Waggonbauer-Familie Waggonbauer-Familie: Sogar die Tante aus Schwaben hat ihm Mut gemacht
Halle/MZ. - "Den haben sie mit dem Kinderwagen ins Werk gefahren, den tragen sie auf der Bahre wieder raus", sagt man in Ammendorf über altgediente Waggonbauer wie die Manns. Als Kinder hatten sie mit Muttern Holzabfälle zum Heizen aus dem nahen Werk gekarrt, als Jugendliche waren sie beim Basketball auf Korbjagd gegangen, und auch im Berufsleben arbeiteten sie gemeinsam - in ein und demselben Werk.
Die Gebrüder Norbert und Wolfram Mann gehören zu den vielen Bewohnern der halleschen Vorstadt, deren Lebensweg auf das Engste mit dem Waggonbau Ammendorf verbunden ist. Erst Ende vorigen Jahres trennten sich die beruflichen Wege der beiden Männer. Wolfram hatte den Absprung geschafft, war in den Vorruhestand gegangen.
Norbert, mit 53 vier Jahre jünger, weiß als Betriebsratsmitglied nur zu genau, dass er noch einen harten Kampf um seinen und die anderen fast 800 Jobs wird ausfechten müssen. Seit bekannt wurde, dass der kanadische Bombardier-Konzern den Ammendorfer Waggonbaubetrieb im Herbst 2005 schließen will, herrscht Unruhe in der Familie Mann, man könnte auch sagen, in der "Mannschaft".
Norberts Ehefrau Sigrid, sie arbeitet als Friseuse, wusste was zu tun war, als ihr Mann niedergeschlagen nach Hause kam. Sie hat ihn einfach in den Sessel bugsiert, einen Cognac eingeschenkt und gesagt: "Kopf hoch, Großer. Wir sind 34 Jahre durch dick und dünn gegangen, wir lassen uns nicht unterkriegen." Bruder Wolfram war aus alter Verbundenheit mit den Kollegen tags darauf zur Demo gekommen. "Nur Mut, du packst das schon", hatte er dem Bruder zugerufen und ihm auf die Schultern geklopft. Selbst die alte Tante aus dem Schwäbischen hatte spätabends angerufen, nachdem sie in der Tagesschau vom Schicksal der Waggonbauer erfahren hatte.
Norbert Mann ist seit 1965 im Werk. Hier hatte er Schlosser gelernt, sich zum Schweißer qualifiziert, in der Kleinteilefertigung seinen Part dazu beigetragen, dass Woche für Woche 20 Waggons für die damalige UdSSR auf die Schienen gestellt wurden. Wie gern wäre er selbst mal mit solch einem dunkelgrün-lackierten Zug durch die Lande gebraust. Doch wenn die "Wettbewerbsbesten" mit einer "Reise im Freundschaftszug" ausgezeichnet wurden, war er nie dabei. "Ich war weder in der Partei noch in der Kampfgruppe, hatte also schlechte Karten", nimmt er es heute mit Humor.
Aber auch Bombardier habe im Umgang mit verdienstvollen Mitarbeitern "gewisse Defizite". Nächstes Jahr könnte Norbert Mann rein theoretisch seine 40-jährige Betriebszugehörigkeit feiern. Bis vor zwei Jahren habe es dafür noch eine schöne Treueprämie gegeben, erzählt der Metaller. Inzwischen hätten sie aber die Jubilar-Ordnung geändert. "Statt Geld gibt es nun nur noch einen Blechorden", witzelt der Arbeitnehmervertreter. Wohl wissend, dass es für ihn tausendmal wichtiger wäre, den Job zu behalten.
"Junge, geh in den Waggonbau, da bist du in sicheren Bahnen", hatte Mutter Mann Norbert, ihrem Jüngsten, einst geraten. Daran habe er oft denken müssen, blickt er zurück. Und sich ausgemalt, dass auch Sohn Mirko hier unterkommen würde, sagt der Facharbeiter. Doch als sich ein Praktikum des Sprösslings im Unternehmen zerschlagen hatte, weil wieder eine Entlassungswelle rollte, "haben wir das abgehakt". Der junge Mann studiert in Merseburg Wirtschaft. "Er wird seinen Weg machen", ist der Vater überzeugt.
Glücksgefühle, die ihm etwas über die eigene, bedrückende Lage hinweghelfen. Doch die Wut darüber, "dass uns Bombardier verraten und verkauft hat", kocht immer wieder hoch. "Wir werden das Feld nicht kampflos räumen", sagt der Betriebsrat trotzig und setzt sich demonstrativ das knallrote Basecap der IG Metall auf. "Ob wir es erneut schaffen, wird sich zeigen."