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Tragödie vor Norwegen Tragödie vor Norwegen: Männer aus Sachsen-Anhalt trieben 16 Stunden im Wasser

Von Katrin Löwe 14.09.2005, 18:24

Merseburg/MZ. - Die Gedanken gehen zurück zu dem Tag, der dem bis dahin schönen Angelurlaub in Norwegen ein tragisches Ende bereitete. Der 34-jährige Bleimeister aus Querfurt (Landkreis Merseburg-Querfurt) überlebt. 16 Stunden nach dem Kentern des Bootes an der Küste bei Smøla werden er und der Merseburger Bernd Kühn (42) gerettet. Der 38-jährige Steffen Hohmann aus Großkugel (Saalkreis) ist bis heute vermisst.

Nicht gewarnt

Dabei war es bis zu dem Unglück ein perfekter Angeltag. "Wir sind früh um 8 Uhr raus. Es war nur leichter Wind - ganz normales Angelwetter", sagt der Querfurter. Eine Warnung, von der deutsche Medien später berichteten, nein, die habe es nicht gegeben. Weder von Mitreisenden noch vom Angelcamp-Betreiber, der die Boote verlieh. "Es gibt eine Regel: Fahr nicht raus, wenn Schaumkronen auf den Wellen sind", erklärt Bleimeister. "Das war nicht der Fall." Viele andere, ergänzt Vater Herbert Bleimeister, seien an jenem Montag angeln gewesen, auch er selbst.

Die Fische bissen gut. "Unsere Kisten waren voll", erinnert sich Bleimeister junior. Gefüllt mit Dorsch, Seelachs, Makrelen. Gegen 15 Uhr treten die drei Angler den Rückweg an, wollen kurz vorm Ziel nochmal stoppen, als das Echolot Fisch signalisiert. Da kam sie: eine einzige Welle, die den Seegang um ein Mehrfaches überstieg. "Das ging so schnell, die Welle war urplötzlich da - sechs bis acht Meter hoch", sagt der Querfurter. 16.30 Uhr war das wohl. Als die Männer wieder auftauchen - zwei mit Schwimmwesten, einer mit Rettungsanzug ausgestattet -, ist das fünf Meter lange Boot gefüllt mit Wasser.

Später dreht es sich mit dem Kiel nach oben, dann sinkt die Spitze. Nur eine kleine Fläche vom Heck bleibt über Wasser. Panik macht sich breit. Kein Handy funktioniert. Und obwohl es anfangs scheint, als hätten alle das Kentern körperlich gut überstanden, merken Bleimeister und Kühn, dass bei Hohmann plötzlich die Kräfte schwinden. Verzweifelt versuchen sie, ihn aufs Heck zu ziehen - ohne Erfolg. Hohmann, der keine Reaktion mehr zeigen kann, treibt mehrfach ab, Bleimeister holt ihn zurück. Irgendwann gelingt ihm das nicht mehr. "Das muss 20 Uhr gewesen sein." Da sieht der Querfurter seinen Freund und Kühn den eigenen Schwager in den Weiten des Meeres verschwinden.

Für die Verbliebenen, aufgewühlt von dem ungewissen Schicksal ihres Freundes, beginnt eine lange Nacht. "Wissen die schon was oder denken die, wir angeln so lange?", überlegt Bleimeister. Zu der Zeit ist im Camp bei Smøla längst Alarm ausgelöst, ein Hubschrauber unterwegs. Er muss abdrehen, weil Nebel nun die Sicht erschwert. Draußen sehen die Verunglückten Blaulicht und Scheinwerfer am Horizont. "Das hat uns aufgebaut", sagt Bleimeister. Doch die Zeit bis zum Morgen zieht sich. "Es kam mir vor wie ein Monat", schildert der Querfurter. "Man sieht Dinge, die gar nicht da sind", erinnert sich Bernd Kühn, der Phasen ohne Hoffnung auf Rettung hatte. Als beide am Morgen von einem Fischerboot entdeckt und dann per Hubschrauber geborgen werden, ist die Körpertemperatur von Lars Bleimeister, der 16 Stunden durchweg im 14 Grad kalten Wasser war, auf 29 Grad gesunken. Anderthalb Tage liegt er auf der Intensivstation der Klinik in Kristiansund.

Ohne Hoffnung

Zu Hause sitzt die ganze Zeit die Familie von Steffen Hohmann, hält Kontakt zur Botschaft, deren Arbeit von den Betroffenen ebenso gelobt wird wie die der rund 300 Retter vor Ort. Hoffnung, dass sein Sohn noch leben könnte, hat Walter Hohmann nicht mehr. "Die ersten vier Tage ja, aber nachdem ich Details gehört habe ... Ich würde sonst was dafür geben, wenn es anders kommt." Was bleibt, ist der Wunsch, dass wenigstens der Körper seines Sohnes gefunden wird. "Wir hätten gern einen Ort zum Trauern." Um den Sohn, um den Vater einer 16-jährigen Tochter, der seit dem fünften Lebensjahr angelte und seit zehn Jahren Touren wie die nach Norwegen machte. "Steffen hatte Erfahrung mit Booten und dem Meer", sagt sein Vater. Leichtfertig, ist er überzeugt, wäre sein Junge nie rausgefahren.