elfjährige nach der Behandlung hat. Keiner kann sagen, wie es Jenny gehen wird. Jenny weiß darüber Bescheid. Sie ist niedergeschlagen und hört auf zu essen, scheint in sich zusammengesunken. Mutter und Tochter setzen sich an einen Tisch. Jenny sagt: "Ich will mein Leben genießen, so wie es jetzt noch ist." Die Mutter akzeptiert dies, die Ärzte eigentlich nicht. Aber Steffi Franke verweist auf die nunmehr Elfjährige. Und Jenny beharrt: "Ich will nicht mehr in die Klinik!"
Die Mutter will ihrem Kind noch so viele Wünsche wie möglich erfüllen. Jenny darf heute Inlineskates fahren und sich im Sand einbuddeln. Außerdem hat sie einen gefärbten Pony, ein Nasenpiercing und einen schwarzbraunen Yorkshire Terrier. Sammy heißt er und zaubert immer wieder ein Lächeln auf das Gesicht des Mädchens. "Das Zusammensein mit ihm ist für uns alle wie eine Therapie", sagt Steffi Franke, die eigentlich nie einen Hund wollte.
Seit einigen Tagen hat Steffi Franke ein Tattoo. Auf ihrem Oberarm ist Jenny als Engel eingraviert. Bruder Frank hat sich die Hand der Schwester auf seinem Schulterblatt verewigen lassen. Das sollte alles eigentlich erst geschehen, wenn Jenny nicht mehr da ist. "Aber sie wollte dabei sein, es sehen, wie es entsteht", sagt Steffi Franke. Frank hat seiner Schwester vor wenigen Tagen übrigens Stubenarrest verabreicht. Jenny war verwundert. Sie hatte nichts angestellt. "Ich will nicht, dass du gehst...", lautete seine Antwort.
Eine Überraschungsparty
Anfang Oktober wird in einem Lützener Gasthof gefeiert. Es soll keine Abschiedsparty sein, sondern eine Überraschungsparty. Jenny wird ein wunderschönes Ballkleid tragen. Eingeladen sind alle, die in den vergangenen elf Jahren den Weg begleitet haben. Ärzte, Freunde, Schüler, Taxifahrer.
Mutter, Bruder und Tochter haben außerdem ein Foto-Shooting gemacht. Die schönen Bilder sollen eine Erinnerung sein. Jenny selbst würde gerne noch einmal im Freizeitbad Maya Mare baden und vielleicht einen Urlaub am Bodensee machen, erzählt sie. Dafür fehlt aber das Geld. Zwar hat die Mutter ein Spendenkonto eingerichtet. Dort sind bis jetzt gerade mal 78 Euro eingezahlt. Also hat sie Spendendosen gebastelt. Sie stehen an zehn verschiedenen Stellen in Weißenfels. Unter anderem im Sonnenstudio, im Kosmetikstudio, beim Bäcker und im Supermarkt. "Das ist eigentlich nicht meine Art", versichert die Mutter. Sie weiß aber, dass ihr nicht mehr viel Zeit bleibt.
Nach der Feier werden Mutter und Tochter unter anderem bei einem Steinmetz vorbeischauen. Jenny wird sehen, wie Grabsteine entstehen. Sie weiß außerdem von ihrer Mutter, was sie tun muss, wenn ihr Moment gekommen ist. "Ich habe ihr gesagt, dass dann ein ganz helles Licht scheint und da soll sie ohne Angst hineingehen. Sie wird dann ein Engel."
Spenden an Kreissparkasse Burgenlandkreis,
Kontoinhaberin: Jenny FrankeKontonummer: 4011 074 239
Bankleitzahl: 800 53000
(Im Artikel der Druckausgabe der MZ hatte sich leider ein Fehler in die Kontonummer eingeschlichen. Wir bitten dies zu entschuldigen.)