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Vermisste Kinder Vermisste Kinder: Neue Hoffnung im Fall Jessica

Von Katrin Löwe 06.09.2012, 11:49

Morl/Berlin/MZ. - Hoffnung? Die wollte er nie aufgeben. „Sonst könnte ich die Arbeit nicht machen“, sagt Jan Merkel damals. Als dieser Satz Ende 2001 fällt, sind schon drei Jahre seit dem Verschwinden der elfjährigen Jessica Kopsch aus Berlin-Reinickendorf vergangen. Und knapp drei, seit ein Spaziergänger ihre Leiche in der Nähe von Halle fand.

Jetzt, weitere elf Jahre später, steht Kriminaloberkommissar Merkel vom Berliner Landeskriminalamt (LKA) im Studio von Deutschlands bekanntester Fahndungssendung, „Aktenzeichen XY ... ungelöst“. Er hat neue Hoffnung, den Mord an dem Mädchen doch noch klären zu können. Damals seien Abstriche von Jessicas Leiche entnommen und gesichert worden - Abstriche, in denen es nun gelang, männliche DNA zu sichern. Aus ermittlungstaktischen Gründen, heißt es, soll das nicht näher erklärt werden. Aber: „Wir gehen davon aus“, so Merkel, „dass es die DNA von Jessicas Mörder ist.“

Grausiger Fund an Kaolingrube

Zurück ins Jahr 1998: Am 28. Oktober verlässt die elfjährige Jessica kurz nach sieben Uhr morgens das Haus. Bis heute ist ein Rätsel, wo das Mädchen mit dem Spitznamen „Shorty“ hinwollte, ob es verabredet war. Den Schulranzen lässt es zu Hause, zwei Mitschüler sehen Jessica noch auf einem Weg, der genau entgegengesetzt ihrer Grundschule liegt. Dann verliert sich ihre Spur und nichts bringt die Ermittler weiter. Nicht zig Befragungen, nicht die 15000 von Jessicas Eltern verteilten Suchplakate, nicht deren flehentliche Appelle an mögliche Entführer. Von dem Mädchen fehlt jede Spur. Bis zum 9. Januar 1999.

Es ist ein Sonnabend, an dem ein 22-Jähriger aus Morl (Saalekreis) an der stillgelegten Kaolingrube des Ortes mit seiner Dogge spazieren geht. Das Tier ist unruhig, beginnt an einem Erdwall zu wühlen, bringt zwei grüne Plastiksäcke mit grauenvollem Inhalt zu Tage: die stark verweste, von Tieren angefressene Leiche eines Mädchens. Ermittler in Halle zucken zusammen. Seit Ostersamstag 1998 wird in der Saalestadt die 13-Jährige Mandy Schmidt vermisst. Ist es ihre Leiche? Die Frage lässt sich noch am gleichen Abend durch einen Vergleich mit Mandys Zahnarztunterlagen beantworten: nein. Es ist, weiß man wenig später, Jessica aus Berlin.

Schnell steht auch fest: Jessica wurde vergewaltigt und ermordet, aber der Fundort ist nicht der Tatort. Die Leiche ist in Morl, 200 Kilometer südlich von Reinickendorf, vor Wochen abgelegt worden. Zufall? Von der Autobahn 9 bis zur Grube sind es 19 Kilometer. Die Überprüfung auch hiesiger Sexualstraftäter bleibt ergebnislos. Bis heute schließen Ermittler weder Berlin noch den Raum Halle als Herkunftsort des Mörders aus.

Nahrung scheint letzterem ein Anruf zu geben, der jetzt noch während der „Aktenzeichen“-Sendung eingeht: Eine Frau will aufgrund des Leichen-Fundortes Parallelen zu einem Fall aus dem Raum Halle sehen, der sich 2011 abgespielt haben soll. Es habe Hinweise zu verschiedenen, auch geklärten Tötungsdelikten in der gesamten Region gegeben, relativiert Thomas Scherhant, Leiter der 7. Berliner Mordkommission, am Donnerstag. Ob davon etwas „passt“, werde geprüft. Grundsätzlich habe es mit halleschen Kollegen über Jahre einen Austausch gegeben, sobald Parallelen auffielen.

„Wir haben immer weiter ermittelt“, sagt Scherhant. Nur Hinweise, die kamen nach etwa drei Jahren nicht mehr. Bis Mittwochabend. Zehn gingen ein, werden nun geprüft.

Den Bezug zu Halle behalten die Ermittler im Auge. Scherhant geht bis heute davon aus, dass es ihn irgendwie geben muss. „Natürlich kann auch ein in Panik geratener Täter aus Versehen dort gelandet sein“, sagt er. Das aber sei so wahrscheinlich „wie ein Sechser im Lotto“. Ein „rein Berliner“ Täter, glaubt er, hätte sich der Leiche in den nahen Brandenburger Wäldern entledigt - viel zu groß wäre sonst das Risiko gewesen, entdeckt zu werden.

Jetzt hofft die Polizei, dass neue Hinweise - für entscheidende ist eine Belohnung von 5000 Euro ausgesetzt - sie weiterbringen. In der DNA-Analysedatei des Bundeskriminalamts, in der der genetische Fingerabdruck von rund 760000 Straftätern gespeichert ist, hat es noch keinen Treffer gegeben. Ein Massengentest sei derzeit nicht geplant, so Scherhant. „In so einem Fall würde ich ihn aber grundsätzlich auch nicht ausschließen.“

Durchbruch nach Jahren

Es wäre nicht das erste Mal, dass Ermittlern auch nach Jahren dank modernster DNA-Analysen noch der entscheidende Durchbruch gelingt. Der Mord an der siebenjährigen Maria Juhl aus Haldensleben (Börde) im Jahr 1995 wurde nach zehn Jahren und einem Massengentest geklärt. Mit neuen Untersuchungsmethoden war es gelungen, DNA aus einem Haar ohne Wurzel zu sichern, die zum Täter führte - und zu dessen späterer Verurteilung. In Hessen wurde erst in diesem Sommer ein 40 Jahre alter Mord per DNA-Analyse geklärt.

Die Hoffnung stirbt zuletzt. Auch bei Jessicas Eltern. Kurz vor der Sendung hat LKA-Mann Merkel sie noch besucht.