Volksentscheid III Volksentscheid III: Prognosen als Tiefschlag
Magdeburg/MZ. - Je später der Abend, desto aufgeräumter die Stimmung. Zumindest hier hinten am Fenstertisch, um den die Mitglieder der Bürgerinitiative "Nein zum Volksentscheid" sitzen, werden die Mienen immer zufriedener, je mehr Stimmbezirke auf der großen Leinwand in der Landtagskantine als ausgezählt aufleuchten. "Wir sind begeistert", strahlt Hedwig von Beverfoerde, "denn das ist genau das Ergebnis, das wir uns gewünscht hatten."
Es ist kurz vor 19 Uhr, eine knappe Stunde nach Schließung der Wahllokale, und der mit großen Erwartungen gestartete Volksentscheid über das Kinderbetreuungsgesetz im Lande ist Geschichte. Zwar ist erst ein Drittel der Stimmbezirke ausgezählt, doch die Zahlen, die Landeswahlleiter Paul-Uwe Söker gerade verkündet, sprechen eine allzu deutliche Sprache. Es ist eine Abstimmung, bei der viele ihre Meinung per Wahlenthaltung dokumentierten und so das Volksbegehren ins Leere laufen ließen. Nur rund ein Viertel der Sachsen-Anhalter ist zur Wahlurne gegangen, etwa ein Drittel der gültigen Stimmen spricht sich gegen die Rückkehr des Anspruchs auf täglich zehnstündige Betreuung auch für Kinder arbeitsloser Eltern aus.
Kein Bangen und Hoffen ist nun mehr zwischen den Stehtischen, an denen Politiker, Medienvertreter und Mitglieder der Bürgerinitiativen smalltalken. Spannend ist seitdem nur noch das Handball-Länderspiel, das in der Raucherecke auf einem Bildschirm läuft. "Was den Rest betrifft, ist die Luft raus", kommentiert ein Fernsehmann. Das weiß auch Kay-Uwe Papenroth. Als Mitglied im Sprecherrat des Bündnisses hat er seit dem frühen Nachmittag nach einer Erklärung für das unerwartet schlechte Ergebnis suchen können. Noch ist ihm keine eingefallen. "Wir wussten, dass es schwer wird", sagt er, "aber als die ersten Prognosen zur Beteiligung kamen, war das schon ein Tiefschlag." Für die Kinder im Land sei das Ergebnis natürlich enttäuschend, aber auch Sachsen-Anhalt müsse über das Resultat nachdenken: "Die Beteiligung zeigt ja, dass wir ein Problem haben."
Conni Bräunlich, die daheim in Wittenberg am Fernseher sitzt, sieht das anders. "Ich kann mit diesem Ergebnis gut leben", sagt die Mutter zweier Kinder, die mit Nein gestimmt hat. Von Anfang an habe sie sich gefragt, ob die Initiative der Bündnis-Leute wirklich Gutes bewirken werde. "Wäre das durchgekommen", sagt die Hortnerin, "hätten die Kindereinrichtungen wieder anfangen müssen, zu ändern, was inzwischen prima läuft." Überdies habe sie aus den Erfahrungen mit ihren eigenen Kindern nicht nachvollziehen können, wo die Rechtslage eine Zwei-KlassenGesellschaft in der Kinderbetreuung bedeutet. "Meine Tochter Friederike beschwert sich heute noch darüber, dass sie damals immer bis Nachmittag im Kindergarten bleiben musste, ihr kleiner Bruder aber später immer Mittagskind sein durfte."
Die Sicht der Hortnerin teilt offenbar eine Mehrheit der Sachsen-Anhalter. Auch in der Magdeburger Landtagskantine überwiegt die Zufriedenheit an diesem Abend die Enttäuschung - der Jubel jedoch bleibt gebremst. Kein Sekt fließt, keine Gläser klingen. Selbst am Tisch der Nein-Initiative wird mit Selterswasser angestoßen. "Ein Sieg der Vernunft", kommentiert Hedwig von Beverfoerde, "aber die echten Probleme des Landes sind damit ja nicht gelöst."