Waggonbau Halle Ammendorf Waggonbau Halle Ammendorf: Belegschaft wird auf das tote Gleis geschoben

Halle/MZ. - Fast zur gleichen Stunde, als die Aktionäre des Bombardier-Konzerns gestern via Internet-Konferenz aus Montreal über Gewinne und Dividende informiert wurden, eröffneten Manager des kanadischen Unternehmens in Ammendorf, dass das hallesche Waggonbauwerk für immer auf das tote Gleis geschoben wird. Während die Anteilseigner des kanadischen Industrie-Riesen zufrieden sein konnten, blieb den zornigen, um ihre Jobs fürchtenden Waggonbauern nur, wutentbrannt in ihre roten Trillerpfeifen zu blasen und verzweifelt Transparente in die Kameras zu halten.
"Bombardier hat gut verdient - nun wird Waggonbau abserviert", lautete eine der Losungen. Eine andere warf dem kanadischen Konzern vor, Totengräber des Ammendorfer Werkes zu sein. Aber auch die nach Meinung der Waggonbauer viel zu passiven Landespolitiker bekamen gehörig ihr Fett weg. "Höppner geht, die Arbeit kommt - Böhmer kam, die Arbeit geht", stand voller Sarkasmus auf einem Plakat, mit dem der CDU-FDP-Landesregierung in Magdeburg Versagen und gebrochene Wahlversprechen ins Stammbuch geschrieben wurden.
Auf einer von der Werksleitung einberufenen Belegschaftsversammlung waren die Waggonbauer zuvor knallhart mit der bitteren Wahrheit konfrontiert worden, dass an diesem Standort künftig keine Schienenfahrzeuge mehr gebaut werden sollen. Als Bombardier-Geschäftsführer Wolfgang Tölsner dieses vernichtende Urteil über ihre Arbeitsplätze, ihre berufliche Existenz und die Zukunft ihrer Familien gefällt hatte, gab es kein Halten mehr. Die rund 540 anwesenden, zutiefst empörten Arbeitnehmer folgten der spontanen Aufforderung von IG Metall und Betriebsrat, die Veranstaltung zu verlassen und sich zu einem eigenem Meeting in einer Montagehalle zu treffen.
Elektro-Monteur Manfred Schäfer, seit drei Jahrzehnten im Waggonbau, war völlig ratlos, wie es nun weitergehen soll. "Wer stellt mich denn mit 47 Jahren noch ein?", sagte der Arbeiter. Auch Schweißer Ingo Neugebauer stand das Entsetzen ins Gesicht geschrieben. Ihm werde wohl nichts übrig bleiben, als sein Heil im Westen zu suchen, sagt der 40-Jährige. "Ich muss doch schließlich meine zwei Kinder ernähren." Dann reihte er sich in den Demonstrationszug Richtung Werkstor ein. Dorthin drängte es die Waggonbauer, um die geballte Medienpräsenz für ihren verzweifelten Kampf zu nutzen. Die Werkleitung hatte zuvor weder Mühe noch Kosten gescheut, um Pressevertreter von der brisanten Belegschaftsversammlung fern zu halten. Zusätzlich zum normalen Wachdienst war eine Kolonne schwarz uniformierter Bodyguards angeheuert worden. Nachdem die Demonstranten schließlich aber in breiter Front aus dem Werk drängten, gab es für den Wachdienst nichts mehr zu tun.
Als Günter Meißner, Chef der IG Metall Halle, die Waggonbauer "eine kämpferische Belegschaft" nannte, mutete das an wie ein Aufruf zur letzten, entscheidenden Schlacht. Dass es jemals soweit kommen würde, hatten viele Waggonbauer nicht für möglich gehalten. Erst recht nicht, als sich Bundeskanzler Gerhard Schröder 2002 im Wahlkampf als "Retter von Ammendorf" in Szene gesetzt hatte. Für die Zeit nach 2004 sollten Großaufträge der Bahn die Zukunft des Werkes sichern, hieß er. Als "makabre Politshow" bewertete ein Waggonbauer diesen Auftritt aus heutiger Sicht. "Dabei haben wir doch eines der modernsten Waggonbauwerke Europas", wollte Betriebsratsmitglied Lutz Hanke das Aus für den Standort nicht wahrhaben. Für die Bombardier-Spitze reichte das offenbar nicht aus.