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Unterlagenbehörde Unterlagenbehörde: Im Schatten der Stasi

Von CHRISTIAN SCHAFMEISTER 05.08.2009, 17:27

HALLE/MZ. - Stattdessen muss die Archiv-Leiterin einige Sicherheitstüren per Magnetkarte öffnen, bevor sie ein riesiges Rollarchiv erreicht. "Hier sind 240 000 Menschen registriert", sagt Angela Friedenberger. Penibel und meist handschriftlich sind alle Informationen auf kleinen, gelben Karteikärtchen notiert. Angelegt von der Stasi im früheren Bezirk Halle.

Heute steht die zentrale Personenkartei F 16, nach der damaligen Formular-Nummer der Karteikarten benannt, in der Stasi-Unterlagenbehörde in Halle. Dort finden sich Informationen zu Inoffiziellen Mitarbeitern ebenso wie zu Personen, die von der Stasi beobachtet wurden oder gar Repressalien zu erleiden hatten. Den eigentlichen Wert erhält diese Kartei aber erst durch das passende Gegenstück, die Vorgangskartei F 22. Anhand dieser lassen sich den Personen auch konkrete Maßnahmen zuordnen, die von der Stasi angeordnet wurden, wie etwa Operative Vorgänge (OV). "Die beiden Karteien sind zusammen für unsere Tätigkeit die wichtigste Grundlage", erklärt Uta Leichsenring, Chefin der Außenstelle in Halle.

Das gilt insbesondere für die Fälle, in denen Personen Einblick in ihre eigene Stasi-Akte beantragen. Die Zahl der Antragsteller ist von 3 600 im Jahr 2005 auf mehr als 5 600 im vergangenen Jahr angestiegen. "Das Bedürfnis nach Klarheit und Sicherheit wird meistens größer als die Angst vor dem Blick in die Akten und möglichen Enttäuschungen", versucht Leichsenring das große Interesse auch 20 Jahre nach der Wende zu erklären. Viele der Betroffenen würden aber lange mit sich ringen, bevor sie einen Antrag stellen. Das erklärt, dass auch heute noch 75 Prozent aller Anfragen Erstanträge sind. Oft, so Uta Leichsenring, gäben aktuelle Debatten - wie kürzlich um die Schaffung eines Beauftragten für Stasi-Unterlagen in Brandenburg - den letzten Anstoß.

Anschließend ist viel Geduld erforderlich. "Ihr Name ist in Unterlagen der Stasi erfasst, es könnten jedoch auch noch weitere Unterlagen vorhanden sein." Bis Antragsteller, die damals von der Stasi registriert worden sind, diese erste Nachricht erhalten, dauert es meist zwölf Wochen. Am Ende vergehen im Durchschnitt zwei Jahre, bis sich die Betroffenen die Dokumente ansehen können. Grund dafür: Immer weniger Mitarbeiter müssen die wachsende Zahl der Anträge bearbeiten. So sank die Zahl der Mitarbeiter innerhalb weniger Jahre um mehr als 20 auf 58. Scheiden Mitarbeiter altersbedingt aus, fallen deren Stellen weg. "Deshalb müssen wir uns auf vordringliche Angelegenheiten konzentrieren", sagt Leichsenring. Anträge auf Opferrente sowie von Personen über 75 Jahren werden bevorzugt bearbeitet.

Erschwerend kommt hinzu, dass die Menge der Daten, die von der Stasi im Bezirk Halle gesammelt wurde, gewaltig ist. So lagern im Archiv 7 174 Meter laufende Akten. 85 Prozent davon sind bisher "personenbezogen erschlossen", wie es offiziell heißt. Neben den Karteien F 16 und F 22 hatte die Stasi unzählige kleine, teils sehr spezielle Karteien. Das bedeutet heute sehr viel Arbeit. So werden für jeden Antragsteller im Schnitt 230 Karteien überprüft. Insgesamt lagern 2,4 Millionen Karteikarten in Halle. "In keinem anderen Bezirk hatte die Staatssicherheit so viele Kreis- und Objektdienststellen wie in Halle", sagt Uta Leichsenring.

Dennoch werde das Ausmaß der Stasi-Tätigkeit häufig falsch eingeordnet. So hätten zwei Prozent der Bevölkerung für die Stasi gearbeitet. "Diese Zahl wird häufig viel höher eingeschätzt." Viel zu hoch angesetzt werde auch die Zahl der Akten. "Viele Menschen reagieren mit einer Mischung aus Ungläubigkeit und Enttäuschung, wenn sie erfahren, dass keine Akte von ihnen existiert." Doch selbst wenn Unterlagen vorliegen, mahnt die Leiterin der Außenstelle besonnene Urteile an. Natürlich habe es tausende Opfer politischer Verfolgung gegeben, die beruflich, privat sowie gesundheitlich unter der Stasi gelitten hätten. "Doch nicht jede bei der Stasi erfasste Person ist automatisch ein Opfer", erklärt sie, "daher spreche ich lieber von Betroffenen".

Überhaupt ist es der Behördenleiterin wichtig, die Tätigkeit der Stasi genau einzuordnen. "Natürlich war die Stasi der größte Repressions-Apparat im Land", sagt sie, "doch Auftraggeber war immer die SED als Herrschaftspartei, das darf bei der Aufarbeitung nicht vergessen werden." Und mit dieser ist Uta Leichsenring - trotz aller Zwänge - noch nicht fertig. "Im Archiv lagern noch 348 laufende Meter Akten, die 1989 von der Stasi vorvernichtet worden sind, da ist sicher noch spannendes Material dabei." Daher wird sich auch Archiv-Leiterin Friedenberger noch oft auf den Weg zur Kartei F 16 machen, um weitere Puzzles aus den Stasi-Karteien zusammenzufügen.